»Aber – aber Inspektor, gerade jetzt, wo wir jeden Abend volles Haus haben!« stöhnte der kleine Manager. »Ist das wirklich nötig?«
»Es ist so nötig, mein lieber Mann«, antwortete der Inspektor kühl, »daß ich zwei Männer zur permanenten Bewachung des Gebäudes abstellen werde.«
Panzer rang mit den Händen und schielte zu Sampson hinüber. Aber der Staatsanwalt hatte ihnen den Rücken zugekehrt und betrachtete ein Bild, das an der Wand hing.
»Das ist furchtbar, Inspektor!« jammerte Panzer. »Ich kann mir lebhaft vorstellen, was Gordon Davis, der Produzent … Aber selbstverständlich, wenn Sie es anordnen, wird es auch geschehen.«
»Kopf hoch, Mann, sehen Sie doch nicht so schwarz«, sagte Queen freundlicher. »Sie werden dadurch so viel Publicity bekommen, daß Sie nach der Wiedereröffnung noch anbauen müssen. Und ich gehe sowieso nicht davon aus, daß das Theater für mehr als ein paar Tage geschlossen bleibt. Ich werde meinen Männern draußen die notwendigen Anordnungen geben. Sobald Sie Ihre Routinearbeit für heute abend erledigt haben, geben Sie meinen Männern Bescheid und gehen nach Hause. Ich werde Sie benachrichtigen, sobald Sie wieder aufmachen können.«
Panzer schüttelte betrübt den Kopf, gab allen die Hand und ging. Sampson stürzte sich sofort auf Queen und sagte: »Guter Gott, Q, ist das nicht übertrieben? Warum läßt du das Theater schließen? Du hast es doch schon völlig auf den Kopf gestellt, oder?«
»Das schon, Henry«, antwortete Queen bedächtig, »aber der Hut ist noch nicht gefunden worden. Die Leute haben nacheinander das Theater verlassen und sind durchsucht worden – jeder hatte nur einen Hut. Bedeutet das nicht, daß der Hut, nach dem wir suchen, noch irgendwo in der Nähe ist? Und wenn er das ist, werde ich niemandem die Gelegenheit geben, herzukommen und ihn herauszuholen. Wenn ihn jemand in die Finger kriegt, dann werde ich das sein.«
Sampson nickte. Ellery sah immer noch besorgt aus, als die drei Männer aus dem Büro in den fast leeren Zuschauerraum gingen. Hier und da beugte sich noch eine fleißige Gestalt über einen Sitz, um den Boden darunter zu untersuchen. Einige Männer kontrollierten die vorderen Logen. Sergeant Velie stand am Haupteingang und sprach leise mit Piggott und Hagstrom. Detective Flint, der eine Gruppe von Männern beaufsichtigte, arbeitete ganz vorne im Zuschauerraum. Ein kleines Grüppchen von Putzfrauen schob müde Staubsauger vor sich her. In einer Ecke, weiter im hinteren Teil, sprach eine füllige Polizistin mit einer älteren Frau, der Frau, die Panzer als Mrs. Phillips bezeichnet hatte.
Die drei Männer begaben sich zum Hauptausgang. Während Ellery und Sampson schweigend die stets deprimierende Atmosphäre eines verlassenen Zuschauerraumes betrachteten, sprach Queen rasch mit Velie und gab diesem halblaut Anweisungen. Schließlich drehte er sich um und sagte: »Nun, meine Herren, das wäre alles für heute nacht. Wir können gehen.«
Auf dem Gehweg hatten einige Polizisten einen größeren Bereich mit einem Seil abgesperrt, hinter dem sich eine große Schar Neugieriger versammelt hatte.
»Selbst um zwei Uhr morgens bevölkern diese Nachteulen den Broadway«, knurrte Sampson. Er verabschiedete sich mit einem Handzeichen und stieg in sein Auto, nachdem die Queens ein Mitfahrangebot höflich abgelehnt hatten. Eine Horde geschäftiger Reporter drängte sich durch die Menschenmenge hindurch und umringte sie.
»Na, na! Was soll das, meine Herren?« fragte der alte Mann unwirsch.
»Wie wär’s mit den genauen Fakten über heute abend, Inspektor?« fragte einer von ihnen aufdringlich.
»Ihr werdet alle Informationen bekommen, die ihr wollt, Jungs, von Detective-Sergeant Velie – drinnen.« Er lächelte, als sie daraufhin geschlossen durch die Glastüren stürzten.
