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»Ja, ich tue es, mein Freund. Lebt wohl.«

»Lebt wohl.«

Sie zog ihren Arm aus dem meinigen, wir reichten uns die Hände, drückten sie uns, und Natalie schlug den Weg zu dem Pförtchen ein.

Ich sah ihr nach, sie blickte noch einmal gegen mich um, ging dann durch das Pförtchen, und das graue Seidenkleid verschwand unter den grünen Hecken des Grundes.

Ich ging in das Haus und begab mich in meine Wohnung.

Da lag das Buch, in welchem die Worte Homers waren, die heute die Gewalt über mein Herz verloren hatten — es lag, wie ich es auf den Tisch gelegt hatte. Was war indessen geschehen! Die schönste Jungfrau dieser Erde hatte ich an mein Herz gedrückt. Aber was will das sagen? Das edelste, wärmste, herrlichste Gemüt ist mein, es ist mir in Liebe und Neigung zugetan. Wie habe ich das verdient, wie kann ich es verdienen?!

Ich setzte mich nieder und sah gegen die Ruhe der heitern Luft hinaus.

Ich verließ an diesem Tage gar nicht mehr das Haus. Gegen Abend ging ich in den Gang, der im Norden des Hauses hinläuft, und sah auf den Garten hinaus. Auf einer freien Stelle, in welcher ein weißer Pfad durch Wiesengrün hingeht, sah ich Mathilden mit Natalien wandeln.

Ich ging wieder in mein Zimmer zurück.

Als es dunkelte, wurde ich zu dem Abendessen gerufen.

Da Mathilde und Natalie in den Speisesaal getreten waren, lud mich Mathilde mit einem sanften Lächeln und mit der Freundlichkeit, die ihr immer eigen war, ein, an ihrer Seite Platz zu nehmen.

Die Entfaltung

Wir waren in dem nehmlichen Zimmer zum Speisen zusammen gekommen, in dem wir die Zeit her, die ich im Schlosse gewesen war, unser Mahl am Morgen, Mittag und Abend, wie es die Tageszeit brachte, eingenommen hatten, der Tisch war mit dem klaren, weißen, feinen Linnen gedeckt, in das schönere und altertümlichere Blumen als jetzt gebräuchlich sind, gleichsam wie Silber in Silber eingewebt waren, der Diener stand mit den weißen Handschuhen hinter uns, der Hausverwalter ging in dem Zimmer hin und her, und es war an der Wand der Schrein mit den Fächerabteilungen, in denen die mannigfaltigen Dinge sich befanden, die in einem Speisezimmer stets nötig sind: aber heute war mir alles wie feenhaft, Mathilde hatte ein veilchenblaues Seidenkleid mit dunkleren Streifen an, und um die Schultern war ein Gewebe von schwarzen Spitzen. Sie kleidete sich jedes Mal, wenn ein Gast da war, zum Speisen neu an, hatte es bisher meinetwillen auch getan und hatte es an diesem Abende nicht unterlassen. Mit dem feinen, lieben und freundlichen Angesichte, das durch die dunkle Seide fast noch feiner und schöner wurde, ließ sie sich in ihren Armstuhl zwischen uns nieder. Natalie war rechts und ich links. Natalie hatte nicht Zeit gefunden, ihr Kleid zu wechseln, sie hatte dasselbe lichtgraue Seidenkleid an, das sie am Nachmittage getragen hatte und das mir so lieb geworden war. Ich getraute mir fast nicht, sie anzusehen, und auch sie hatte die großen, schönen, unbeschreiblich edlen Augen größtenteils auf die Mutter gerichtet. So vergingen einige Augenblicke. Es wurde das Gebet gesprochen, das Mathilde immer in ihrem Armstuhle sitzend stille mit gefalteten Händen verrichtete und das daher die Anderen ebenfalls sitzend und stille vollbrachten. Als dieses geschehen war, wurden, wie es der Gebrauch in diesem Hause eingeführt hatte, die Flügeltüren geöffnet, ein Diener trat mit einem Topfe herein, setzte ihn auf den Tisch, der Hausverwalter nahm den Deckel desselben ab und sagte, wie er immer tat: »Ich wünsche sehr wohl zu speisen.«

Mathilde streckte den Arm mit dem dunkeln Seidenkleide aus, nahm den großen silbernen Löffel und schöpfte, wie sie es sich nie nehmen ließ zu tun, Suppe für uns auf die Teller, welche der Diener darreichte. Der Hausverwalter hatte, da er alles in Ordnung sah, das Zimmer nach seiner Gepflogenheit verlassen. Das Abendessen war nun wie alle Tage. Mathilde sprach freundlich und heiter von verschiedenen Gegenständen, die sich eben darboten, und vergaß nicht, der abwesenden Freunde zu erwähnen und des Vergnügens zu gedenken, das ihre Rückkunft veranlassen werde. Sie sprach von der Ernte, von dem Segen, der heuer überall so reichlich verbreitet sei, und wie sich alles, was sich auf der Erde befinde, doch zuletzt immer wieder in das Rechte wende. Als die Zeit des Abendessens vorüber war, erhob sie sich, und es wurden die Anstalten gemacht, daß sich jedes in seine Wohnung begebe. Mit derselben sanften Güte, mit der sie mich vor dem Abendessen begrüßt hatte, verabschiedete sie sich nun, wir wünschten uns wechselseitig eine glückliche Ruhe und trennten uns.

