»So sicher, wie Sie da vor mir sitzen, Mr. – Queen.« Sie brachte es fertig, einen zärtlichen Klang in ihre Stimme zu bringen. Ellery starrte sie an, als handelte es sich um ein Exemplar einer seltenen Spezies. Sie schmollte ein wenig und wandte sich dann kess herum.
»Ich scheine hier nicht sehr beliebt zu sein; deshalb werde ich lieber verschwinden … Sie werden mich doch nicht in so eine häßliche Zelle stecken, nicht wahr, Inspektor? Ich kann jetzt gehen, oder?«
Der Inspektor nickte. »Oh, ja – Sie dürfen gehen, Mrs. Russo, jedoch nur unter einer bestimmten Auflage … Aber verstehen Sie bitte, daß wir Ihre reizende Gesellschaft in nicht allzu ferner Zukunft wieder benötigen könnten. Werden Sie in der Stadt bleiben?«
»Mit dem größten Vergnügen, sicher!« lachte sie und rauschte aus dem Zimmer.
Velie schnellte von seinem Platz hoch und sagte: »Nun, Inspektor, ich nehme an, daß damit alles klar ist!«
Der Inspektor sank müde auf seinen Stuhl zurück. »Willst du damit etwa andeuten, Thomas, daß Morgan wegen des Mordes an Monte Field festgenommen werden soll – wie einer von Ellerys dummen erfundenen Sergeanten, mit denen du doch eigentlich nichts gemein hast?«
»Nun – was denn sonst?« fragte Velie verlegen.
»Wir werden noch ein wenig Zeit brauchen«, gab der alte Mann betrübt zurück.
Sechzehntes Kapitel
in welchem die Queens ins Theater gehen
Ellery und sein Vater sahen sich quer durch das kleine Büro an. Velie hatte verdutzt die Stirn in Falten gelegt und wieder Platz genommen. Eine Zeitlang saß er dort schweigend mit den anderen, schien dann plötzlich eine Entscheidung getroffen zu haben und bat um die Erlaubnis, den Raum verlassen zu dürfen.
Der Inspektor lächelte verschmitzt, während er sich am Deckel seiner Schnupftabakdose zu schaffen machte.
»Ich hoffe, sie hat dir keinen allzu großen Schrecken eingejagt, Ellery?«
Ellery blieb jedoch ernst. »Bei dieser Frau bekomme ich eine Gänsehaut«, sagte er und schauderte. »Schrecken ist noch viel zu milde ausgedrückt.«
»Ich konnte einen Augenblick lang einfach nicht begreifen, warum sie sich so verhalten hat«, sagte Inspektor Queen. »Sich vorzustellen, daß sie Bescheid wußte, während wir im dunkeln herumtappten … Das hat mich doch verwirrt.«
»Ich würde sagen, daß das Gespräch überaus erfolgreich verlaufen ist«, äußerte Ellery. »Vor allem, weil ich auf einige interessante Sachverhalte in diesem gewichtigen Band zur Handschriftenkunde gestoßen bin. Aber Mrs. Angela Russo entspricht nun wirklich nicht meiner Idealvorstellung von einer Frau …«
»Wenn du mich fragst«, sagte der Inspektor schmunzelnd, »so ist unsere hübsche Freundin ganz schön in dich vernarrt. Stell dir mal vor, was für Chancen du bei ihr hättest!«
Auf Ellerys Gesicht zeigte sich tiefster Abscheu.
»Na schön!« Queen griff nach einem der Telefone auf seinem Schreibtisch. »Was meinst du, Ellery? Sollen wir Benjamin Morgan noch ein zweites Mal die Möglichkeit geben, alles zu erklären?«
»Das hat er verdammt noch mal nicht verdient«, sagte Ellery murrend. »Aber so geht man wohl üblicherweise vor.«
»Du vergißt die Papiere, mein Sohn – die Papiere«, entgegnete der Inspektor mit einem Augenzwinkern.
In freundlichem Tonfall sprach er mit der Telefonvermittlung, und nur wenig später klingelte sein Telefon.
