»Und wo soll das gewesen sein?«
»In Monte Fields eigener Wohnung war das!« sagte sie bissig. »Ich war den ganzen Sonntag abend mit Monte zusammen. Soweit ich weiß, erwartete er keinen Besuch, weil wir normalerweise keine weiteren Gäste hatten, wenn wir den Abend zusammen verbrachten … Sogar Monte schrak auf, als es ungefähr um elf Uhr klingelte, und sagte: ›Wer um alles in der Welt kann das sein?‹ Wir saßen zu diesem Zeitpunkt im Wohnzimmer. Er stand auf und ging zur Tür, und unmittelbar danach hörte ich draußen die Stimme eines Mannes. Ich nahm an, daß Monte nicht wollte, daß mich jemand sah; so ging ich ins Schlafzimmer und schloß die Tür bis auf einen kleinen Spalt. Ich konnte hören, wie Monte versuchte, den Mann abzuwimmeln. Trotzdem kamen sie schließlich ins Wohnzimmer. Durch den Türspalt konnte ich diesen Morgan sehen – zu dem Zeitpunkt wußte ich noch nicht, wer er war, aber ich entnahm das später ihrer Unterhaltung. Und hinterher hat Monte es mir auch erzählt.«
Einen Moment hielt sie inne. Der Inspektor hörte ihr gelassen zu; Ellery schenkte ihren Worten nicht die leiseste Aufmerksamkeit. Verzweifelt fuhr sie fort.
»Sie redeten ungefähr eine halbe Stunde miteinander; ich hätte heulen können. Morgan machte einen recht kaltblütigen und gefaßten Eindruck; erst zum Schluß regte er sich auf. Soviel ich verstand, hatte Monte kurz davor von Morgan einen ganzen Haufen Zaster im Austausch gegen einige Papiere verlangt; Morgan sagte, daß er das Geld nicht hätte und auch nicht auftreiben könnte. Er sagte, er hätte sich entschlossen, Monte einen Besuch abzustatten, um der Sache ein für allemal ein Ende zu bereiten, Monte war ziemlich sarkastisch und gemein – er konnte furchtbar gemein sein, wenn er wollte. Morgan wurde immer wütender und wütender, und ich sah, wie er sich kaum noch beherrschen konnte …«
Der Inspektor unterbrach sie. »Aus welchem Grund verlangte Field das Geld?«
»Das würde ich auch gerne wissen, Inspektor«, antwortete sie wütend. »Aber beide waren sehr darauf bedacht, den Grund dafür nicht zu erwähnen … Auf jeden Fall hatte es etwas mit diesen Papieren zu tun, die Monte an Morgan verkaufen wollte. Es ist nicht schwierig zu erraten, daß Monte etwas gegen Morgan in der Hand hatte und versuchte, ihn in die Enge zu treiben.«
Bei der Erwähnung des Wortes ›Papiere‹ war Ellerys Interesse an Mrs. Russos Geschichte neu erwacht. Er hatte das Buch beiseite gelegt und begonnen, aufmerksam zuzuhören. Der Inspektor warf ihm einen kurzen Blick zu, als er sich wieder der Frau zuwandte.
»Und welche Summe verlangte Field, Mrs. Russo?«
»Sie werden es mir nicht glauben«, sagte sie mit einem verächtlichen Lachen. »Monte war da nicht kleinlich. Er wollte
– fünfzigtausend Dollar!«
Der Inspektor schien ungerührt. »Fahren Sie fort.«
»Da waren sie also«, fuhr sie fort, »und ein Wort gab das andere, wobei Monte immer kaltschnäuziger und Morgan immer wütender wurde. Schließlich ergriff Morgan seinen Hut und schrie: ›Ich will verdammt sein, wenn ich mich von Ihnen noch länger ausnehmen lasse, Sie Blutsauger! Sie können von mir aus machen, was Sie wollen – ich bin fertig mit Ihnen, verstehen Sie? Ich bin endgültig fertig mit Ihnen!‹ Er war leichenblaß geworden. Monte stand nicht einmal von seinem Stuhl auf. Er sagte nur: ›Sie können von mir aus machen, was Sie wollen, mein lieber Benjamin, aber Sie haben genau drei Tage Zeit, mir das Geld zu übergeben. Und versuchen Sie nicht zu feilschen, ist das klar? Fünfzigtausend oder – aber ich brauche Sie ja nicht an die Folgen einer Weigerung zu erinnern.‹ Monte war wirklich ganz schön gerissen«, fügte sie bewundernd hinzu. »Er konnte den Ton wie ein echter Profi drauf haben.
