Sampson saß da und starrte ihn an. Dann verzogen sich seine scharf geschnittenen Gesichtszüge zu einem Lächeln.
»Wirklich verblüffend, mein lieber Holmes«, brummte er. »Wo du schon so viel über meinen Freund weißt, wird es wohl auch ein Kinderspiel für dich sein, mir seinen Namen zu verraten?«
»Eh – aber ich hab’ ihn dir doch richtig beschrieben, oder nicht?« sagte Queen mit purpurrotem Gesicht. »Ich – Ellery, mein Junge! Ich bin froh, dich zu sehen.«
Ellery hatte das Zimmer betreten. Herzlich gaben sich Sampson und Ellery die Hand; der Staatsanwalt begrüßte ihn mit der Freude, die Zeichen einer langen Freundschaft ist. Ellery machte eine Bemerkung über die ständige Lebensgefahr, der sich ein Staatsanwalt aussetzt, und stellte rasch einen großen Behälter mit Kaffee und eine Papiertüte, die etwas so Köstliches wie Kuchen verhieß, auf dem Schreibtisch ab.
»Nun, meine Herren, die große Suchaktion ist beendet, aus und vorbei, und die schwitzenden Detectives werden nun ein mitternächtliches Frühstück zu sich nehmen.« Er lachte und gab seinem Vater einen liebevollen Klaps auf die Schulter.
»Aber, Ellery!« rief Queen entzückt. »Das ist eine willkommene Überraschung! Henry, leistest du uns bei unserer kleinen Feier Gesellschaft?« Er füllte drei Pappbecher mit dampfendem Kaffee.
»Ich weiß zwar nicht, was es zu feiern gibt, aber ich bin mit von der Partie«, sagte Sampson, und die drei langten voller Begeisterung zu.
»Was gibt’s Neues, Ellery?« fragte der alte Mann und schlürfte zufrieden seinen Kaffee.
»Weder essen noch trinken die Götter«, brummte Ellery durch einen Windbeutel hindurch. »Ich bin nicht allwissend; wie wäre es, wenn du mir erzählen würdest, was in deiner improvisierten Folterkammer vorgefallen ist … Ich kann dir lediglich eine Sache erzählen, von der du noch nicht weißt. Mr. Libby von Libbys Eiscafé, woher auch dieses erstklassige Gebäck stammt, bestätigt Jess Lynchs Geschichte mit dem Ginger Ale. Miss Elinor Libby bestätigt aufs genaueste seinen Bericht darüber, was er danach gemacht hat.«
Mit einem riesigen Taschentuch tupfte sich Queen die Lippen ab. »Nun, laß Prouty trotzdem der Sache mit dem Ginger Ale nachgehen. Was mich betrifft, so habe ich einige Leute befragt und habe nun nichts mehr zu tun.«
»Vielen Dank«, bemerkte Ellery trocken. »Das war ein vollständiger Bericht. Hast du den Staatsanwalt bereits mit den Ereignissen dieses turbulenten Abends vertraut gemacht?«
»Ich weiß bisher nur folgendes, meine Herren«, sagte Sampson und stellte seinen Becher ab. »Vor etwa einer halben Stunde rief mich ›einer meiner sehr guten Freunde‹ an, der – wie es sich gerade trifft – einigen Einfluß hinter den Kulissen ausübt, und teilte mir recht unmißverständlich mit, daß während der heutigen Abendvorstellung ein Mann ermordet worden sei. Inspektor Richard Queen wäre zusammen mit seinem Gefolge wie ein Wirbelwind über das Publikum hergefallen und hätte dann die Leute über eine Stunde lang warten lassen – ein unverzeihliches und völlig ungerechtfertigtes Vorgehen, wie mein Freund es nannte. Zudem brachte er vor, daß besagter Inspektor sogar so weit gegangen sei, ihn persönlich des Verbrechens zu beschuldigen und ihn, seine Frau und seine Tochter von unverschämten Polizisten durchsuchen zu lassen, bevor sie das Theater verlassen durften.
