»Wir wissen, wann wir uns geschlagen geben müssen, mein Sohn – du brauchst es uns nicht noch unter die Nase zu reiben«, meinte der Inspektor lachend. Er zog das Gummiband ab, überflog schnell die Papiere und steckte sie mit zufriedenem Lächeln in seine Brusttasche.
»Morgans Briefe«, sagte er kurz und nahm sich eine der Melonen.
Die Innenseite des Schweißbandes war mit einem geheimnisvollen X markiert. Der Inspektor fand eine Reihe von Nadelstichen genau wie zuvor im Zylinder. Nachdem er die Papiere herausgezogen hatte – ein dickeres Bündel als zuvor das von Morgan –, sah er sie oberflächlich durch. Er gab sie dann weiter an Cronin, dessen Finger zitterten.
»Ein Glückstreffer, Tim«, sagte er langsam. »Der Mann, den Sie schnappen wollten, ist tot, aber hier können Sie eine Menge großer Namen finden. Sie werden noch zum Helden avancieren.«
Cronin griff nach dem Bündel Papiere und faltete sie nacheinander wie im Rausch auseinander. »Das sind sie – das sind sie!« rief er. Er sprang auf und stopfte das Bündel in seine Tasche.
»Ich muß los, Inspektor«, sagte er schnell. »Es gibt schließlich eine Menge zu tun – und außerdem, was Sie in diesem vierten Hut finden werden, ist nicht meine Angelegenheit. Ich kann Ihnen und Mr. Queen gar nicht genug danken! Bis dann!«
Er stürzte aus dem Zimmer, und einen Augenblick später wurde das Schnarchgeräusch des Polizisten in der Diele abrupt unterbrochen. Die Wohnungstüre fiel mit einem Knall ins Schloß.
Ellery und der Inspektor sahen sich an.
»Ich weiß nicht, wohin uns dieser ganze Kram führen wird«, brummte er, während er sich am Schweißband des letzten Hutes, einer Melone, zu schaffen machte. »Wir haben Verschiedenes gefunden, Schlüsse gezogen, uns alles immer wieder im Kopf herumgehen lassen – nun …« Er seufzte, als er das Lederband ins Licht hielt.
Es war gezeichnet: DIV.
Achtzehntes Kapitel
in welchem man einen toten Punkt erreicht
Am Freitag mittag, während Inspektor Queen, Ellery und Timothy Cronin noch mit der Durchsuchung von Monte Fields Zimmern beschäftigt waren, spazierte Sergeant Velie in trüber Stimmung und ungerührt wie immer die 87. Straße vom Broadway her hinab, stieg die Sandsteinstufen zu dem Haus, in dem die Queens lebten, hinauf und klingelte. Mit heiterer Stimme bat Djuna ihn einzutreten; ohne eine Miene zu verziehen, kam der brave Sergeant dieser Aufforderung nach.
»Der Inspektor ist nicht zu Hause«, verkündete Djuna schnippisch, wobei seine schmale Gestalt fast völlig hinter einer riesigen Kittelschürze verborgen war. Der angenehme Duft von Zwiebelsteaks durchzog die Luft.
»Ich werd’ dir noch mal Beine machen, du Knirps!« brummte Velie. Aus seiner Brusttasche zog er einen unförmigen versiegelten Briefumschlag und reichte ihn Djuna. »Gib das dem Inspektor, wenn er zurückkommt. Wenn du es vergißt, schmeiß’ ich dich in den East River.«
»Und wer hilft Ihnen dabei?« flüsterte Djuna, wobei es um seine Lippen merklich zuckte. »Ja, Sir«, fügte er dann anständig hinzu.
»Dann ist es gut.« Bedächtig machte Velie wieder kehrt und stieg zur Straße hinunter; aus dem Fenster konnte der grinsende Djuna noch eine Weile auf seine breiten Schultern hinabschauen.
Als sich dann kurz vor sechs Uhr die beiden Queens müde und erschöpft in ihre Wohnung schleppten, fiel der wachsame Blick des Inspektors sofort auf den Dienstumschlag.
Er riß den Umschlag auf einer Seite auf und zog eine Reihe von maschinengeschriebenen Blättern aus dem Büro der Kriminalpolizei heraus.
»Sehr schön«, murmelte er in Richtung Ellery, der sich gerade langsam den Mantel auszog. »Jetzt haben wir alle zusammen …«
Er ließ sich in einen Sessel fallen und begann – den Hut noch auf seinem Kopf, den Mantel noch zugeknöpft –, die Berichte laut vorzulesen.
