Am fünften Tage traten wir die Rückreise zu den Unsrigen an.
Wir waren am frühen Morgen noch zu unsern Verwandten gegangen. Sie waren, wie es bei Landleuten in solchen Fällen gebräuchlich ist, schöner angekleidet als sonst und erwarteten uns. Wir nahmen in herzlicher Weise Abschied. Ich versprach, da ich ohnehin das Wandern gewohnt sei und viele Gegenden besuche, auch hieher wieder zu kommen und noch öfter in dem kleinen Hause vorzusprechen. Der Vater sagte, es könne sein, daß er wieder komme oder auch nicht, wie es sich eben beim Alter füge. Man müsse erwarten, was Gott gewähre. Die Leute begleiteten uns in das Gasthaus und blieben da, bis wir den Wagen bestiegen hatten. Aus den Worten ihres Abschiedes und ihrer Danksagungen erkannte ich, daß der Vater ihnen auch eine Summe Geldes gegeben haben müsse. Sie sahen uns sehr lange nach.
Im Fortfahren war der Vater anfangs ernst und wortkarg, es mochte ihm das Herz schwer gewesen sein. Später entwickelte sich bei uns wieder ein Verkehr der Rede, wie er auf der Herreise gewesen war.
Am Abende des dritten Tages nach unserer Abfahrt waren wir wieder in dem Hause in der Vaterstadt.
Die Mutter war sehr erfreut, daß der Aufenthalt von elf Tagen in der freien Luft für den Vater von so wohltätigen Folgen gewesen sei. Seine Wangen haben sich nicht nur schön rot gefärbt, sie seien auch voller geworden, und das Auge sei weit klarer, als wenn es immer auf das Papier seiner Schreibstube geblickt hätte.
»Das ist nur die Wirkung des Anfangs und eine Folge des Reizes des Wechsels auf die körperlichen Gebilde«, sagte der Vater, »im Verlaufe der Zeit gewöhnt sich Blut, Muskel und Nerv an die freie Luft und Bewegung und das erste rötet sich nicht mehr so, und die letzten schwellen. Allerdings aber wirkt viel Aufenthalt in freier Luft und gehörige Bewegung, in welche sich keine Sorgen mischen, weit günstiger auf die Gesundheit, als ein stetiges Sitzen in Stuben und ein Hingeben an Gedanken für die Zukunft. Wir werden schon einmal, und wer weiß wie nahe die Zeit ist, auch dieses Glück genießen und uns recht darüber freuen.«
»Wir werden uns freuen, wenn du es genießest«, erwiderte die Mutter, »du entbehrst es am meisten und dir ist es am nötigsten. Wir Andern können in unsern Garten und in die Umgebung der Stadt gehen, du suchst immer die düstere Stube. Weil du es aber schon so oft gesagt hast, so wird es doch einmal wahr werden.«
»Es wird wahr werden, Mutter«, antwortete der Vater, »es wird wahr werden.«
Sie wendete sich an uns, wir sollen bestätigen, daß der Vater nie so gesund und so heiter ausgesehen habe als nach dieser kurzen Reise.
Wir gaben es zu.
Nun mußte aber auch noch auf eine andere Reise gedacht werden, weil heuer einmal der Sommer der Reisen war, und wir mußten dieselbe ins Werk setzen, meine und Klotildens Fahrt ins Gebirge. Der Herbst war schon da, wie ich an den Buchenblättern um das Geburtshaus meines Vaters hatte wahrnehmen können, die bereits im Begriffe waren, die rote Farbe vor ihrem Abfallen zu gewinnen. Es war keine Zeit mehr zu verlieren.
Für Klotilden waren die Vorbereitungen fertig, ich brauchte keine, weil ich immer in Bereitschaft war, und so konnten wir ungesäumt unsere verabredete Fahrt beginnen.
Die Mutter legte mir das Wohl der Schwester sehr an das Herz, der Vater sagte, wir sollen die Muße nach unserer besten Einsicht genießen, und so fuhren wir bei dem Aufgange einer klaren Herbstsonne aus dem Tore unseres Hauses.
