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»Nun, Mrs. Russo«, begann der Inspektor in geschäftsmäßigem Ton, »was können wir heute für Sie tun?«

Sie starrte ihn erstaunt an. »Aber – aber, ich dachte, Sie wollten mich sehen …« Sie kniff die Lippen zusammen. »Hören Sie doch mit dieser Komödie auf, Inspektor!« sagte sie schroff. »Freiwillig mache ich hier keine Anstandsbesuche, das wissen Sie genau. Warum haben Sie mich herbringen lassen?«

Der Inspektor streckte seine sensiblen Finger abwehrend aus; protestierend spitzte er die Lippen. »Aber meine liebe Dame!« sagte er. »Es gibt bestimmt etwas, was Sie mir erzählen wollen. Denn, wenn Sie hier sind – und um diese augenscheinliche Tatsache kommen wir nicht herum –, sind Sie aus gutem Grund hier. Auch wenn ich Ihnen zugestehe, daß Sie nicht ganz aus freiem Willen hergekommen sind – Sie sind auf jeden Fall hergebracht worden, weil Sie mir etwas zu erzählen haben. Ist Ihnen das nicht klar?«

Mrs. Russo blickte ihm fest in die Augen. »Was zum – also hören Sie mal, Inspektor, worauf wollen Sie eigentlich hinaus? Was glauben Sie, habe ich Ihnen zu erzählen? Ich habe alle Fragen, die Sie mir am Dienstag gestellt haben, beantwortet.«

»Gut!« antwortete der alte Mann zornig. »Ich würde sagen, daß Sie am Dienstag morgen nicht alle Fragen vollkommen aufrichtig beantwortet haben. Zum Beispiel – kennen Sie Benjamin Morgan?«

Sie zuckte nicht mit der Wimper. »In Ordnung. Damit haben Sie ins Schwarze getroffen. Ihr Spürhund hat mich erwischt, wie ich gerade aus Morgans Büro kam – na und?« Sie öffnete lässig ihre Handtasche und begann, sich ihre Nase zu pudern. Während sie das tat, warf sie Ellery einen verstohlenen Blick zu. Er war immer noch in sein Buch vertieft und hatte ihre Anwesenheit noch nicht zur Kenntnis genommen. Sie warf den Kopf zurück und wandte sich wieder dem Inspektor zu.

Queen sah sie bekümmert an. »Meine liebe Mrs. Russo, Sie sind nicht fair zu einem alten Mann. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß Sie – soll ich sagen – mich belogen haben, als wir uns das letzte Mal gesprochen haben. Das ist nun einmal ein gefährliches Unterfangen bei Polizeiinspektoren, meine Liebe, ein äußerst gefährliches.«

»Jetzt hören Sie mir mal zu!« sagte die Frau plötzlich. »Auf die weiche Tour kommen Sie bei mir auch nicht weiter, Inspektor. Ich habe Sie am Dienstag morgen belogen. Sehen Sie, ich habe nämlich nicht geglaubt, daß Sie jemanden haben, der mir länger auf den Fersen bleiben kann. Es war reine Glückssache, und ich hatte eben Pech. Sie haben herausgefunden, daß ich gelogen habe und wollen nun wissen, was der Grund dafür war. Ich werde es Ihnen erzählen – oder vielleicht auch nicht!«

»Oho!« rief Queen leise aus. »Sie fühlen sich also sicher genug, mir Bedingungen stellen zu wollen. Sie können mir aber glauben, Mrs. Russo, daß Sie sich selbst gerade eine Schlinge um Ihren äußerst charmanten Hals legen!«

»Was?« Ihre Maske war nun beinahe gefallen; auf dem Gesicht der Frau zeigte sich nur noch Verwirrung. »Sie haben nichts gegen mich in der Hand und wissen das verdammt genau. In Ordnung – ich habe Sie angelogen – aber was fangen Sie damit an? Ich gebe es ja auch zu. Ich werde Ihnen sogar erzählen, was ich im Büro von diesem Morgan gemacht habe, wenn Ihnen das irgendwie weiterhilft! Ich bin nun einmal ein ehrlicher Mensch, Herr Inspektor!«

»Meine liebe Mrs. Russo«, gab der Inspektor gequält mit einem leicht verächtlichen Lächeln zurück, »wir wissen bereits, was Sie an diesem Morgen in Mr. Morgans Büro gemacht haben, so daß Sie uns damit keinen so übergroßen Gefallen erweisen werden … Ich bin wirklich überrascht darüber, daß Sie sich in einem solchen Ausmaß selbst belasten wollen, Mrs. Russo. Erpressung ist ein ziemlich schwerwiegendes Vergehen!«

Die Frau wurde leichenblaß. Sie erhob sich halb von ihrem Stuhl und umklammerte seine Armlehnen.

