»Ihr habt da einen reizenden Sitz«, bemerkte ich.
»Nicht der Sitz allein, das ganze Land ist reizend«, erwiderte er, »und es ist gut da wohnen, wenn man von den Menschen kömmt, wo sie ein wenig zu dicht an einander sind, und wenn man für die Kräfte seines Wesens Tätigkeit mitbringt. Zuweilen muß man auch einen Blick in sich selbst tun. Doch soll man nicht stetig mit sich allein auch in dem schönsten Lande sein; man muß zu Zeiten wieder zu seiner Gesellschaft zurückkehren, wäre es auch nur, um sich an manche glänzende Menschentrümmer, die aus unsrer Jugend noch übrig sind, zu erquicken, oder an manchem festen Turm von einem Menschen empor zu schauen, der sich gerettet hat. Nach solchen Zeiten geht das Landleben wieder wie lindes Öl in das geöffnete Gemüt. Man muß aber weit von der Stadt weg und von ihr unberührt sein. In der Stadt kommen die Veränderungen, welche die Künste und die Gewerbe bewirkt haben, zur Erscheinung: auf dem Lande die, welche naheliegendes Bedürfnis oder Einwirken der Naturgegenstände auf einander hervorgebracht haben. Beide vertragen sich nicht, und hat man das Erste hinter sich, so erscheint das Zweite fast wie ein Bleibendes, und dann ruht vor dem Sinne ein schönes Bestehendes und zeigt sich dem Nachdenken ein schönes Vergangenes, das sich in menschlichen Wandlungen und in Wandlungen von Naturdingen in eine Unendlichkeit zurückzieht.«
Ich antwortete nichts auf diese Rede, und wir schwiegen eine Weile.
Endlich sagte er wieder: »Ihr bleibt noch heute nachmittag und in der Nacht bei uns?«
»Nach dem, wie ich hier aufgenommen worden bin«, antwortete ich, »ist es ein angenehmes Gefühl, noch den Tag und die Nacht hier zubringen zu dürfen.«
»So ist es gut«, erwiderte er, »ihr müßt aber auch erlauben, daß ich Euch einen Teil des Vormittags allein lasse, weil die Stunde naht, in der ich zu Gustav gehen und ihm in seinem Lernen beistehen muß.«
»Tut Euch nur keinen Zwang an«, entgegnete ich.
»So werde ich Euch verlassen«, antwortete er, »geht indessen ein wenig in dem Garten herum, oder seht das Feld an, oder besucht das Haus.«
»Ich wünsche für den Augenblick noch eine Weile unter diesem Baume sitzen bleiben zu dürfen«, erwiderte ich.
»Tut, wie es Euch gefällt«, antwortete er, »nur erinnert euch, daß ich gestern gesagt habe, daß in diesem Hause um zwölf Uhr zu Mittag gegessen wird.«
»Ich erinnere mich«, sagte ich, »und werde keine Unordnung machen.«
Eine kleine Weile nach diesen Worten stand er auf, strich sich mit seiner Hand die Tierchen und sonstigen Körperchen, die von dem Baume auf ihn herabgefallen waren, aus den Haaren, empfahl sich und ging in der Richtung gegen das Haus zu.
Der Abschied
Ich saß noch eine geraume Zeit unter dem Baume und legte mir zurecht, was ich gesehen und vernommen. Die Bienen summten in dem Baume, und die Vögel sangen in dem Garten. Das Haus, in welches der alte Mann gegangen war, blickte mit einzelnen Teilen, sei es von der weißen Wand, sei es von dem Ziegeldache durch das Grün der Bäume herüber, und zu meiner Rechten ging jenseits der Gebüsche, in der Gegend, in welcher ich das Schreinerhaus vermutete, ein dünner Rauch in die Luft empor. Das Singen der Vögel und das Summen der Bienen war mir beinahe eine Stille, da ich durch meine Gebirgswanderungen an solche andauernde Laute gewohnt war. Die Stille wurde unterbrochen durch einzelne Laute, welche von den Arbeitern im Garten herrührten, entweder daß man das Quieken einer Pumpe hörte, mit der man Wasser pumpte, und mittelst Rinnen in eine Tonne leitete, um es abends zum Begießen zu verwenden, oder daß eine menschliche Rede ferner oder näher erscholl, die einen Befehl oder eine Auskunft enthielt. Die verschiedenen Flecke des Himmels, welche durch das Grün der Bäume hereinsahen, waren ganz blau und zeigten, wie sehr mein Gastfreund mit seiner Voraussage des schönen Wetters Recht gehabt hatte.