Ich wollte die Schwester, welche ihre erste größere Reise machte, nicht der Berührung mit anderen Menschen in einem gemeinschaftlichen Wagen aussetzen, da man deren Wesen und Benehmen nicht voraus wissen konnte; deshalb zog ich es vor, mit Postpferden so lange zu fahren, als es mir gut erscheinen werde, und dann die Art unsers Weiterkommens im Gebirge je nach der Sachlage zu bestimmen. Es hatte diese Art zu reisen noch den Vorteil, daß ich anhalten konnte, wo ich wollte, und daß ich der Schwester Manches erklären durfte, ohne dabei auf jemand Rücksicht nehmen zu müssen, der als Zeuge gegenwärtig wäre. Auch konnten wir uns in unseren geschwisterlichen Gesprächen über unsere Angehörigen, unser Haus und andere Dinge nach der freien Stimmung unserer Seele bewegen. Auf diese Art fuhren wir zwei Tage. Ich gönnte ihr öfter Ruhe, da sie ein fortwährendes Fahren nicht gewohnt war, und endete immer noch lange vor Abend unsere Tagreise. Wir sahen die Berge schon immer in der Nähe von einigen Meilen mit unserem Wege gleich laufen; aber ihre Teile waren hier weniger wichtig. Es war mir äußerst lieblich, die Gestalt der Schwester neben mir in dem Wagen zu wissen, ihr schönes Angesicht zu sehen und ihren Atem zu empfinden. Ihre schwesterliche Rede und die frische Weise, alles, was ihr neu war, in die vollkommen klare Seele aufzunehmen, war mir unaussprechlich wohltätig.
Am Vormittage des dritten Tages ließ ich sie ruhen. Für den Nachmittag mietete ich einen Wagen, und wir fuhren von der Poststraße weg gerade dem Gebirge zu. Unsere Fahrt war von angenehmer und heiterer Stimmung begleitet, und wir ergingen uns in mannigfaltigen Gesprächen. Als die blauen Berge in der klaren Luft, die einen milchig grünlichen Schimmer hatte, uns entgegen traten, leuchtete ihr Auge immer freundlicher und ihre Mienen waren teilnehmend der Gegend, in die wir fuhren, zugekehrt. Gleich wie bei dem Vater röteten sich nach dieser dreitägigen Reise auch ihre zarten Wangen, und ihre Augen wurden glänzender. So kamen wir endlich an dem Orte an, den ich für unsere Nachtruhe bestimmt hatte. An demselben rauschte die grüne Afel mit ihren Gebirgswässern vorüber, welches Rauschen durch ein schief über das Flußbett gezogenes Wehr noch vermehrt wurde. Waldhänge in langen Rücken begannen schon sich zu erheben, und oberhalb des dunkeln Randes eines bedeutend hohen Buchenwaldes blickte bereits das rote Haupt eines im Abende glühenden Berges herein, auf welchem schon einzelne Strecken von Schnee lagen.
Des andern Tages mietete ich ein Gebirgswägelchen, wie sie zum Fortkommen auf Wegen, die nicht Poststraßen sind, in den Gebirgen am besten dienen und deren Pferde an die Gegenstände des Gebirges und an die Beschaffenheit seiner Wege gewöhnt und daher am zuverlässigsten sind. Wir brachten unsere Sachen in demselben, so gut es ging, unter und fuhren der glänzenden Afel entgegen, immer tiefer in die Berge hinein. Ich nannte jeden Namen eines vorzüglichen Berges, machte auf die Bildungen aufmerksam und suchte die Farben, die Lichter und die Schatten zu erörtern. Überall begannen schon die Laubwälder die rötliche und gelbliche Färbung anzunehmen, was den Hauch über all den Gestaltungen noch lieblicher machte.
Da ich in eine gewisse Tiefe des Gebirges gekommen war, änderte ich die Richtung und fuhr nun nach der Länge desselben hin. Als zwei Tage vergangen waren und der dritte auch schon dem Nachmittag zuneigte, blickte uns aus der Tiefe des Tales das Gewässer des Lautersees entgegen. Wir kamen um den Rücken eines breiten Waldberges herum, und die Glanzstellen entwickelten sich immer mehr. Endlich lag der größte Teil des Spiegels unter dem Gezweige der Tannen, der Buchen und der Ahorne zu unsern Füßen. Wir sanken mit unserem Wäglein auf dem schmalen Wege immer tiefer und tiefer, bis wir nach etwa zwei Stunden an dem Ufer des Sees anlangten und die Steinchen in seinen seichten Buchten hätten zählen können. Wir fuhren an dem Ufer dahin, umfuhren eine kleine Strecke des Sees und kamen in dem Seewirtshause an. Dort lohnte ich unsern Fuhrmann ab und mietete uns für mehrere Tage ein. Klotilde mußte dasselbe Zimmer bekommen, welches ich während der Zeiten meiner Vermessungen des Lautersees innegehabt hatte. Ich begnügte mich mit einem kleineren Stübchen in ihrer Nähe. Man staunte das schöne, und wie man sich ausdrückte, vornehme Mädchen an, und ich gewann sichtbar an Ansehen, da ich eine solche Schwester hatte. Alle, die ein Ruder führen konnten oder die geübt waren, Steigeisen anzulegen und einen Alpenstock zu gebrauchen, kamen herzu und boten ihre Dienste an. Ich sagte, daß ich sie rufen werde, wenn wir sie bedürfen und daß wir uns dann ihrer Gesellschaft sehr erfreuen würden.