Zuerst machte ich Klotilden ein wenig in ihrem Zimmerchen wohnhaft. Ich zeigte ihr bedeutsam Stellen, die sie aus ihren Fenstern sehen konnte, und nannte ihr dieselben. Ich zeigte ihr, wie ich in verschiedenen Richtungen auf dem See gefahren war, um seine Tiefe zu messen, und wie wir uns bald auf dieser, bald auf jener Stelle des Wassers festsetzen mußten. Sie richtete sich Farben und Zeichnungsgeräte zurechte, um zu versuchen, ob sie nicht auch nach der unmittelbaren Anschauung von den Räumen ihres Zimmerchens aus etwas von den Gestaltungen, die sie hier sehen konnte, auf das Papier zu übertragen vermöchte.
Die folgenden Tage brachten wir damit zu, in den Umgebungen des Seehauses Spaziergänge zu machen, damit Klotilde sich ein wenig in diese Bildungen einlebe. Das vorausgesagte schöne Wetter war eingetroffen, es dauerte fort, und so konnten wir uns der Freude und dem Vergnügen, welche diese Gänge uns gewährten, um so ungestörter hingeben, als auch der Stand unserer Gesundheit ein vortrefflicher war und die Befürchtungen, welche die Mutter und zum Teile auch ich in Hinsicht Klotildens gehegt hatten, nicht in Erfüllung gingen. Wir schickten von hier aus Briefe nach Hause.
In der Folge der Tage führte ich sie auf den See hinaus. Ich führte sie auf die verschiedenen Teile, die entweder an sich schön und bedeutend waren oder von denen man schöne und merkwürdige Anblicke gewinnen konnte. Ich unterstützte sie mit allen meinen Erfahrungen, die ich mir durch meine mehrfältigen Aufenthalte in dem Gebirge gesammelt hatte. Sie nahm alles mit einer tiefen Seele auf, und durch meine Hilfe waren ihr manche Umwege erspart, welche diejenigen, die zum ersten Male die Berge besuchen, machen müssen, ehe es ihnen gelingt, sich die Größe und Erhabenheit der Gebirge aufschließen zu können. Auf den Seefahrten unterstützten uns zwei junge Schiffer, die meine steten Begleiter bei meinen Messungen gewesen waren. Wir gingen auch bergan. Ich hatte Klotilden Fußbekleidungen machen lassen, welche nach Innen weich, nach Außen aber hart und dem rauhen Gerölle Widerstand leistend waren. Auf dem Haupte trug sie einen bequemen Schirmhut und in der Hand einen eigens für sie gemachten Alpenstock. Wenn wir auf die Höhen kamen, wurde mit Freude die Aussicht genossen. Klotilde versuchte auch nach der Anschauung etwas zu zeichnen und zu malen; aber die Ergebnisse waren noch weit mangelhafter als bei mir, da sie einen geringeren Vorrat von Erfahrung zu dem Versuche brachte.
Nachdem über eine Woche vergangen war, führte ich Klotilden mittelst eines gleichen Fuhrwerkes, wie wir sie bisher im Gebirge gehabt hatten, in das Lauterthal und in das Ahornhaus. Dort fanden wir ein besseres Unterkommen als in dem Seehause, und wir erhielten zwei nebeneinander befindliche geräumige und freundliche Zimmer, deren Fenster auf die Ahorne vor dem Hause hinausgingen und durch die gelben Blätter derselben auf die blauduftigen Höhen sahen, die vom Hause gegen den Süden standen. Ich zeigte meine Schwester der Wirtin, ich zeigte sie dem alten Kaspar, der auf die Kunde meiner Ankunft sogleich herbei gekommen war, und ich zeigte sie den andern, welche sich gleichfalls reichlich eingefunden hatten. Es war hier ein noch größerer Jubel als in dem Seehause, es freute sie, daß eine solche Jungfrau in die Berge gekommen und daß sie meine Schwester sei. Sie boten ihre Dienste an und näherten sich mit einiger Scheu. Klotilde betrachtete alle diese Menschen, die ich ihr als meine Begleiter und Gehilfen bei meinen Arbeiten vorstellte, mit Vergnügen, sie sprach mit ihnen und ließ sich wieder erzählen. Sie lernte sich immer mehr in die Art dieser Leute ein. Ich fragte um meinen Zitherspiellehrer, weil ich Klotilden diesen Mann zeigen wollte und weil ich auch wünschte, daß sie sein außerordentliches Spiel mit eigenen Ohren hören möchte. Wir hatten zu diesem Zwecke unsere beiden Zithern in unserm Gepäcke mitgenommen. Man sagte mir aber, daß seit der Zeit, als ich ihnen erzählt habe, daß er von meinen Arbeiten fortgegangen sei, kein Mensch, weder in den nähern noch in den ferneren Tälern, etwas von ihm gehört habe. Ich sagte also Klotilden, daß sie keinen andern als die gewöhnlichen einheimischen Zitherspieler werde hören können, wie sie dieselben auch bereits gehört habe und wie sie ihr anziehender erschienen seien als die Kunstspieler in der Stadt und als ich, der ich wahrscheinlich ein Zwitter zwischen einem Kunstspieler und einem Spieler des Gebirges sei. Wir richteten uns in unserem