Der Vater antwortete, er werde nicht nur schon einmal reisen, sondern sogar eines Tages sich in den Ruhestand setzen und keine Handelsgeschäfte weiter vornehmen.
Die Mutter erwiderte, daß dies sehr gut sein und daß ihr dieser Tag wie ein zweiter Brauttag erscheinen werde.
Ich mußte dem Vater nun auch die einzelnen Holzgattungen angeben, aus denen die verschiedenen Geräte in dem Rosenhause eingelegt seien, aus denen die Fußböden bestanden, und endlich aus welchen geschnitzt würde. Ich tat es so ziemlich gut, denn ich hatte bei der Betrachtung dieser Dinge an meinen Vater gedacht und hatte, mir mehr gemerkt, als sonst der Fall gewesen sein würde. Ich mußte ihm auch beschreiben, in welcher Ordnung diese Hölzer zusammengestellt seien, welche Gestalten sie bildeten und ob in der Zusammenstellung der Linien und Farben ein schöner Reiz liege. Ebenso mußte ich ihm auch noch mehr von den Marmorarten erzählen, die in dem Gange und in dem Saale wären, und mußte darstellen, wie sie verbunden wären, welche Gattungen an einander grenzten und wie sie sich dadurch abhöben. Ich nahm häufig ein Stück Papier und die Bleifeder zur Hand, um zu versinnlichen, was ich gesehen hätte. Er tat auch weitere Fragen, und durch ihre zweckmäßige Aufeinanderfolge konnte ich mehr beantworten, als ich mir gemerkt zu haben glaubte.
Als es schon spät geworden war, mahnte die Mutter zur Ruhe, wir trennten uns von dem Waffenhäuschen und begaben uns zu Bette.
Am anderen Tage begann ich meine Wohnung für den Winter einzurichten. Ich packte nach und nach die Sachen, welche ich von meiner Reise mitgebracht hatte, aus, stellte sie nach gewohnter Art und Weise auf und suchte sie in die vorhandenen einzureihen. Diese Beschäftigung nahm mehrere Tage in Anspruch.
Am ersten Sonntage nach meiner Ankunft war ein Bewillkommungsmahl. Alle Leute von dem Handelsgeschäfte meines Vaters waren besonders eingeladen worden, und es wurden bessere Speisen und besserer Wein auf den Tisch gesetzt. Auch die zwei alten Leute, die in dem dunkeln Stadthause unsere Wohnungsnachbarn gewesen waren, sind zu diesem Mahle geladen worden, weil sie mich sehr lieb hatten und weil die Frau gesagt hatte, daß aus mir einmal große Dinge worden würden. Diese Mahle waren schon seit ein paar Jahren Sitte, und die alten Leute waren jedesmal Gäste dabei.
Als ich mit dem Hauptsächlichsten in der Anordnung meiner Zimmer fertig war, besuchte ich auch meine Freunde in der Stadt und brachte wieder manche Abenddämmerung in der Buchhandlung zu, welche mir ein lieber Aufenthalt geworden war. Wenn ich durch die Gassen der Stadt ging, war es mir, als hätte ich das, was ich von dem alten Manne wußte, in einem Märchenbuche gelesen; wenn ich aber wieder nach Hause kam und in die Zimmer mit den altertümlichen Gegenständen und mit den Bildern ging, so war er wieder wirklich und paßte hieher als Vergleichsgegenstand.
Die Spuren, welche mit einer Ankunft nach einer längeren Reise in einer Wohnung immer unzertrennlich verbunden sind, namentlich wenn man von dieser Reise viele Gegenstände mitgebracht hat, welche geordnet werden müssen, waren endlich aus meinem Zimmer gewichen, meine Bücher standen und lagen zum Gebrauche bereit, und meine Werkzeuge und Zeichnungsgerätschaften waren in der Ordnung, wie ich sie für den Winter bedurfte. Dieser Winter war aber auch schon ziemlich nahe. Die letzten schönen Spätherbsttage, die unserer Stadt so gerne zu Teil werden, waren vorüber, und die neblige, nasse und kalte Zeit hatte sich eingestellt.
In unserem Hause war während meiner Abwesenheit eine Veränderung eingetreten. Meine Schwester Klotilde, welche bisher immer ein Kind gewesen war, war in diesem Sommer plötzlich ein erwachsenes Mädchen geworden. Ich selber hatte mich bei meiner Rückkehr sehr darüber verwundert, und sie kam mir beinahe ein wenig fremd vor.
Diese Veränderung brachte für den kommenden Winter auch eine Veränderung in unser Haus. Unser Leben war für die Hauptstadt eines großen Reiches bisher ein sehr einfaches und beinah ländliches gewesen. Der Kreis der Familien, mit denen wir verkehrten, hatte keine große Ausdehnung gehabt, und auch da hatten sich die Zusammenkünfte mehr auf gelegentliche Besuche oder auf Spiele der Kinder im Garten beschränkt. Jetzt wurde es anders. Zu Klotilden kamen Freundinnen, mit deren Eltern wir in Verbindung gewesen waren, diese hatten wieder Verwandte und Bekannte, mit denen wir nach und nach in Beziehungen gerieten. Es kamen Leute zu uns, es wurde Musik gemacht, vorgelesen, wir kamen auch zu anderen Leuten, wo man sich ebenfalls mit Musik und ähnlichen Dingen unterhielt. Diese Verhältnisse übten aber auf unser Haus keinen so wesentlichen Einfluß aus, daß sie dasselbe umgestaltet hätten. Ich lernte außer den Freunden, die ich schon hatte und an deren Art und Weise ich gewöhnt war, noch neue kennen. Sie hatten meistens ganz andere Bestrebungen als ich und schienen mir in den meisten Dingen überlegen zu sein. Sie hielten mich auch für besonders, und zwar zuerst darum, weil die Art der Erziehung in unserem Hause eine andere gewesen war als in anderen Häusern, und dann, weil ich mich mit anderen Dingen beschäftigte als auf die sie ihre Wünsche und Begierden richteten. Ich vermutete, daß sie mich wegen meiner Sonderlichkeit geringer achteten als sich unter einander selbst.