Morgan fummelte an seinem Hut herum«, fuhr sie fort, »als wüßte er nicht, wo er mit seinen Händen hin sollte. Dann platzte er heraus mit den Worten ›Ich habe Ihnen gesagt, woran Sie sind, Field, und ich bleibe dabei. Wenn Sie diese Papiere an die Öffentlichkeit bringen – und sollte es mich zugrunde richten –, werde ich dafür sorgen, daß Sie zum allerletzten Mal jemanden erpreßt haben!‹ Er hielt Monte seine Faust unter die Nase und sah aus, als wollte er ihn auf der Stelle umbringen. Dann beruhigte er sich und marschierte ohne ein weiteres Wort aus der Wohnung.«
»Ist das die ganze Geschichte, Mrs. Russo?«
»Genügt Ihnen das nicht?« fuhr sie auf. »Was wollen Sie eigentlich? Wollen Sie diesen feigen Mörder noch in Schutz nehmen? … Aber das ist noch nicht alles. Nachdem Morgan gegangen war, sagte Monte zu mir: ›Hast du gehört, was mein Freund gesagt hat?‹ Ich tat so, als hätte ich nichts gehört, aber Monte war ja nicht dumm. Er zog mich auf seinen Schoß und sagte übermütig: ›Er wird das noch bereuen, mein Engel …‹ Er nannte mich immer Engel«, fügte sie schüchtern hinzu.
»Ich verstehe …«, sagte der Inspektor gedankenverloren. »Und was hat nun Mr. Morgan gesagt, das Sie es als Drohung gegen Fields Leben aufgefaßt haben?«
Sie starrte ihn ungläubig an. »Mein Gott, sind Sie dumm oder was?« rief sie aus. »Er sagte: ›Ich werde dafür sorgen, daß Sie das letzte Mal irgend jemanden erpreßt haben!‹ Und als dann mein geliebter Monte am Abend darauf getötet wurde …«
»Eine durchaus verständliche Schlußfolgerung«, sagte Queen lächelnd. »Verstehe ich Sie richtig, daß Sie Klage gegen Benjamin Morgan einreichen wollen?«
»Ich will überhaupt nichts einreichen, sondern nur meine Ruhe haben, Inspektor«, gab sie zurück. »Ich hab’ Ihnen die ganze Geschichte erzählt – machen Sie nun damit, was Sie wollen.« Sie zuckte die Achseln und wollte sich erheben.
»Einen Augenblick noch, Mrs. Russo.« Der Inspektor hielt sie mit einer Handbewegung zurück. »Sie haben in Ihrer Geschichte einige ›Papiere‹ erwähnt, mit denen Field Morgan bedrohte. Hat Field diese Papiere zu irgendeinem Zeitpunkt während des Streits auch hervorgeholt?«
Mrs. Russo sah den alten Mann kühl an. »Nein, Sir, das tat er nicht. Und glauben Sie mir, es tut mir auch nicht leid, daß er sie nicht herausgeholt hat!«
»Eine reizende Einstellung, Mrs. Russo. Eines Tages … Ich hoffe, Ihnen ist klar, daß Sie in dieser Sache keine ganz reine Weste haben, wie man so schön sagt«, bemerkte der Inspektor. »Denken Sie daher lieber gut nach, bevor Sie meine nächste Frage beantworten. Wo bewahrte Monte Field seine persönlichen Papiere auf?«
»Da muß ich nicht lange nachdenken, Inspektor«, gab sie unfreundlich zurück, »ich weiß es nämlich nicht. Hätte es die Möglichkeit gegeben, das in Erfahrung zu bringen, dann wüßte ich es, keine Sorge.«
»Vielleicht haben Sie selbst ein paar Streifzüge durch Fields Wohnung unternommen, wenn er gerade nicht zu Hause war?« fuhr der Inspektor amüsiert fort.
»Kann schon sein«, gab sie mit dem Anflug eines Lächelns zurück. »Aber ohne Erfolg. Ich kann beschwören, daß in diesen Zimmern nichts zu finden ist. Nun, Inspektor, noch etwas?«
»Ist Ihnen aus Ihrem langen und zweifelsohne vertrauten Umgang mit Ihrem galanten Leander bekannt, Mrs. Russo«, sagte Ellery mit eisiger Stimme, »wie viele seidene Zylinder er besaß?«
Ellerys klare Stimme schien sie zu verwirren. Dennoch strich sie sich kokett über ihr Haar, als sie sich ihm zuwandte.
»Sie sind hier wohl für die Rätsel zuständig«, kicherte sie. »Soweit ich weiß, mein Herr, hatte er nur einen. Wie viele davon braucht ihr Burschen denn?«
»Sie sind sich dessen ganz sicher, nehme ich an«, sagte Ellery.