»Guten Tag, Mr. Morgan«, sagte Queen vergnügt. »Wie geht es Ihnen heute?«
»Inspektor Queen?« fragte Morgan nach einem leichten Zögern. »Ihnen auch einen guten Tag. Wie geht der Fall voran?«
»Das nenne ich offen gefragt, Mr. Morgan«, lachte der Inspektor. »Ich wage es jedoch nicht zu antworten – Sie würden mir sonst Unfähigkeit vorwerfen … Mr. Morgan, hätten Sie heute abend zufällig Zeit?«
»Nun – eigentlich«, erklang etwas zögernd die Stimme des Rechtsanwalts, die nun kaum mehr hörbar war. »Ich werde natürlich zu Hause zum Abendessen zurückerwartet, und ich glaube, meine Frau hat für heute einen Bridgeabend organisiert. Warum fragen Sie, Inspektor?«
»Ich dachte daran, Sie zu bitten, mit meinem Sohn und mir gemeinsam zu Abend zu speisen«, sagte der Inspektor bedauernd. »Könnten Sie sich nicht vielleicht für die Dinnerzeit freimachen?«
Morgan sagte schließlich nach einer längeren Pause: »Wenn es unbedingt nötig ist, Inspektor?«
»So würde ich es nicht gerade ausdrücken, Mr. Morgan … Aber ich wüßte es zu schätzen, wenn Sie die Einladung annehmen würden.«
»Oh.« Morgans Stimme klang nun etwas entschiedener. »Wenn das so ist, stehe ich Ihnen zur Verfügung, Inspektor. Wo werde ich Sie treffen?«
»Sehr schön, wirklich ausgezeichnet!« sagte Queen. »Wie wäre es um sechs bei Carlos?«
»Sehr gut, Inspektor«, antwortete der Anwalt ruhig und hängte den Hörer ein.
»Ich kann mir nicht helfen, mir tut der arme Bursche leid«, murmelte der alte Mann.
Ellery murrte. Ihm war nicht nach irgendwelchen Sympathiebekundungen. Der Besuch von Mrs. Angela Russo hatte einen üblen Nachgeschmack bei ihm hinterlassen.
Pünktlich um sechs Uhr trafen Inspektor Queen und Ellery im gastlichen Foyer von Carlos’ Restaurant auf Benjamin Morgan.
Niedergeschlagen saß er in einem roten Ledersessel und starrte auf seine Handrücken. Traurig ließ er seine Lippen hängen; auch seine weit auseinanderstehenden Knie ließen ihn irgendwie bedrückt erscheinen.
Als die beiden Queens näher kamen, unternahm er den löblichen Versuch zu lächeln. Er erhob sich mit einer Entschlossenheit, die seinen scharf beobachtenden Gastgebern verriet, daß er innerlich auf ein ganz bestimmtes Verhalten eingestellt war. Der Inspektor sprudelte über vor guter Laune – teils, weil er eine aufrichtige Zuneigung zu dem beleibten Rechtsanwalt verspürte, teils, weil er es als seine Pflicht empfand. Ellery war wie gewöhnlich unverbindlich.
Die drei Männer begrüßten sich wie alte Freunde. »Freut mich, daß Sie kommen konnten, Morgan«, sagte der Inspektor. »Ich muß mich wirklich bei Ihnen dafür
entschuldigen, daß ich Sie von Ihrem Essen zu Hause entführt habe. Es gab mal eine Zeit …« Er seufzte, und sie setzten sich.
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagte Morgan mit mattem Lächeln. »Sie wissen wahrscheinlich, daß jeder verheiratete Mann es sich auch gerne einmal alleine schmecken läßt … Nun, Inspektor, was ist es denn, worüber Sie mit mir reden wollten?«
Mahnend erhob der alte Mann einen Finger. »Warten wir noch mit dem Geschäftlichen«, sagte er. »Ich vermute, Louis hält zunächst eine erstklassige Stärkung für uns bereit – nicht wahr, Louis?«
Das Dinner war ein kulinarischer Genuß. Der Inspektor, der den Feinheiten der Kochkunst wenig Beachtung schenkte, hatte die Auswahl des Menüs seinem Sohn überlassen. Ellerys Interesse an schmackhaftem Essen und dessen Zubereitung konnte man fast schon als fanatisch bezeichnen. Folglich speisten die drei Männer ausgezeichnet. Morgan schien zunächst sein Essen kaum anrühren zu wollen, wurde aber mehr und mehr empfänglich für die köstlichen Speisen, die ihm aufgetragen wurden, bis er schließlich ganz und gar seine Sorgen vergaß und mit seinen Gastgebern plauderte und lachte.