Es waren fast die Tage des Vorfrühlings herangekommen, ehe ich mit diesem Werke fertig war. Dies hatte seinen Grund auch vorzüglich darin, daß ich die späteren hellen Wintertage mehr als die früheren trüben hatte benützen können.
Im Frühlinge trat ich meine Reise wieder an.
Ich machte zuerst einen Besuch bei meinem Gastfreunde, brachte ihm die Fächer, in denen die Abbildungen der Pfeilerverkleidungen enthalten waren, und händigte ihm sowohl den Entwurf als auch das Farbenbild der Schnitzereien ein. Er berief Eustach in seine Stube, in welcher die Dinge ausgepackt wurden, herüber. Beide sprachen sich sehr günstig über die Arbeit aus, und zwar günstiger als über jede frühere, die ich ihnen vorgelegt hatte. Ich war darüber sehr erfreut. Eustach sagte, daß man sehr gut die Ortsfarben und die, welche durch fremde Einwirkungen entstanden waren, unterscheiden könne, und daß man aus den letzten die Beschaffenheit der Umgebungen zu ahnen vermöge. Sie stellten das Bild in die nötige Entfernung und betrachteten es mit Gefallen. Besonders anerkennend sprach Eustach über die Richtigkeit und Brauchbarkeit des unfarbigen Entwurfes.
Ich reiste nach dem kurzen Besuche in dem Rosenhause in die Gegend der Tann, blieb auch dort nur kurz und drang tiefer in das Gebirge ein, um eine Mittelstelle zu finden, von der aus ich meine neuen Arbeiten unternehmen könnte. Als ich eine solche gefunden hatte, ging ich in das Lauterthal und dort in das Ahornwirtshaus, um meinen Kaspar und die Andern, welche mir im vorigen Jahre geholfen hatten, auch für das heutige zu dingen. Als dies, wie ich glaube zu gegenseitiger Zufriedenheit, abgetan war, blieb ich noch einige Tage in dem Ahornhause, teils damit sich meine Leute zu der Abreise rüsten konnten, teils um das mir liebgewordene Haus, das liebgewordene Tal und die Umgebung wieder ein wenig zu genießen. Ich ging bei dieser Gelegenheit mehrere Male in das Rothmoor, um dort nachzusehen, was man eben für Gegenstände aus Marmor mache. Mir schien es, als wäre die Anstalt seit einem Jahre sehr gediehen. Ich besprach mich auch dort über Arbeiten, die für mich auszuführen wären, falls ich den hiezu nötigen Marmor fände. Erkundigungen, um auf Spuren der Ergänzungen der Pfeilerverkleidungen meines Vaters, die ich in dieser Gegend gekauft hatte, zu kommen, waren auch heuer wie in früherer Zeit fruchtlos.
Ein Ereignis trat in dem Lauterthale ein, das mich sehr erheiterte. Mein Zitherspiellehrer, der einige Zeit gleichsam verschollen war, war wieder da. Er zeigte viele Freude, mich zu sehen, und sagte, er wolle mir in das Kargrat folgen, welches jetzt der Mittelpunkt meiner Arbeiten war, ein Dörfchen auf grasigen, baum- und buschlosen Anhöhen, ganz nahe dem ewigen Eise, mit armen Bewohnern und einem vielleicht noch ärmeren, genügsamen Pfarrer. Er sagte, er wolle diejenigen Arbeiten, die ich ihm auftragen werde, gegen Lohn verrichten, und in freier Zeit wollen wir auf der Zither spielen. Er habe noch keinen Schüler gehabt, mit dem ihm die Übungen auf der Zither so viele Freude gemacht hätten. Ich beschloß, einen Versuch zu wagen, und wir wurden über die gegenseitigem Bedingungen einig.
Als alles in Bereitschaft war, gingen wir aus dem Ahornhause in das Kargrat ab. Ich ging mit den Leuten auf abgelegenen und schneller zum Ziele führenden Gebirgspfaden. Nur einmal hatten wir eine Strecke gebahnter Straße, auf welcher ich zwei leichte Wägen mietete. Im Kargrat fand ich ein kleines Zimmerchen. Für meine Leute wurde eine Scheune zurecht gerichtet, und zur Aufbewahrung meiner Gegenstände wurde aus Brettern ein ganz kleines Häuschen eigens erbaut. Wir waren nun in der Nähe der höchsten Höhen. In mein winziges Fenster sahen die drei Schneehäupter der Leiterköpfe, hinter denen die steile, ziemlich schlanke, blendend weiße Nadel der Karspitze hervorragte, und neben denen die edelsteinglänzenden Bänke der Stimmen oder des Simmieises sich dehnten. Um den sehr spitzen Kirchturm des Dörfchens wehte die scharfe, fast harte Gebirgsluft und senkte sich auf unsere Häupter und Angesichter nieder. Weit ab gegen die Tiefe zu lagen die anderen Berge und die dichter bewohnten und bevölkerten Länder.