Auf dem ersten Blatt stand:
Bericht über die Freilassung 28. September 192- John Cazzanelli, alias Pfarrer Johnny, alias Itaker-John, alias Peter Dominick, wurde heute unter Auflagen aus der Haft entlassen.
Geheime Nachforschungen über J. C.s Mittäterschaft beim Raubüberfall auf die Seidenspinnerei Bonomo (2. Juni 192-) blieben ohne Ergebnis. Wir suchen nach ›Dinky‹ Morehouse, einem Polizeiinformanten, der zur Zeit nirgendwo aufzufinden ist, um weitergehende Informationen zu erhalten.
Entlassung erfolgte auf Anweisung von Staatsanwalt Sampson. J. C. wird überwacht und ist jederzeit verfügbar.
T.V.
Der zweite Bericht, den der Inspektor in die Hand nahm, nachdem er die Mitteilung betreffs Pfarrer Johnny stirnrunzelnd beiseite gelegt hatte, lautete folgendermaßen:
Bericht über William Pusak 28. September 192- Die Nachforschungen über den Werdegang von William Pusak haben folgendes ergeben;
32 Jahre alt; geboren in Brooklyn, N.Y., als Sohn von Einwanderern; unverheiratet, jedoch kein Einzelgänger; hat Verabredungen an drei oder vier Abenden in der Woche; religiös. Ist Buchhalter im Bekleidungsgeschäft Stein & Rauch, 1076 Broadway. Spielt nicht und trinkt nicht. Bewegt sich nicht in schlechter Gesellschaft. Sein einziges Laster scheinen die Frauen zu sein.
Ging seit Montag abend seinen normalen Aktivitäten nach. Keine Briefe abgeschickt, kein Geld von der Bank abgehoben, ganz gewöhnliche Arbeitszeit. Nichts, was Verdacht erregen könnte.
Das Mädchen, Esther Jablow, scheint wohl Pusaks Favoritin zu sein. Hat E. J. zweimal seit Montag gesehen – Dienstag zum Mittagessen und Mittwoch abend. An dem Abend gingen sie ins Kino und in ein chinesisches Restaurant.
Detective, Dienstnummer 4 Genehmigt: T. V.
Brummend warf der Inspektor das Blatt beiseite. Die Überschrift über dem dritten Bericht lautete:
Bericht über Madge O’Connell
Bis Freitag, 28. Sept. 192- O’Connell wohnt in der 10. Avenue, Nr. 1436. Mietwohnung im vierten Stock. Uneheliches Kind. Wegen der Schließung des Römischen Theaters seit Montag abend ohne Arbeit. Verließ das Theater an besagtem Abend zusammen mit den Zuschauern. Ging nach Hause, führte aber unterwegs noch von einem Drugstore Ecke 8. Avenue und 48. Straße ein Telefongespräch. Mit wem, war nicht herauszufinden. Konnte hören, wie Pfarrer Johnny in dem Gespräch erwähnt wurde. Sie schien sehr aufgeregt zu sein.
Verließ am Dienstag bis ein Uhr mittags nicht das Haus. Kein Versuch, Pfarrer Johnny im Gefängnis zu sprechen. Klapperte einige Theateragenturen ab, um Stelle als Platzanweiserin zu finden, nachdem sie erfahren hatte, daß das Römische Theater auf unbestimmte Zeit geschlossen war.
Bis Donnerstag dann nichts Neues. Nach einem Anruf des Managers ging sie am Donnerstag abend wieder zurück an ihre Arbeit. Machte keinen Versuch, Pfarrer Johnny zu sehen oder zu sprechen. Keine Telefonanrufe, keine Besucher, keine Post. Schien verdächtig – vermutlich weiß sie aber, daß sie beschattet wird.
Detective, Dienstnummer 11
»Hm!« brummte der Inspektor, als er das nächste Blatt aufnahm. »Mal sehen, was jetzt kommt …«
Bericht über Frances Ives-Pope
28. September 192- F.I.-P. verließ das Römische Theater am Montag abend, direkt, nachdem sie aus dem Büro des Geschäftsführers von Inspektor Queen entlassen worden war. Wurde wie die anderen Zuschauer auch am Hauptausgang durchsucht. Ging zusammen mit den Mitgliedern des Ensembles, Eve Ellis, Stephen Barry und Hilda Orange weg. Nahmen ein Taxi zum Haus der Ives-Popes am Riverside Drive. Man brachte sie in halb bewußtlosem Zustand ins Haus. Die drei Schauspieler verließen das Haus bald darauf wieder.