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Unangenehm berührt von ihrem Ton wie von dem, was sie sagte, entgegnete Arnold, die Ferientage einer vornehmen Dame begännen wahrscheinlich erst im Himmel.

Anna Borromeos Lippen verzogen sich hochmütig. Sie beugte sich vor, legte eine Hand auf die Arnolds, und ihre Augen sahen smaragdgrün aus, als sie erwiderte: »Kannst du mit meinem Herzen fühlen? Nein. Es gibt nur einen einzigen Augenblick, auf den ich mich täglich freue, nämlich der, wenn ich nachts das Licht auslösche.«

Arnold zuckte die Achseln und sagte, er müsse eilen. Als er gehen wollte, kam Borromeo. Anna erzählte ihm von Arnolds Vorhaben. Er stutzte und schüttelte den Kopf, dann fragte er Arnold, wann er reisen wolle. Jetzt, in einer Stunde. »Dann werde ich dich zum Bahnhof begleiten, wenn es dir recht ist.«

»Gewiß.«

Arnold übergab sein Gepäck einem Wagen, während er selbst mit dem Oheim zu Fuß ging. »Wie lange willst du bleiben?« fragte Borromeo. »Und warum fährst du eigentlich? Zieht es dich hin oder hast du einen bestimmten Zweck? Es ist eine schlechte Jahreszeit.«

Das leise, sammetartige Wesen dieses Mannes ließ alle Anzeichen äußeren Mitlebens vermissen. Doch lag in seinem Gehaben ein so scheues, scheinbar ganz bewußtloses Anschmiegen an die Person Arnolds, daß dieser ganz verwundert darüber war. Bis kurz vor der Abfahrt des Zuges blieb Borromeo ziemlich schweigsam; in den letzten Minuten wurde er auf einmal gesprächig und gab Ratschläge und Meinungen in betreff der Bewirtschaftung in Podolin. Der Zug setzte sich in Bewegung und Borromeo wartete, bis die Bahnhofshalle leer war.

Das stürmische Wetter war unverändert geblieben, als Arnold im dämmernden Morgen von der Station nach Podolin fuhr. Der Wagen ächzte im Straßenkot und auf dem Schottergestein; die Felder lagen wüst und der Nebel verhüllte die Wälder. Ursula war nicht wenig verblüfft über die Ankunft des jungen Herrn. Der böhmische Verwalter, der seit dem Sommer angestellt war, stand mit entblößtem Kopf am Gartentor. Sein rotes Gesicht war zum Ausdruck sklavischer Ehrerbietung erstarrt. Ursula wollte Rechnungen vorlegen und die brieflichen Berichte des Verwalters ergänzen, aber Arnold bedeutete ihr, daß er vorläufig damit nichts zu tun haben wolle. »Sie sind größer und schöner geworden«, meinte Ursula und bewunderte seine Kleidung, seinen veränderten Gang, — nichts entging ihrer harmlosen Beobachtung. Ihr Benehmen aber verwandelte sich nach der ersten Stunde. Am Anfang suchte sie den alten Ton spielerisch-polternder Befehlshaberei wieder anzunehmen, aber sie merkte bald, daß er darauf nicht einging. Mit diesem Augenblick sah sie einen fernen, kalten Herrn in Arnold und fand sich fremd. Sie umgab ihn mit einer Wolke von Respekt, welche alle lebendige Erinnerung mürrisch verhüllte.

Nur kurze Zeit ruhte Arnold von der Fahrt. Aus wohlbekannter Tasse nahm er das Frühstück ein; alles mutete ihn neuartig und klein an. Die Stube war eng, kahl und düster. Die Fenster waren winzig wie Schießscharten, Möbel und Geräte von unbequemer Dürftigkeit. Arnold lächelte in sich hinein wie ein alter Mann, der an seine Jugend denkt. Als er durch den Vorgarten schritt, um hinüber nach Podolin zu gehen, dachte er darüber nach, wie er es nehmen würde, wenn er hierzubleiben gezwungen wäre. Er schüttelte eine solche Vorstellung eilig von sich ab.

Dreiundvierzigstes Kapitel

Dennoch zitterte beim Gehen über die Wiesen ein Hauch jener gewaltigen Bewegung nach, die ihn einst von dieser Ebene fortgetrieben, wie das Lüftchen, das sich von einem entfernten Orkan in stillere Regionen verirrt hat. Er freute sich des weiten Himmels, dessen Wolken einem dünnen Blau zu weichen begannen, er blieb träumend am Ufer des schwärzlichen Flusses stehen und ergötzte sich am Kreischen der Krähen. Gibt es angenehmere Töne, dachte er beim Weiterwandern, als das leise Glucksen des Wassers in den Wiesen?