Über das Zitherspiel meines wiedergefundenen Lehrers war ich wirklich sehr erfreut. Ich hatte in der Zeit, während welcher ich ihn nicht gesehen hatte, schon beinahe vergessen, wie vortrefflich er spiele. Alles, was ich seit dem gehört hatte, erblaßte zur Unbedeutenheit gegen sein Spiel, von dem ich den Ausdruck »höchste Herrlichkeit« gebrauchen muß. Er scheint von diesem seinem Musikgeräte auch ergriffen und beherrscht zu sein; wenn er spielt, ist er ein anderer Mensch und greift in seine und in die Tiefen anderer Menschen, und zwar in gute. Auf diesen Berghöhen war das schöne Spiel fast noch schöner, noch rührender und einsamer.
Wie uns im vorigen Jahre Wälder und Wände eingeschlossen hatten und nur wenige Stellen uns freien Umblick verschafften, so waren wir heuer fast immer auf freien Höhen, und nur ausnahmsweise umschlossen uns Wände oder Wälder. Der häufigste Begleiter unserer Bestrebungen war das Eis.
Als die Kalendertage sagten, daß die Rosenblüte schon beinahe vorüber sein müsse, beschloß ich, meine Freunde zu besuchen. Ich ordnete im Kargrat alles für meine Abwesenheit und Wiederkunft an und begab mich auf den Weg.
Als ich in dem Asperhofe ankam, sagten mir der Gärtner und die Dienstleute, daß Mathilde, Natalie, mein Gastfreund, Eustach, Roland und Gustav in den Sternenhof fort seien. Die Rosen waren schon verblüht, und man hatte mich nicht mehr erwartet. Mein Gastfreund hatte gesagt, daß ich, weil ich ihm im Frühlinge mitgeteilt hatte, daß ich heuer ganz nahe an dem Simmieise wohnen werde, wahrscheinlich im Sommer von dorther den weiten Weg nicht werde haben machen wollen, und daß zu vermuten sei, daß ich im Herbst meine Arbeit abkürzen und auf eine Zeit bei meinen Freunden einsprechen werde. Sollte ich aber dennoch kommen, so hatten die Leute den Auftrag, zu sagen, daß man mich bitte, in den Sternenhof nachzukommen.
Ich mietete also des andern Tages auf der Post einen leichten Wagen und schlug die Richtung nach dem Sternenhofe ein.
Als ich in der Umgebung desselben angekommen war, sah ich an Zäunen und in Gärten noch manche Rose frisch blühen, obwohl im Asperhofe weder auf dem Gitter noch im Garten eine zu erblicken gewesen war, außer mancher welken und gerunzelten Blume, die man abzunehmen vergessen hatte. Auch auf der Anhöhe, die zu dem Schlosse empor leitete, waren an Rosenbüschen, die gelegentlich den Rasen säumten, weil man im Sternenhofe die Rosen nicht eigens pflegte, sondern sie nur wie gewöhnlich als schönen Gartenschmuck zog, noch Knospen, die ihres Aufbrechens harrten. Diese Tatsache mag daher kommen, weil der Sternenhof näher an den Gebirgen und höher liegt als das Rosenhaus meines Freundes.
In dem Hofe des Hauses nahmen die Leute mein Gepäck und die Pferde in Empfang und wiesen mich die große Treppe hinan. Da ich gemeldet worden war, wurde ich in Mathildens Zimmer geführt und fand sie in demselben allein. Sie ging mir fast bis zu der Tür entgegen und empfing mich mit derselben offenen Herzlichkeit und Freundlichkeit, die ihr immer eigen war. Sie führte mich zu dem Tische, der an einem mit Blumen geschmückten Fenster stand, wo sie gerne saß, und wies mir ihr gegenüber einen Stuhl an dem Tische an. Als wir uns gesetzt hatten, sagte sie: »Es freut mich sehr, daß Ihr noch gekommen seid, wir haben geglaubt, daß Ihr heuer den weiten Weg nicht machen würdet.«