»Ellery – Hüte«, brummte er.
Ellery kam durchs Zimmer geeilt und stopfte sich das Buch, das er gerade las, in die Tasche. Sein Vater wies bedeutungsvoll auf die Hüte; beide langten sie hinauf, um sie zu untersuchen. Es waren vier Hüte – ein ausgeblichener Panamahut, zwei Hüte aus weichem Filz, einer grau, der andere braun, und ein steifer runder Filzhut. Alle trugen sie innen das Zeichen des Herstellers – Browne Bros.
Die beiden Männer beschauten sich die Hute von allen Seiten. Sie bemerkten sofort, daß drei davon kein Futter hatten
– der Panamahut und die zwei aus weichem Filz. Den vierten Hut, eine wirklich vorzügliche Melone, unterzog Queen einer gründlichen Untersuchung. Er tastete das Futter ab, schob das Schweißband zur Seite und schüttelte dann den Kopf.
»Um ganz ehrlich zu sein, Ellery«, sagte er langsam, »weiß ich selbst nicht so genau, warum ich gerade von diesen Hüten einen Anhaltspunkt erwarten sollte. Wir wissen, daß Field gestern abend einen Zylinder trug, und offensichtlich ist es völlig ausgeschlossen, daß sich dieser Hut hier in der Wohnung befindet. Wie wir herausgefunden haben, befand sich der Mörder noch im Theater, als wir dort ankamen. Ritter war um elf Uhr hier. Der Zylinder konnte daher überhaupt nicht hierher zurückgebracht werden. Schließlich, welchen erdenklichen Grund hätte denn der Mörder für eine solche Tat haben sollen, selbst wenn er tatsächlich dazu in der Lage war? Er muß gewußt haben, daß wir Fields Wohnung sofort durchsuchen würden. Ich glaube, ich fühle mich ein wenig angeschlagen, Ellery. Aus diesen Hüten läßt sich nichts rausholen.« Verärgert warf er die Melone wieder zurück auf das Ablagebrett.
Ellery stand nachdenklich und ernst da. »Du hast ganz recht, Vater, diese Hüte haben keine Bedeutung. Aber ich habe das unbestimmte Gefühl … Übrigens!« Er richtete sich auf und nahm seinen Kneifer ab. »Ist dir letzte Nacht eigentlich aufgefallen, daß außer dem Hut vielleicht noch ein anderer Gegenstand aus dem Besitz von Mr. Field gefehlt hat?«
»Ich wünschte, alle Fragen ließen sich so leicht beantworten«, sagte Queen verbissen. »Natürlich – ein Spazierstock. Aber was hätte ich deshalb schon unternehmen können? Einmal angenommen, Field hätte einen mit ins Theater gebracht – für jemanden, der ohne Spazierstock ins Theater gekommen war, wäre es ziemlich leicht gewesen, das Theater mit dem von Field wieder zu verlassen. Wie hätten wir ihn aufhalten oder den Stock erkennen können? Deshalb habe ich daran zunächst keinen Gedanken verschwendet. Und sollte er sich immer noch auf dem Theatergelände befinden, wird er dort auch bleiben, keine Sorge.«
Ellery schmunzelte. »Als Ausdruck meiner Bewunderung für deine überragenden geistigen Fähigkeiten sollte ich an dieser Stelle in der Lage sein, Shelley oder Wordsworth zu zitieren«, sagte er. »Aber ich kann im Moment an keinen poetischeren Satz denken als ›Du hast mich wieder einmal an der Nase herumgeführt‹. Bis gerade eben habe ich überhaupt nicht daran gedacht. Aber das Entscheidende ist: Es ist kein einziger Stock in diesem Schrank. Wenn jemand wie Field so ein Renommierstöckchen für die Abendgarderobe besessen hätte, hätte er sicher auch noch andere Stöcke passend zu den jeweiligen Anzügen sein eigen genannt. Wenn wir nicht noch Stöcke im Schlafzimmerschrank finden – was ich bezweifele, da die gesamte Oberbekleidung hier zu sein scheint –, schließt das also die Möglichkeit aus, daß Field gestern abend einen Stock bei sich trug. Ergo – können wir das Ganze auch wieder vergessen.«
»Nicht schlecht, El«, antwortete der Inspektor abwesend. »Daran hatte ich nicht gedacht. Nun – wir wollen sehen, wie die Männer vorankommen.«
Sie gingen quer durch das Zimmer hinüber zu Hagstrom und Piggott, die gerade den Schreibtisch durchwühlten. Auf der Schreibtischplatte hatte sich bereits ein kleiner Stapel aus Blättern und Briefen angesammelt.