Ich riß mich endlich aus meinen Gedanken und ging in dem Garten empor.
Ich ging zu dem großen Kirschbaume. Ich suchte das Freie, weil ich in dem Garten wegen der beschränkten Aussicht doch nicht einen genauen Überblick in Hinsicht der Witterungsverhältnisse machen konnte. Hier oben stand der Himmel als eine große, ausgedehnte Glocke über mir, und in der ganzen Glocke war kein einziges Wölklein. Das Hochgebirge, welches wir gestern nicht hatten sehen können, stand heute in seiner ganzen Klarheit an der Länge des südlichen Himmels dahin. Vor ihm waren die Vorlande mit manchen weißen Punkten von Kirchen und Dörfern, näher zu mir zeigte sich mancher Turm von einer Ortschaft, die ich kannte, und unter meinen Füßen ruhten der Garten und das Haus, in welchem ich gestern so freundlich aufgenommen worden war. Die Getreide, welche nicht weit von mir hinter der Planke des Gartens standen, und die gestern ganz ruhig gewesen waren, befanden sich heute in einem zwar schwachen, aber fröhlichen Wogen. Ich mußte denken, daß das Wetter nicht nur jetzt so schön sei, sondern daß es noch lange so schön bleiben werde.
Von dem großen Kirschbaume ging ich wieder in den Garten zurück und betrachtete verschiedene Gegenstände.
Ich ging auch noch einmal in das Gewächshaus. Ich konnte nun manches genauer ansehen, als es mir früher möglich gewesen war, da ich mit meinem Begleiter das Haus gleichsam nur durchschritten hatte. Der weiße Gärtner gesellte sich zu mir, erläuterte mir manches, gab mir über Verschiedenes Auskunft und beantwortete bereitwillig alle meine Fragen, wie weit seine Kenntnisse und seine Übersicht es zuließen. Als ich das Gebäude verlassen wollte, sagte er mir, er wolle mir noch etwas zeigen, was der Herr mir zu zeigen vergessen habe. Er führte mich auf einen Platz, der mit Sand bedeckt war, der von allen Seiten der Sonne zugänglich und doch durch Bäume und Gebüsche, die ihn in einer gewissen Entfernung umgaben, vor heftigen Winden geschützt war. Mitten auf dem Platze stand ein kleines gläsernes Haus, welches zum Teile in der Erde steckte. Dieser Umstand und dann der, daß es von Bäumen umringt war, machten, daß ich es früher nicht wahrgenommen hatte. Als wir näher kamen, sah ich, daß es ganz von Glas sei und nur so viel Gerippe habe, als sich zur Festigkeit der Tafeln notwendig zeige. Es war auch mit einem starken eisernen Gitter, wahrscheinlich des Hagels wegen, umspannt. Als wir die einigen Stufen von der Fläche des Gartens in das Innere hinabgestiegen waren, sah ich, daß sich Pflanzen in dem Hause befanden, und zwar nur eine einzige Gattung, nehmlich lauter Cactus. Mehr als hundert Arten standen in Tausenden von kleinen Töpfen da. Die niederen und runden standen frei, die langen, welche Luftwurzeln treiben, hatten Wände von Baumrinden neben sich, die mit Erde eingerieben waren, damit die Pflanzen die Luftwurzeln in sie schlagen konnten. Alle Glastafeln über unseren Häuptern waren geöffnet, daß die freie Luft den ganzen Raum durchdringen konnte und doch die Wirkung der Sonnenstrahlen nicht beirrt war. Die Töpfe standen in Reihen auf hölzernen Gestellen, die Gestelle aber waren wieder unterbrochen, so daß man in allen Richtungen herum gehen und alles betrachten konnte. Der Gärtner führte mich herum und zeigte mir die Abteilungen und Unterabteilungen, in welchen die Gewächse beisammenstanden.