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»Jemand muß etwas Wasser besorgen«, knurrte der junge Mann, während er ihre Hände rieb. Sofort wurde ihm von Johnson ein Glas über die Schulter gereicht. Barry ließ einige Tropfen in ihren Mund laufen, sie würgte und kam langsam wieder zu Bewußtsein. Die beiden Schauspielerinnen schoben Barry beiseite und befahlen den Männern in barschem Ton, das Zimmer zu verlassen. Queen schloß sich brav dem protestierenden Schauspieler und dem Detective an.

»Sie sind ja ein feiner Bulle!« sagte Barry in vernichtendem Ton zum Inspektor. »Was haben Sie ihr angetan? Ihr mit dem typischen Einfühlungsvermögen eines Polizisten auf den Kopf gehauen?«

»Nun, nun, junger Mann«, sagte Queen ruhig, »keine groben Worte, bitte. Die junge Dame hat nur einen Schock bekommen.«

Sie standen da in spannungsgeladenem Schweigen, bis sich die Tür wieder öffnete und die Schauspielerinnen mit Frances in ihrer Mitte erschienen. Barry eilte an ihre Seite. »Bist du in Ordnung, Liebes?« flüsterte er, während er ihre Hand drückte.

»Bitte – Steve – bring mich nach Hause«, schluchzte sie und stützte sich mit ihrem ganzen Gewicht auf seinen Arm.

Inspektor Queen stand etwas abseits, um sie vorbeizulassen. Ein trauriger Ausdruck lag in seinen Augen, als er zusah, wie sie langsam auf den Ausgang zugingen und sich der kurzen Schlange auf dem Weg nach draußen anschlossen.

Sechstes Kapitel

in welchem der Staatsanwalt zum Biographen wird

Inspektor Richard Queen war ein eigenartiger Mensch. Klein und drahtig, mit grauem Haar und dem durch Lebenserfahrung gezeichneten faltigen Gesicht, hätte er als Wirtschaftsboß, als Nachtwächter oder was immer er wollte durchgehen können. Sicherlich würde sich seine unauffällige Gestalt im richtigen Gewand jeder Rolle anpassen können.

Diese rasche Anpassungsfähigkeit demonstrierte er auch in seinem Auftreten. Nur wenige Leute kannten ihn, wie er wirklich war. Für seine Kollegen, auch für seine Gegner, den jammervollen Abschaum der Menschheit, den er dem verdienten Gerichtsverfahren überantwortete, blieb er ein steter Quell der Verwunderung. Er konnte theatralisch sein, wenn er es wollte, oder milde oder wichtigtuerisch oder väterlich oder hartnäckig.

Aber neben all dem besaß der Inspektor, wie es jemand einmal mit übergroßer Sentimentalität ausgedrückt hatte, ›ein Herz aus Gold‹. In seinem Innersten war er friedfertig und sensibel; die Grausamkeit dieser Welt hatte ihm manchen Schaden zugefügt. Es stimmte, daß er sich gegenüber Leuten, mit denen er dienstlich zusammentraf, nie zweimal in der gleichen Weise verhielt. Immer wieder schlüpfte er in eine neue Rolle, eine andere Facette seiner Persönlichkeit. Ihm schien dies sehr vorteilhaft; die Leute konnten sich keinen Reim auf ihn machen, wußten nie, was er sagen oder tun würde und hatten deshalb auch immer ein klein wenig Angst vor ihm.

Nun, wo er sich allein in Panzers Büro befand, wo die Tür fest geschlossen war, wo seine Nachforschungen vorübergehend zu einem Stillstand gekommen waren, trat die wahre Natur dieses Mannes auf seinem Gesicht hervor. In diesem Moment schien es ein altes Gesicht zu sein – körperlich alt, aber alt und weise in geistiger Hinsicht. Der Vorfall mit dem Mädchen, dem er einen solchen Schrecken eingejagt hatte, daß es in Ohnmacht fiel, beschäftigte ihn vor allem anderen. Die Erinnerung an sein verzerrtes, entsetztes Gesicht ließ ihn zusammenzucken. Frances Ives-Pope schien all die Vorzüge in sich zu vereinigen, die ein alter Mann für seine eigene Tochter wünschen konnte. Sie wie unter einem Peitschenhieb zurückschrecken zu sehen, peinigte ihn sehr. Die Erinnerung daran, wie ihr Verlobter sie so wütend verteidigte, ließ ihn vor Scham erröten.

Mit einem Seufzer griff der Inspektor nach dem Schnupftabak, seinem einzigen kleinen Laster, und nahm eine große Prise.

