Das Wohnzimmer war auf drei Seiten von dicht beieinanderstehenden und den Geruch von Leder ausströmenden Bücherschränken umgeben, die bis an die hohe Decke reichten. Auf der vierten Seite befand sich ein echter Kamin mit einer Einfassung aus massivem Eichenholz und einem glänzenden Eisengitter vor der Kaminöffnung. Über dem Kamin hingen die berühmten gekreuzten Säbel, ein Geschenk des alten Fechtmeisters von Nürnberg, bei dem Richard in seinen Jugendjahren während seines Studiums in Deutschland gelebt hatte. Lampen glänzten und blinkten überall in dem großzügigen Raum; bequeme Sessel, Lehnstühle, niedrige Chaiselongues, Fußschemel und helle Lederpolster standen herum. Kurzum, es war ein äußerst gemütlicher Raum, wie ihn sich nur zwei geistig tätige Menschen als ihr Refugium entwerfen konnten. Und wenn vielleicht nach einer bestimmten Zeit ein solcher Ort langweilig geworden wäre – allein durch die bloße Vielfalt der Dinge –, so verhinderte dies der geschäftige Djuna, Laufbursche, Faktotum, Diener und guter Geist des Hauses in einer Person.
Djuna war von Richard Queen während Ellerys Zeit am College aufgenommen worden, als sich der alte Mann oft sehr allein fühlte. Er war ein fröhlicher junger Mann, neunzehn Jahre alt, Waise, solange er zurückdenken konnte und in entzückender Weise ahnungslos, was die Notwendigkeit eines Familiennamens anbelangt. Er war klein und schlank, immer freudig erregt, in überschäumender Stimmung, aber auch mucksmäuschenstill, wenn die Situation es erforderte. Djuna verehrte den alten Richard ungefähr in der gleichen Weise, wie sich die Ureinwohner Alaskas vor ihren Totempfählen niederbeugten. Auch zwischen ihm und Ellery bestand ein scheues Band der Verbundenheit, das seinen Ausdruck aber nur in dem leidenschaftlichen Diensteifer des Jungen fand. Er schlief in einem kleinen Zimmer hinter den Schlafräumen von Vater und Sohn und konnte, wie es Richard stets schmunzelnd ausdrückte, »mitten in der Nacht sogar vom Liebesgesang eines Flohs aufgeweckt werden«.
Am Morgen nach dem ereignisreichen Abend, an dem Monte Field ermordet worden war, deckte Djuna gerade den Tisch fürs Frühstück, als das Telefon klingelte. An Anrufe am frühen Morgen bereits gewöhnt, nahm er den Hörer ab.
»Hier ist Djuna bei Inspektor Queen. Wer ist da bitte?«
»Oh, so, so«, brummte eine tiefe Stimme aus dem Hörer. »Nun, du Sohn eines streunenden Polizisten, weck den Inspektor, und zwar schnell!«
»Inspektor Queen darf nicht gestört werden, Sir, solange sein Vertrauter Djuna nicht weiß, wer anruft.« Djuna, der den Klang von Sergeant Velies Stimme sofort erkannt hatte, grinste und steckte dabei die Zunge in die Backe.
Eine schlanke Hand packte Djuna fest am Nacken und wirbelte ihn halb durchs Zimmer. Der Inspektor, bereits fertig angezogen und mit noch von der ersten Morgenprise Schnupftabak bebenden Nasenflügeln, sprach in den Hörer: »Kümmere dich nicht um Djuna, Thomas. Was ist los? Hier ist Queen.«
»Oh, Sie sind’s, Inspektor. Ich hätte Sie nicht schon so früh am Morgen gestört, wenn nicht Ritter gerade aus Monte Fields Wohnung angerufen hätte. Es gibt was Interessantes zu berichten«, polterte Velie.
»Gut, gut«, schmunzelte der Inspektor. »Unser Freund Ritter hat also jemanden eingefangen? Wer ist es denn, Thomas?«
»Sie haben es erraten, Sir«, antwortete Velie mit unbewegter Stimme. »Er sagt, er befände sich dort in einer etwas peinlichen Situation mit einer nur leicht bekleideten Dame, und falls er sich noch länger dort mit ihr aufhalten sollte, wird sich seine Frau wohl von ihm scheiden lassen. Irgendwelche Befehle, Sir?«
Queen lachte herzhaft. »Aber sicher, Thomas. Schick sofort ein paar Männer als Anstandswauwaus dorthin. Ich selbst werde auf der Stelle dort sein, das heißt, sobald ich Ellery aus dem Bett geschmissen habe.«
Grinsend hängte er ein. »Djuna!« rief er. Augenblicklich erschien dessen Kopf in der Küchentür. »Beeil dich mit den Eiern und dem Kaffee, mein Sohn!« Der Inspektor ging ins Schlafzimmer und traf dort auf Ellery, der ihm – noch ohne Kragen, aber unverkennbar dabei, sich anzukleiden – mit abwesendem Gesichtsausdruck gegenüberstand.