So weit also die Version meines Informanten; der Rest der Unterhaltung war weniger gewählt im Ton und braucht hier nicht wiedergegeben zu werden. Das einzige, was ich sonst noch weiß, habe ich draußen von Velie erfahren, nämlich wer der Ermordete war. Und das, meine Herren, war bis jetzt für mich das Interessanteste an der ganzen Geschichte.«
»Du weißt über diesen Fall schon fast genauso viel wie ich«, brummte Queen. »Wahrscheinlich sogar mehr; denn ich kann mir vorstellen, daß du recht gut über Fields Geschäfte informiert bist … Ellery, was geschah draußen während der Durchsuchungsaktion?«
Ellery schlug bequem die Beine übereinander. »Wie du dir vielleicht schon gedacht hast, verlief die Durchsuchung des Publikums vollkommen ergebnislos. Es wurde nichts Außergewöhnliches gefunden. Nicht ein einziger Gegenstand. Niemand machte ein schuldbewußtes Gesicht, und niemand wollte es auf sich nehmen, zu gestehen. Mit anderen Worten – es war ein totaler Mißerfolg.«
»Natürlich, natürlich«, sagte Queen. »Hinter der ganzen Sache steckt ein besonders kluger Kopf. Vermutlich ist euch auch nicht die kleinste Spur eines nicht einmal verdächtig aussehenden überzähligen Huts untergekommen?«
»Um die zu finden, Vater, habe ich das Foyer mit meiner Anwesenheit beehrt«, bemerkte Ellery. »Nein – kein Hut zuviel«
»Sind inzwischen alle durch?«
»Sie waren gerade fertig, als ich hinüber auf die andere Straßenseite schlenderte, um Verpflegung zu holen«, sagte Ellery. »Es blieb nichts anderes mehr zu tun, als dem zornigen Haufen oben auf dem Balkon die Erlaubnis zu geben, herunterzukommen und das Theater zu verlassen. Es sind jetzt alle draußen – die Zuschauer von oben, die Angestellten, die Mitglieder des Ensembles. Ein seltsames Völkchen, diese Schauspieler. Jeden Abend stehen sie wie unsterbliche Götter im Rampenlicht, und dann finden sie sich plötzlich wieder in ihren normalen Straßenanzügen und Kleidern mit all den menschlichen Problemen. Übrigens, Velie hat auch die fünf Leute, die hier aus dem Büro kamen, durchsuchen lassen. Die junge Dame war ziemlich aufgeregt. Miss Ives-Popes und ihr Anhang, vermute ich … Hätte mich nicht gewundert, wenn du das vergessen hättest«, sagte er schmunzelnd.
»Wir sind also in einer ziemlich verzwickten Lage, was?« brummte der Inspektor. »Also hier noch einmal der ganze Hergang, Henry.« Und er gab Sampson, der schweigend und mit finsterer Miene zuhörte, eine knappe Zusammenfassung dessen, was sich an diesem Abend zugetragen hatte.
»Und das«, schloß Queen, nachdem er noch kurz die Ereignisse, die in dem kleinen Büro stattgefunden hatten, beschrieben hatte, »ist alles. Henry, jetzt hast du uns sicherlich etwas über Monte Field mitzuteilen. Wir wissen, daß er ein raffinierter Kerl war – aber mehr auch nicht.«
»Das wäre noch milde ausgedrückt«, sagte Sampson wütend. »Ich kann seine Lebensgeschichte fast schon auswendig herunterbeten. Es sieht so aus, als hättet ihr eine schwierige Aufgabe vor euch, und irgendein Vorfall in seiner Vergangenheit könnte vielleicht ein Anhaltspunkt für euch sein.
Field war bereits zur Zeit meines Vorgängers zum ersten Mal einer genaueren Beobachtung unterzogen worden. Er stand im Verdacht, an unsauberen Maklergeschäften beteiligt gewesen zu sein. Cronin, der damalige Assistent des Staatsanwalts, konnte ihm nichts nachweisen. Field hatte seine Unternehmungen bestens abgesichert. Alles, was wir in der Hand hatten, war der Bericht eines Zuträgers, der wahr oder aber auch unwahr hätte sein können, eines Spitzels, der von seiner Bande rausgeschmissen worden war. Natürlich ließ Cronin Field weder direkt noch indirekt wissen, daß er unter Verdacht stand. Die ganze Angelegenheit geriet allmählich in Vergessenheit; obwohl Cronin hartnäckig war, stellte sich jedes Mal, wenn er dachte, er hätte etwas gegen Field in der Hand, wieder heraus, daß es doch nichts war. Ja, Field war ausgesprochen raffiniert.
Als ich mein Amt antrat, begannen wir auf Cronins dringendes Anraten hin mit einer erschöpfenden Untersuchung von Fields persönlichem Hintergrund. Natürlich im Geheimen. Herausgefunden haben wir das folgende: Monte Field stammt aus einer wirklich guten Familie aus Neuengland – einer Familie, die es nicht nötig hat, ständig auf ihre Vorfahren von der ›Mayflower‹ hinzuweisen. Als Kind hatte er Privatunterricht, ging anschließend auf eine vornehme Mittelschule, wo er nur mit knapper Not durchkam, und wurde dann – ein letzter verzweifelter Versuch – von seinem Vater nach Harvard geschickt. Er scheint damals schon ein ziemliches Früchtchen gewesen zu sein. Nicht kriminell, aber ziemlich ungestüm. Andererseits muß er da noch ein Fünkchen Ehrgefühl gehabt haben; denn als es zum ersten großen Krach kam, änderte er tatsächlich seinen Namen. Sein Familienname war Fielding – er machte Monte Field daraus.«