Als es wenig später energisch an der Tür klopfte, glich er schon wieder dem Chamäleon – ein Detective-Inspektor, der an einem Schreibtisch saß und ohne Zweifel über kluge und gewichtige Dinge nachdachte. In Wahrheit wünschte er, Ellery würde zurückkehren.

Auf sein herzliches »Herein« hin ging die Tür auf, und ein dünner, helläugiger Mann, dick angezogen und mit einem wollenen Schal um den Hals, trat ins Zimmer.

»Henry!« rief der Inspektor und sprang auf. »Was zum Teufel machst du denn hier? Hat dir der Doktor nicht strikte Bettruhe verordnet!«

Staatsanwalt Henry Sampson zwinkerte mit den Augen und ließ sich in einen Sessel fallen.

»Ärzte«, sagte er in belehrendem Ton, »verursachen bei mir Halsschmerzen. Wie sieht’s aus?«

Er stöhnte und befühlte behutsam seinen Hals. Der Inspektor setzte sich wieder hin. »Du bist wirklich der aufsässigste Patient, Henry, der mir jemals unter Erwachsenen vorgekommen ist«, sagte er bestimmt. »Menschenskind, du wirst dir eine Lungenentzündung holen, wenn du nicht aufpaßt.«

»Nun«, grinste der Staatsanwalt, »ich bin hoch versichert, da sollte ich mich tatsächlich vorsehen … Aber du hast meine Frage nicht beantwortet.«

»Ach, ja«, brummte Queen. »Deine Frage. Wie es aussieht, hast du gefragt, glaube ich. Im Moment, mein lieber Henry, sieht es absolut düster aus. Reicht dir das?«

»Drück dich doch bitte etwas deutlicher aus«, sagte Sampson. »Denke bitte daran, ich bin ein kranker Mann, und mir dröhnt der Schädel.«

»Henry«, sagte Queen und lehnte sich mit ernstem Gesicht nach vorne, »ich muß dich darauf aufmerksam machen, daß wir mitten in einem der schwierigsten Fälle stecken, mit denen unsere Abteilung je zu tun hatte. Dir dröhnt also der Schädel? Soll ich dir vielleicht sagen, was in meinem vorgeht?«

Sampson blickte finster in seine Richtung. »Wenn es wirklich so ist, wie du sagst – und davon gehe ich mal aus –, dann kommt das zu einem verdammt ungünstigen Zeitpunkt. Wahlen stehen ins Haus, und so ein ungelöster Mordfall als Vorwand für die Gegenseite …«

»Nun, das ist eine Möglichkeit, die Sache zu betrachten«, bemerkte Queen mit leiser Stimme. »An die Wahlen habe ich dabei eigentlich nicht gedacht, Henry. Jemand ist ermordet worden, und im Augenblick habe ich offen gestanden noch nicht die leiseste Vorstellung, von wem und wie dieser Mord begangen wurde.«

»Ich nehme deinen wohlgemeinten Tadel an, Inspektor«, sagte Sampson schon etwas unbeschwerter. »Aber wenn du gehört hättest, was ich mir gerade eben übers Telefon anhören mußte …«

»Einen Augenblick, mein lieber Watson, wie Ellery immer zu sagen pflegt«, sagte Queen schmunzelnd nach einem der für ihn so charakteristischen Stimmungswechsel. »Ich wette, ich weiß, was passiert ist. Du warst zu Hause, wahrscheinlich im Bett. Das Telefon klingelte. Jemand fing an herumzunörgeln, zu protestieren, vor Wut zu schäumen, halt so zu reden, wie jemand redet, der aufgeregt ist. Es klang etwa so: ›Ich werde es mir nicht gefallen lassen, wie ein gewöhnlicher Verbrecher von der Polizei festgehalten zu werden! Ich will, daß dieser Queen einen strengen Verweis erhält. Er stellt geradezu eine Bedrohung der persönlichen Freiheitsrechte dar.‹ Und so weiter und so weiter …«

»Mein lieber Freund!« sagte Sampson lachend.

»Dieser Gentleman, der so lautstark Protest erhebt«, fuhr der Inspektor fort, »ist klein, ziemlich dick, trägt eine Brille mit Goldrand, hat eine überaus unangenehme weibliche Stimme, entfaltet eine wirklich rührende Sorge um seine Familie – seine Frau und eine Tochter – angesichts der möglichen Gegenwart von Presseleuten und beruft sich stets auf dich als seinen ›sehr guten Freund Staatsanwalt Sampson‹. Richtig?«