Ellery und Richard standen schweigend auf der Bordsteinkante und beobachteten die Polizisten, die die Menschenmenge im Zaum hielten. Dann sagte der alte Mann in einem plötzlichen Anflug von Müdigkeit: »Komm, mein Sohn, laß uns ein Stück des Heimweges zu Fuß gehen.«
Zweiter Teil
»… Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Eines Tages kam der junge Jean Q. nach einem Monat gewissenhafter Arbeit an einem schwierigen Fall zu mir. Er wirkte verzweifelt. Wortlos überreichte er mir ein förmliches Schreiben. Ich las es voller Bestürzung. Er bat um seine Entlassung.
›Aber, Jean!‹ rief ich. ›Was hat das zu bedeuten?‹ ›Ich habe versagt, M. Brillon‹, sagte er leise. ›Einen Monat Arbeit völlig umsonst. Ich war auf der falschen Spur. Es ist eine Schande.‹
›Jean, mein Freund‹, antwortete ich ernst, ›soviel zu deiner Entlassung.‹ Mit diesen Worten riß ich das Papier vor seinen erstaunten Augen in Stücke. ›Geh jetzt‹, ermahnte ich ihn, ›und fang noch einmal von vorne an. Halte dir stets den Grundsatz vor Augen: Dem Wissen um das, was richtig ist, geht stets das Wissen um das, was falsch ist, voraus!‹«
Aus Erinnerungen eines Präfekten von Auguste Brillon
Achtes Kapitel
in welchem die Queens Mr. Fields beste Freundin kennenlernen
Die Wohnung der Queens in der 87. Straße, West, war, angefangen bei dem Pfeifenständer über dem Kamin bis hin zu den glänzenden Säbeln an der Wand, ein ganz und gar männliches Domizil. Sie wohnten im obersten Stock eines Dreifamilienhauses, einem braunen Sandsteingebäude aus spätviktorianischer Zeit. Man schritt über mit schweren Teppichen bedeckte Stufen durch endlos scheinende Flure von erdrückender Geradlinigkeit. Wenn man fast schon zu der Überzeugung gelangt war, daß einen solch trostlosen Ort nur vertrocknete Gemüter bewohnen könnten, gelangte man zu einer riesigen Eichentür mit dem hübsch beschrifteten und gerahmten Namensschild ›Die Queens‹. Dann grinste einen Djuna durch den Türspalt hindurch an, und man betrat eine völlig andere Welt.
Nicht wenige bedeutende Männer hatten nur zu gerne dieses wenig einladende Treppenhaus durchschritten, um dort oben eine Zuflucht zu finden. Mehr als nur einmal trug Djuna wohlgemut eine Karte mit einem berühmten Namen darauf von der Diele in den Wohnraum.
Die Gestaltung der Diele ging auf Ellery zurück, um der Wahrheit die Ehre zu geben. Sie war so klein und eng, daß die Wände ungewöhnlich hoch zu sein schienen. Mit einem seltsamen Sinn für Humor war eine Wand vollständig mit einem Wandteppich, auf dem eine Jagd abgebildet war, bedeckt worden – eine äußerst passende Dekoration für diesen altertümlich wirkenden Raum. Beide Queens verabscheuten den Teppich von ganzem Herzen und ließen ihn nur hängen, weil er ihnen als Ausdruck fürstlichen Dankes vom Duke of –
– überreicht worden war, jenem jähzornigen Mann, dessen Sohn Richard Queen vor einem entsetzlichen Skandal bewahrt hatte, dessen Einzelheiten nie an die Öffentlichkeit gelangt sind. Unter dem Wandteppich befand sich ein schwerer Altartisch, auf dem eine mit Pergament bespannte Lampe und ein Paar bronzener Buchstützen, die eine dreibändige Ausgabe der ›Märchen aus Tausendundeiner Nacht‹ hielten, standen.
Zwei Gebetsstühle und ein kleiner Läufer vervollständigten die Einrichtung der Diele.
Wenn man diesen niederdrückenden, fast immer düsteren und abweisenden Ort durchschritten hatte, war man auf alles andere gefaßt als auf die vollkommene Heiterkeit des dahinterliegenden großen Zimmers. Dieser Gegensatz war Ellerys Privatvergnügen; denn der alte Mann hätte – ginge es nach ihm – bereits seit langem die Einrichtungsgegenstände der Diele in irgendeiner Rumpelkammer verstaut.