Die neugierigen Blicke der Podoliner erregten seine Heiterkeit. Er war überrascht, jedes Häuschen noch auf seinem Fleck zu finden, blickte lächelnd von Torweg zu Torweg und schritt über den Platz hinauf gegen den Kirchhof. Der Fleischer Uravar stand unter der Tür seines Ladens, als ob er sich all die Zeit hindurch nicht von dort gerührt hätte. Die Kreuzspinne lag noch immer auf der Lauer. Arnold blieb stehen und nickte freundlich; es war ihm, als hätte er stets freundliche Beziehungen zu dem Mann unterhalten. Uravar glotzte und machte ein ehrerbietiges Kompliment.

Still lag der Kirchhof; die Holzkreuze waren von Wind und Wetter schief, verdorrt und zerbrochen. Von hier aus war der weiteste Ausblick über die Ebene, die erst in großer Ferne bergige Formen annahm und sich glatt wie eine ungeheure Bucht hindehnte. Das Grab der Frau Ansorge lag auf einem Vorsprung des festungsartig erhobenen und begrenzten Raums. Ein einfacher Stein schmückte den Hügel. Arnold lehnte sich mit dem Rücken an die niedere Mauer-Einfassung und suchte die Gestalt der Toten erstehen zu lassen. Aber es mischte sich zu viel Erlebtes hinein; buntes Schweifen ergriff den Sinn und trübe nur, kaum den Rand des Grabes überschreitend, wurde ein edler Umriß sichtbar. Arnold hatte das nicht erwartet; er hatte nicht geglaubt, daß er sich so allein hier finden würde. Als er sich gegen den Ausgang wandte, gewahrte er, ganz in einem Winkel zwischen Kirche und Mauer gedrückt, einen regenverwaschenen, kleinen Grabstein, in dem die verblaßte Photographie eines schönen, stolzblickenden Mannes eingelassen und durch ein Stück Glas verdeckt war. Auf der Fläche des Steins stand: Fumagalli, Zirkusreiter aus Mailand. Mal fa chi tanta fè obblia.

Arnold schmunzelte. Wie mochte Herr Fumagalli nach Podolin geraten sein? Nie früher hatte er den alten Stein mit dem süßlich-hübschen Bildnis bemerkt. Mühsam entzifferte er den Sinn der italienischen Worte: schlecht für den, der so viel Treue vergißt. Eine wunderliche Traurigkeit ergriff ihn; Treue, dies schien wirklich das Wesentliche allen Lebens und den Zusammenhalt alles Guten zu bedeuten, und als ob er sich gegen einen Selbstvorwurf schützen wolle, rief er mit seiner inneren Stimme den Namen Verenas. Auf dem Rückweg begleitete ihn ihr verschöntes Bild und als er zu Hause war, empfand er Sehnsucht nach ihr und fragte sich tausendmal, warum sie gegangen. Es erschien ihm zweifellos, daß er sie in der Stadt wieder sehen würde, und die Einsamkeit, in die er sich versetzt hatte, kam ihm wie eine freiwillige Selbstprüfung vor.

Im Hof wartete ein junges Bauernweib. Sogleich eilte sie auf Arnold zu und ihren Lippen entquoll eine unverständliche Flut von Worten. Erst allmählich vermochte Arnold herauszubringen, worum es sich handle. Die junge Person war das Weib des Häuslers Kubu, der früher Eisenbahnbediensteter gewesen war und seit fünf Jahren die Wirtschaft seines Vaters übernommen hatte. Wegen eines Steuerrückstandes von achtundsechzig Gulden waren ihm ein paar junger Ochsen gepfändet worden und heute hatte er die Mitteilung erhalten, daß die beiden Tiere versteigert werden müßten, falls er die Steuer nicht bar bezahle. Um dieses Geld bettelte das Weib und schwor bei der Mutter Gottes, daß sie es zur Ernte richtig zurückzahlen wolle.

Arnold, allzusehr mit seinem innern Zustand beschäftigt, zwar weich gestimmt, doch nur für sich selbst, wies das Weib ab, dessen lärmendes Getue ihm nicht angenehm war. Sie stand noch eine Weile mit finsterem, zur Erde gekehrtem Gesicht und Arnold ging ins Haus.