Sie erwiesen meiner Schwester große Aufmerksamkeiten und suchten ihr zu gefallen. Die jungen Leute, welche in unser Haus kommen durften, waren nur lauter solche, deren Eltern zu uns eingeladen waren, die wir auch besuchten und an deren Sitten sich kein Bedenken erhob. Meine Schwester wußte nicht, daß ihr die Männer gefallen sollten, und sie achtete nicht darauf. Ich aber kam in jenen Tagen, wenn mir einfiel, daß meine Schwester einmal einen Gatten haben werde, immer auf den nehmlichen Gedanken, daß dies kein anderer Mann sein könne als der so wäre wie der Vater.
Auch mich zogen diese jungen Männer und andere, die nicht eben der Schwester willen in das Haus kamen, öfter in ihre Gespräche; sie erzählten mir von ihren Ansichten, Bestrebungen, Unterhaltungen und manche vertrauten mir Dinge, welche sie in ihrem geheimen Inneren dachten. So sagte mir einmal einer namens Preborn, welcher der Sohn eines alten Mannes war, der ein hohes Amt am Hofe bekleidete und öfter in unser Haus kam, die junge Tarona sei die größte Schönheit der Stadt, sie habe einen Wuchs, wie ihn niemand von der halben Million der Einwohner der Stadt habe, wie ihn nie irgend jemand gehabt habe, und wie ihn keine Künstler alter und neuer Zeit darstellen könnten. Augen habe sie, welche Kiesel in Wachs verwandeln und Diamanten schmelzen könnten. Er liebe sie mit solcher Heftigkeit, daß er manche Nacht ohne Schlaf auf seinem Lager liege oder in seiner Stube herum wandle. Sie lebe nicht hier, komme aber öfter in die Stadt, er werde sie mir zeigen, und ich müsse ihm als Freund in seiner Lage beistehen.
Ich dachte, daß vieles in diesen Worten nicht Ernst sein könne. Wenn er das Mädchen so sehr liebe, so hätte er es mir oder einem andern gar nicht sagen sollen, auch wenn wir Freunde gewesen wären. Freunde waren wir aber nicht, wenn man das Wort in der eigentlichen Bedeutung nimmt, wir waren es nur, wie man es in der Stadt mit einer Redeweise von Leuten nennt, die einander sehr bekannt sind und mit einander öfter umgehen. Und endlich konnte er ja keinen Beistand von mir erwarten, der ich in der Art mit Menschen umzugehen nicht sehr bewandert war und in dieser Hinsicht weit unter ihm selber stand.
Ich besuchte zuweilen auch den einen oder den anderen dieser jungen Leute außer der Zeit, in der wir in Begleitung unserer Eltern zusammenkamen, und da war ebenfalls öfter von Mädchen die Rede. Sie sagten, wie sie diese oder jene lieben, sich vergeblich nach ihr sehnen oder von ihr Zeichen der Gegenneigung erhalten hätten. Ich dachte, das sollten sie nicht sagen; und wenn sie eine mutwillige Bemerkung über die Gestalt oder das Benehmen eines Mädchens ausdrückten, so errötete ich, und es war mir, als wäre meine Schwester beleidigt worden.
Ich ging nun öfter in die Stadt und betrachtete aufmerksamer den alten Bau unseres Erzdomes. Seit ich die Zeichnungen von Bauwerken in dem Rosenhause so genau und in solcher Menge angesehen hatte, waren mir die Bauwerke nicht mehr so fremd wie früher. Ich sah sie gerne an, ob sie irgend etwas Ähnliches mit den Gegenständen hätten, die ich in den Zeichnungen gesehen hatte. Auf meiner Reise von dem Rosenhause in das Gebirgstal, in welchem ich mich später aufgehalten hatte, und von diesem Gebirgstale bis zu dem Schiffe, das mich zur Heimreise aufnehmen sollte, war mir nichts besonders Betrachtenswertes vorgekommen. Nur einige Wegsäulen sehr alter Art erinnerten an die reinen und anspruchlosen Gestalten, wie ich sie bei dem Meister auf dem reinen Papier mit reinen Linien gesehen hatte. Aber in der Nische der einen Wegsäule war statt des Standbildes, das einst darinnen gewesen war und auf welches der Sockel noch hinwies, ein neues Gemälde mit bunten Farben getan worden, in der anderen fehlte jede Gestalt. Auf meiner Stromesfahrt kam ich wohl an Kirchen und Burgen vorüber, die der Beachtung wert sein mochten, aber mein Zweck führte mich in dem Schiffe weiter. An dem Erzdome sah ich beinahe alle Gestalten von Verzierungen, Simsen, Bögen, Säulen und größeren Teilwerken, wie ich sie auf dem Papier im Rosenhause gesehen hatte. Es ergötzte mich, in meiner Erinnerung diese Gestalten mit den gesehenen zu vergleichen und sie gegenseitig abzuschätzen.