Cronin ergriff die Tasse, die Djuna vor ihn hingestellt hatte, und kippte den kochendheißen Inhalt mit einem Schluck hinunter. »Wie es vorangeht?« rief er und knallte die Tasse auf den Tisch. »Es geht überhaupt nicht voran – das Ergebnis ist null, nichts! Wenn ich nicht bald ein paar beweiskräftige Dokumente in die Finger kriege, werde ich verrückt! Die Ratten wagen sich schon nicht mehr aus ihren Löchern, so haben Stoates und ich Fields schickes Büro auf den Kopf gestellt – nichts zu finden. Gar nichts! Mensch – es ist unvorstellbar. Ich verwette meinen guten Ruf darauf, daß irgendwo – und Gott alleine weiß wo – Fields Papiere versteckt sind und nur darauf warten, daß jemand vorbeikommt und sie an sich nimmt.«
»Die Sache mit den versteckten Papieren scheint sich bei Ihnen zu einer richtigen Phobie zu entwickeln, Cronin«, bemerkte Ellery sanft. »Man sollte meinen, wir lebten noch zu Zeiten Charles I. So was wie Geheimverstecke gibt es nicht mehr. Man muß nur wissen, wo man zu suchen hat.«
Cronin grinste ihn unverschämt an. »Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, Mr. Queen. Ich schlage vor, Sie nennen mir den Ort, wo Mr. Monte Field seine Papiere aufzubewahren pflegte.«
Ellery zündete sich eine Zigarette an. »In Ordnung, ich nehme die Herausforderung zu einem Wettstreit an … Sie behaupten – und ich bezweifle Ihre Worte nicht im geringsten –, daß die Dokumente, von deren Existenz Sie ausgehen, nicht in Fields Büro sind … Dabei fällt mit ein: Was macht Sie eigentlich so sicher, daß Field Dokumente besaß, die ihn wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser verzweigten Verbrecherorganisation, von der Sie uns erzählt haben, belasten?«
»Er muß sie einfach haben«, gab Cronin zurück. »Eine merkwürdige Logik, aber es paßt zusammen … Meine Informationen bestätigen eindeutig, daß Field Briefe und schriftlich fixierte Pläne besaß, die ihn mit führenden Gangstern in Verbindung bringen, die wir ständig zu schnappen versuchen, gegen die uns aber bislang die Beweise fehlten. Sie können mir das glauben; die Geschichte ist zu kompliziert, um sie hier im einzelnen darzulegen. Sie werden noch sehen, daß ich recht habe, Mr. Queen – Field besaß Papiere, die er nicht beseitigen durfte. Das sind die Papiere, nach denen ich suche.«
»Zugegeben«, sagte Ellery. »Ich wollte auch nur wissen, welche Fakten Sie haben. Lassen Sie es mich also noch einmal wiederholen: Diese Papiere sind nicht in seinem Büro. Wir müssen also irgendwo anders danach suchen. Sie könnten zum Beispiel in einem Bankschließfach versteckt sein.«
»Aber, El«, warf der Inspektor ein, nachdem er dem Wortwechsel zwischen Cronin und Ellery amüsiert zugehört hatte, »habe ich dir nicht heute morgen noch erzählt, daß Thomas dieser Spur nachgegangen ist? Field hatte kein Bankschließfach. So viel steht fest. Er besaß auch kein Postfach – weder unter seinem eigenen noch unter einem anderen Namen.