»Du bist schon auf?« brummte der Inspektor und machte es sich in einem Lehnstuhl bequem. »Ich dachte, ich müßte dich aus dem Bett schmeißen, du Faulpelz!«
»Du kannst beruhigt sein«, sagte Ellery abwesend. »Ich bin tatsächlich schon auf und werde auch auf bleiben. Und sobald Djuna für mein leibliches Wohl gesorgt hat, bin ich auf und davon.« Er schlenderte noch einmal ins Schlafzimmer und kam wenig später, Kragen und Krawatte schwingend, zurück.
»Hiergeblieben! Wo willst du denn hin, junger Mann«, rief Queen aufgebracht und sprang auf.
»Zu meiner Buchhandlung, liebster Inspektor«, antwortete Ellery widerspenstig. »Du glaubst doch nicht etwa, daß ich es zulasse, daß mir die Falconer-Erstausgabe durch die Lappen geht? Also wirklich – sie könnte tatsächlich noch dort sein.«
»Dieses nutzlose Zeug«, sagte sein Vater grimmig. »Du hast etwas begonnen, und du wirst mir auch helfen, es zu Ende zu bringen. Hierher, Djuna – wo ist der Junge nur wieder?«
Djuna betrat flink den Raum, auf der einen Hand balancierte er ein Tablett, mit der anderen Hand trug er die Milchkanne. Im Nu hatte er den Tisch gedeckt, Kaffe aufgebrüht und das Brot getoastet; wortlos schlangen Vater und Sohn ihr Frühstück hinunter. »Nun«, bemerkte Ellery und setzte seine leere Tasse ab, »nun, da ich dieses gemütliche Mahl beendet habe, sag mir bitte, wo es brennt.«
»Zieh dir Hut und Mantel an und hör auf, sinnlose Fragen zu stellen«, knurrte Queen. Drei Minuten später standen sie unten auf dem Bürgersteig und winkten ein Taxi herbei.
Das Taxi hielt vor einem imposanten Appartmenthaus. Detective Piggott schlenderte, eine Zigarette im Mund, den Bürgersteig entlang. Der Inspektor zwinkerte ihm zu und trat in die Eingangshalle. Der Aufzug brachte sie geschwind in die vierte Etage, wo Detective Hagstrom sie begrüßte und ihnen die Wohnungstür mit der Nummer 4-D zeigte. Ellery, der sich vorgebeugt hatte, um die Schrift auf dem Namensschild lesen zu können, wollte sich gerade mit einer übermütigen Beschwerde an seinen Vater wenden, als auf Queens energisches Klingeln hin die Tür geöffnet wurde und ihnen das breite gerötete Gesicht von Ritter entgegenblickte.
»Morgen, Inspektor«, murmelte der Detective und hielt die Tür auf. »Ich bin froh, daß Sie kommen, Sir.«
Queen und Ellery gingen hinein. Sie befanden sich in einer verschwenderisch eingerichteten Diele. Direkt vor sich sahen sie das Wohnzimmer, dahinter eine geschlossene Tür. Die offene Tür gab den Bück frei auf eine verzierte Damensandalette und einen schlanken Knöchel.
Der Inspektor ging los, überlegte es sich dann aber anders und rief schnell noch nach Hagstrom, der draußen auf dem Gang herumging. Der Detective kam herangeeilt.
»Kommen Sie rein«, sagte Queen scharf. »Ich hab’ hier noch was für Sie.« Mit Ellery und den beiden Männern in Zivil in seinem Gefolge schritt er in das Wohnzimmer.
Eine Frau von reifer, bereits ein wenig verlebter Schönheit, deren blasser, ruinierter Teint unter einer dick aufgetragenen Schicht von Rouge sichtbar wurde, sprang auf. Sie trug ein fließendes, durchscheinendes Neglige; ihr Haar war zerzaust. Nervös trat sie eine Zigarette auf dem Boden aus.