Als ich in meinem Zimmer angekommen war, trat ich in der Nacht dieses Tages, der für mich in meinem bisherigen Leben am merkwürdigsten geworden war, an das Fenster und blickte gegen den Himmel. Es stand kein Mond an demselben und keine Wolke, aber in der milden Nacht brannten so viele Sterne, als wäre der Himmel mit ihnen angefüllt und als berührten sie sich gleichsam mit ihren Spitzen. Die Feierlichkeit traf mich erhebender, und die Pracht des Himmels war mir eindringender als sonst, wenn ich sie auch mit großer Aufmerksamkeit betrachtet hatte. Ich mußte mich in der neuen Welt erst zurecht finden. Ich sah lange mit einem sehr tiefen Gefühle zu dem sternbedeckten Gewölbe hinauf. Mein Gemüt war so ernst, wie es nie in meinem ganzen Leben gewesen war. Es lag ein fernes, unbekanntes Land vor mir. Ich ging zu dem Lichte, das auf meinem Tische brannte und stellte meinen undurchsichtigen Schirm vor dasselbe, daß seine Helle nur in die hinteren Teile des Zimmers falle und mir den Schein des Sternenhimmels nicht beirre. Dann ging ich wieder zu dem Fenster und blieb vor demselben. Die Zeit verfloß, und die Nachtfeier ging indessen fort. Wie es sonderbar ist, dachte ich, daß in der Zeit, in der die kleinen, wenn auch vieltausendfältigen Schönheiten der Erde verschwinden und sich erst die unermeßliche Schönheit des Weltraums in der fernen, stillen Lichtpracht auftut, der Mensch und die größte Zahl der andern Geschöpfe zum Schlummer bestimmt ist! Rührt es daher, daß wir nur auf kurze Augenblicke und nur in der rätselhaften Zeit der Traumwelt zu jenen Größen hinan sehen dürfen, von denen wir eine Ahnung haben, und die wir vielleicht einmal immer näher und näher werden schauen dürfen? Sollen wir hienieden nie mehr als eine Ahnung haben? Oder ist es der großen Zahl der Menschen nur darum bloß in kurzen schlummerlosen Augenblicken gestattet, zu dem Sternenhimmel zu schauen, damit die Herrlichkeit desselben uns nicht gewöhnlich werde und die Größe sich nicht dadurch verliere? Aber ich bin ja wiederholt in ganzen Nächten allein gefahren, die Sternbilder haben sich an dem Himmel sachte bewegt, ich habe meine Augen auf sie gerichtet gehalten, sie sind dunkelschwarzen, gestaltlosen Wäldern oder Erdrändern zugesunken, andere sind im Osten aufgestiegen, so hat es fortgedauert, die Stellungen haben sich sanft geändert und das Leuchten hat fortgelächelt, bis der Himmel von der nahenden Sonne lichter wurde, das Morgenrot im Osten erschien und die Sterne wie ein ausgebranntes Feuerwerksgerüste erloschen waren. Haben da meine vom Nachtwachen brennenden Augen die verschwundene stille Größe nicht für höher erkannt als den klaren Tag, der alles deutlich macht? Wer kann wissen, wie dies ist. Wie wird es jenen Geschöpfen sein, denen nur die Nacht zugewiesen ist, die den Tag nicht kennen? Jenen großen, wunderbaren Blumen ferner Länder, die ihr Auge öffnen, wenn die Sonne untergegangen ist, und die ihr meistens weißes Kleid schlaff und verblüht herabhängen lassen, wenn die Sonne wieder aufgeht? Oder den Tieren, denen die Nacht ihr Tag ist? Es war eine Weihe und eine Verehrung des Unendlichen in mir.

Träumend, ehe ich entschlief, begab ich mich auf mein Lager, nachdem ich vorher das Licht ausgelöscht und die Vorhänge der Fenster absichtlich nicht zugezogen hatte, damit ich die Sterne hereinscheinen sähe.

Des anderen Morgens sammelte ich mich, um mir bewußt zu werden, was geschehen ist und welche tiefe Pflichten ich eingegangen war. Ich kleidete mich an, um in das Freie zu gehen und mein Angesicht und meinen Körper der kühlen Morgenluft zu geben.