Thomas hat auch eine mögliche Clubmitgliedschaft Fields überprüft und dabei festgestellt, daß der Rechtsanwalt keinen anderen Wohnsitz – auch nicht vorübergehend – als den in der 75. Straße hatte. Auch darüber hinaus fand Thomas bei seinen ganzen Erkundigungen nicht den kleinsten Hinweis auf ein mögliches Versteck. Er dachte, daß Field vielleicht die Papiere in einem Karton oder einer Tasche dem Besitzer eines Geschäftes zur Aufbewahrung gegeben haben könnte oder so etwas in der Richtung. Aber es gab keinerlei Spur … Velie erledigt solche Dinge ausgezeichnet, Ellery. Du kannst deinen letzten Dollar darauf verwetten, daß deine Hypothese falsch ist.«
»Ich habe diese Möglichkeit zu Cronins Vorteil angeführt«, gab Ellery zurück. Er spreizte seine Finger kunstvoll auf dem Tisch und schloß die Augen. »Es ist nämlich so, daß wir das Gebiet unserer Suche so weit einengen müssen, bis wir eindeutig sagen können: ›Hier müssen sie sein.‹ Das Büro, der Tresor und das Postfach konnten ausgeschlossen werden. Wir wissen aber, daß Field es sich nicht erlauben konnte, die Papiere an einem nur schwer zugänglichen Ort aufzubewahren. Ich könnte das nicht beschwören für die Papiere, die Sie suchen, Cronin; aber mit den Papieren, die wir suchen, ist das was anderes. Nein, Field hatte sie irgendwo in seiner Nähe … Und um noch einen Schritt weiterzugehen: Es ist durchaus angemessen, davon auszugehen, daß er alle seine wichtigen Geheimpapiere in ein und demselben Versteck aufbewahrte.«
Cronin kratzte sich am Kopf und nickte zustimmend. »Wir sollten nun einige grundsätzliche Überlegungen anstellen, meine Herren.« Ellery machte eine Pause, als wollte er seinen nächsten Äußerungen mehr Nachdruck verleihen. »Da wir das Gebiet unserer Nachforschungen unter Ausschluß aller möglichen Verstecke bis auf ein einziges eingeengt haben, müssen sich die Papiere in diesem einen Versteck befinden … Das steht wohl außer Frage.«
»Wo ich jetzt Gelegenheit habe, darüber nachzudenken«, bemerkte der Inspektor, dessen gute Laune auf einmal einer gedrückten Stimmung gewichen war, »vielleicht waren wir doch nicht so sorgfältig bei unserer Suche, wie wir hatten sein können.«
»Wir sind auf der richtigen Spur«, sagte Ellery bestimmt. »Dessen bin ich mir so sicher, wie heute Freitag ist und es in dreißig Millionen Haushalten Fisch zum Abendessen geben wird.«
Cronin schaute ihn verwirrt an. »Ich verstehe Sie nicht ganz, Mr. Queen. Was meinen Sie damit, daß es nur noch ein mögliches Versteck gibt?«
»Fields Wohnung, Cronin«, antwortete Ellery gelassen. »Dort sind die Papiere.«
»Aber gerade darüber habe ich gestern noch mit dem Staatsanwalt gesprochen«, entgegnete Cronin, »und der sagte, daß Sie Fields Wohnung auf den Kopf gestellt, aber nichts gefunden haben.«
»Das ist nur zu wahr«, sagte Ellery. »Wir haben Fields Wohnung durchsucht und nichts gefunden. Das Problem ist, daß wir nicht an der richtigen Stelle gesucht haben, Cronin.«
»Nun, zum Donnerwetter, wenn Sie die Stelle jetzt kennen, dann nichts wie hin!« rief Cronin und sprang von seinem Stuhl auf.
Der Inspektor klopfte dem rothaarigen Mann freundlich aufs Knie und wies auf den Stuhl. »Setzen Sie sich, Tim«, wies er ihn an. »Ellery gibt sich nur wieder seinem Lieblingsspiel, dem Schlußfolgern, hin. Er weiß genau so wenig wie Sie, wo sich die Papiere befinden. Er spekuliert nur … In der Kriminalliteratur«, fügte er mit einem traurigen Lächeln hinzu, »nennt man das die ›Kunst der Schlußfolgerung‹.«
»Es hat den Anschein«, brummte Ellery, während er Tabakqualm vor sich her blies, »daß ich schon wieder herausgefordert werde. Nichtsdestotrotz, obwohl ich noch nicht wieder in Fields Wohnung gewesen bin, beabsichtige ich, mit der freundlichen Erlaubnis von Inspektor Queen, dorthin zurückzukehren und die anrüchigen Dokumente zu finden.«
»Was diese Papiere anbelangt …«, begann der alte Mann, wurde aber durch ein Klingeln an der Türe unterbrochen. Djuna führte Sergeant Velie herein, der von einem schmächtigen, verstohlen blickenden jungen Mann begleitet wurde, der vor Angst zitterte. Der Inspektor sprang auf und fing die beiden ab, bevor sie das Wohnzimmer betreten konnten. Cronin blickte erstaunt auf, als der Inspektor fragte: »Ist das der Bursche, Thomas?« und der Detective mit einer Art grimmigen Humor antwortete: »In voller Lebensgröße, Inspektor.«
»Sie trauen sich zu, in eine Wohnung einzubrechen, ohne erwischt zu werden, nicht wahr?« fragte der Inspektor freundlich und faßte den neu angekommenen Gast am Arm. »Sie sind der richtige Mann für mich.«
Der verstohlen um sich blickende junge Mann schien vor Angst zu erstarren. »Hören Sie, Inspektor, Sie wollen mich doch nicht reinlegen, oder?« stotterte er.