»Morgan hat also doch geplaudert, das Schwein!« fauchte sie. »Und ich habe ihn für schlauer gehalten. Ich werde ihn fertigmachen, das versprech’ ich Ihnen!«

»Langsam fangen wir an, dieselbe Sprache zu sprechen«, brummte der Inspektor, während er sich nach vorne beugte. »Und was wissen Sie nun über unseren Freund Morgan?«

»Ich weiß etwas über ihn – aber sehen Sie, Inspektor, ich kann Ihnen einen wirklich heißen Tip geben. Sie würden doch einer armen, einsamen Frau keine Anklage wegen Erpressung anhängen wollen, nicht wahr?«

Der Inspektor machte ein langes Gesicht. »Aber, aber, Mrs. Russo!« sagte er. »Sagt man denn so etwas! Ich kann Ihnen natürlich keine Versprechungen machen …« Er erhob sich und baute sich drohend vor ihr auf. Sie schrak ein wenig zurück. »Sie werden mir erzählen, was Sie auf dem Herzen haben, Mrs. Russo«, sagte er bedächtig, »auf die bloße Chance hin, daß ich Ihnen vielleicht meine Dankbarkeit in der allgemein üblichen Art erweisen werde. Fangen Sie jetzt bitte an zu reden, aber die Wahrheit, ist das klar?«

»Oh, ich weiß nur zu gut, daß Sie knallhart sind, Inspektor!« sagte sie murrend. »Aber ich gehe davon aus, daß Sie auch fair sind … Was wollen Sie wissen?«

»Alles.«

»Gut, es ist ja nicht mein Begräbnis«, sagte sie wieder etwas gefaßter. Eine Pause trat ein, während Queen sie erwartungsvoll ansah. Mit seiner Anschuldigung, daß sie Morgan erpreßt habe, hatte er erfolgreich einen Versuchsballon gestartet; jetzt meldeten sich leise Zweifel bei ihm. Sie wirkte zu selbstsicher, als daß es nur um Details aus Morgans Vergangenheit gehen konnte, wie es der Inspektor zu Beginn des Gesprächs angenommen hatte. Er schaute zu Ellery hinüber und bemerkte sofort, daß sein Sohn nicht mehr las, sondern seine Augen auf Mrs. Russo geheftet hatte.

»Inspektor«, sagte Mrs. Russo mit triumphierender Stimme, »ich weiß, wer Monte Field umgebracht hat!«

»Was heißt das?« Queen sprang von seinem Sessel auf, während ein feines Rot in seine bleichen Wangen schoß. Ellery richtete sich ruckartig auf seinem Stuhl auf; sein wachsamer Blick richtete sich auf das Gesicht der Frau. Das Buch, in dem er gelesen hatte, glitt ihm aus den Fingern und fiel mit einem dumpfen Knall auf den Boden.

»Ich sagte, ich weiß, wer Monte Field getötet hat«, wiederholte Mrs. Russo, die offensichtlich die Aufregung, die sie verursacht hatte, genoß. »Es war Benjamin Morgan; und ich hörte, wie er Monte an dem Abend, bevor er getötet wurde, bedrohte!«

»Oh!« sagte der Inspektor und setzte sich wieder hin. Ellery hob sein Buch auf und nahm die unterbrochene Lektüre des ›Handbuchs der Handschriftenkunde‹ wieder auf. Es kehrte wieder Ruhe ein. Velie, der Vater und Sohn die ganze Zeit über erstaunt betrachtet hatte, schien die abrupte Veränderung im Verhalten der beiden nicht verstehen zu können.

Mrs. Russo wurde ärgerlich. »Sie denken wohl, ich lüge schon wieder; aber das tue ich nicht!« schrie sie. »Aber ich sage Ihnen, ich habe mit meinen eigenen Ohren gehört, wie Ben Morgan am Sonntag abend zu Monte sagte, daß er ihn beseitigen würde!«

Der Inspektor war ernst, aber gelassen. »Ich zweifle nicht im geringsten an Ihren Worten, Mrs. Russo. Sind Sie sicher, daß es Sonntag abend war?«

»Sicher?« sagte sie schrill. »Ich weiß es ganz genau.«