Zimmer ein und begannen ungefähr so zu leben, wie wir in der Umgebung des Seehauses gelebt hatten. Ich führte Klotilden in das Echertal zu dem Meister, welcher unsere Zithern verfertiget hatte. Er besaß noch immer die dritte Zither, welche mit meiner und Klotildens ganz gleich war. Er sagte, es seien zwar Käufer von Zithern gekommen, die diese gepriesen hätten; aber das seien Gebirgsleute gewesen, die nicht so viel Geld haben, sich eine solche Zither kaufen zu können. Die Andern, welche die Mittel besäßen, vorzüglich Reisende, ziehen Zithern vor, welche eine schöne Ausschmückung haben, wenn sie auch teurer sind, und lassen die stehen, deren Tugenden sie nicht zu schätzen wissen. Er spielte ein wenig auf ihr, er spielte mit einer großen Fertigkeit; aber in jener wilden und weichen Weise, mit welcher mein schweifender Jägersmann spielte und welche gerade diesem Musikgeräte so zusagte, vermochte weder er zu spielen noch hatte ich jemanden so spielen gehört. Ich sagte dem alten Manne, daß das Mädchen meine Schwester sei und daß sie auch eine von den drei Zithern besitze, von denen er sage, daß sie die besten seien, die er in seinem Leben gemacht habe. Er hatte seine Freude darüber, gab Klotilden ein Bündel Saiten und sagte: »Es sind meine besten Zithern und werden wohl auch meine besten bleiben.«
Wir besuchten die Täler und einige Berge um das Ahornhaus, und Kaspar oder ein Anderer waren zuweilen unsere Begleiter und Träger.
Ich führte Klotilden auch in das Häuschen, in welchem ich die Pfeilerverkleidungen für den Vater gekauft hatte, ich führte sie in das steinerne Schloß, in welchen sie ursprünglich gewesen sein mochten, und ich führte sie auch in das Rothmoor, wo sie das Arbeiten in Marmor betrachten konnte.
Wir blieben länger in dem Ahornhause, als wir im Seehause gewesen waren, und alle Menschen waren hier noch freundlicher, zutraulicher und hilfreicher als dort. Die Wirtin war unermüdet in Dienstanerbietungen gegen meine Schwester. Zu Ende unseres Aufenthaltes traten hier kühle und regnerische Tage ein. Wir verbrachten sie still in der heitern Wohnlichkeit des Hauses. Aber aus der Beschaffenheit des Laubes an den Bäumen und dem Aussehen der Herbstpflanzen auf den Matten, aus dem Verhalten der Tiere und aus der Beschaffenheit des Pelzes derselben erkannte ich, daß die dauernde kalte und unfreundliche Zeit noch nicht gekommen sei und daß noch warme und klare Tage eintreten müssen. Als daher das Wetter sich wieder aufheiterte, verließ ich mit Klotilden das Ahornhaus und schlug den Weg in das Kargrat ein.
Ich hatte mich in meinen Voraussetzungen nicht getäuscht. Nachdem zwei halb heitere und kühle Tage gewesen waren, die wir mit Fahren zugebracht hatten, zog wieder ein ganz heiterer, zwar am Morgen kalter, in seinem Verlaufe aber sich schnell erwärmender Tag über die beschneiten Gipfel herauf, dem eine Reihe schöner und warmer Tage folgte, die den Schnee auf den Höhen und den, welcher das Eis der Gletscher bedeckt hatte, wieder weg nahmen und das letztere so weit sichtbar machten, als es in diesem Sommer überhaupt sichtbar gewesen war. Wir hatten am zweiten dieser schönen Tage das Kargrat erreicht. Die Reise war darum von so langer Dauer gewesen, weil wir kleine Tagefahrten gemacht hatten und weil wir die Berge hinan und hinab recht langsam gefahren waren. Wir zogen in die Ärmlichkeit unserer Wohnung, die durch die Größe und Öde der Gegend, von welcher sie umgeben war, noch mehr herabgedrückt wurde, ein. Am zweiten Tage nach unserer Ankunft, da alles vorbereitet worden war, folgte mir Klotilde auf das Simmieis. Es waren Führer, Träger von Lebensmitteln und von Allem, was auf einer solchen Wanderung notwendig oder nützlich sein konnte, und endlich auch solche, die eine Sänfte hatten, mitgegangen. Wir waren am ersten Tage bis zur Karzuflucht gekommen. Dort waren wir in dem aus Holzblöcken für die Besteiger der Karspitze gezimmerten Häuschen über Nacht geblieben, hatten aus mitgebrachtem Holze Feuer gemacht und uns unser Abendessen bereitet. Mit Anbruch des nächsten Tages gingen wir weiter und kamen im Glanze des Vormittages auf die Wölbung des Gletschers. Daß an eine Besteigung der Karspitze nicht gedacht werden konnte, war natürlich. Wir betrachteten hier nun, was zu betrachten war, und als sich Kälte in den Gliedern einstellen wollte, traten wir den Rückweg an. In der Zuflucht wurden wieder Speisen bereitet, und dann gingen wir vollends hinab. Als wir zurückgekehrt waren, sank mir Klotilde fast erschöpft an das Herz.