»Irgend etwas Interessantes gefunden?« fragte Queen.
»Nichts von Bedeutung, soweit ich es beurteilen kann, Inspektor«, antwortete Piggott. »Nur der übliche Kram: ein paar Briefe, vor allem von dieser Russo – ganz schön heiße Sachen! –, Rechnungen, Quittungen und so weiter. Ich glaub’ nicht, daß Sie hier drunter was finden werden.«
Queen ging die Blätter durch. »Nein, wirklich nichts Besonderes«, mußte er zugeben. »Gut, dann wollen wir mal weitermachen.« Sie räumten die Papiere wieder in den Schreibtisch zurück. Piggott und Hagstrom durchsuchten zügig das Zimmer. Sie klopften die Möbel ab, faßten unter die Polsterkissen, schauten unter dem Teppich nach; sie gingen sorgfältig und nach allen Regeln der Kunst vor. Queen und Ellery schauten ihnen schweigend zu, als die Tür zum Schlafzimmer aufging. Mrs. Russo erschien dort in einem keß wirkenden braunen Straßenkostüm mit Hut. Sie blieb in der Tür stehen und besah sich die Szene mit weit aufgerissenen und unschuldig wirkenden Augen. Die beiden Detectives fuhren mit ihrer Arbeit fort, ohne aufzuschauen.
»Was machen die da, Inspektor?« erkundigte sie sich in gelangweiltem Ton. »Suchen sie nach Schmucksachen?« Aber ihr Blick war nun durchdringend und voller Interesse.
»Für eine Frau haben Sie sich aber bemerkenswert rasch angekleidet, Mrs. Russo«, sagte der Inspektor bewundernd. »Sie gehen nach Hause?«
Sie warf ihm einen Blick zu. »Ja, sicher«, antwortete sie und schaute weg.
»Und Sie wohnen wo…?« Sie nannte ihm eine Adresse in der MacDougal Street in Greenwich Village.
»Vielen Dank«, sagte Queen höflich und machte sich eine Notiz. Dann ging sie auf die Haustür zu. »Oh, Mrs. Russo!« Sie wandte sich um. »Bevor Sie gehen – könnten Sie uns vielleicht noch etwas über Mr. Fields Trinkgewohnheiten sagen. War er das, was Sie einen starken Trinker nennen würden?«
Die Frage schien sie zu belustigen. »Wenn das alles ist«, sagte sie lachend. »Ja und nein. Ich habe ihn schon eine halbe Nacht durchsaufen sehen, und er schien nüchtern wie ein Pfarrer. Ein anderes Mal war er schon nach ein paar Gläschen total betrunken. Das kam ganz darauf an, verstehen Sie?« Sie mußte erneut lachen.
»Ja, das geht manchem von uns so«, murmelte der Inspektor. »Ich möchte nicht, daß Sie in Schwierigkeiten kommen, Mrs. Russo – aber vielleicht wissen Sie, woher er seinen Whisky bezog?«
Sie hörte auf der Stelle auf zu lachen; in ihrem Gesicht stand ehrliche Entrüstung. »Was denken Sie eigentlich von mir?« wollte sie wissen. »Ich habe keine Ahnung. Aber selbst wenn ich etwas wüßte, würde ich nichts sagen. Glauben Sie mir, es gibt eine Reihe wirklich hart arbeitender Alkoholschmuggler, die den Kerlen, die versuchen, sie einzulochen, haushoch überlegen sind.«
»So ist nun mal das Leben«, erwiderte Queen beschwichtigend. »Trotzdem, meine Liebe«, fuhr er sanft fort, »bin ich sicher, daß Sie mir, wenn ich diese Information wirklich brauchen sollte, darüber Auskunft erteilen werden. Nicht wahr?« Einen Moment lang herrschte Schweigen. »Ich denke, das war zunächst alles, Mrs. Russo. Bitte bleiben Sie in der Stadt. Es könnte sein, daß wir Ihre Aussage bald brauchen.«
»Also – bis dann«, sagte sie und warf den Kopf zurück. Sie ging hinaus in die Diele.
»Mrs. Russo!« rief Queen auf einmal mit schneidender Stimme. Die Hand bereits auf dem Türgriff, wandte sie sich um. Das Lächeln erstarb auf ihren Lippen. »Wissen Sie eigentlich, was Ben Morgan gemacht hat, seitdem er und Field sich voneinander getrennt haben?«