Ich betrachtete nun alles, was mir in dem Garten und auf dem Felde im vorigen Jahre in derselben Jahreszeit merkwürdig gewesen war. Die Blätter der Bäume, die Blätter des Kohles und die von anderen Gewächsen waren vom Raupenfraße frei, und nicht nur die im Garten, sondern auch die in der nächsten und in der in ziemliche Ferne reichenden Umgebung. Ich hatte bei meiner Herreise eigens auf diesen Umstand mein Augenmerk gerichtet. Dennoch entbehrte der Garten nicht des schönen Schmuckes der Faltern; denn einerseits konnten die Vögel doch nicht alle und jede Raupen verzehren und andererseits wehte der Wind diese schönen lebendigen Blumen in unsern Garten oder sie kamen auf ihren Wanderungen, die sie manchmal in große Entfernungen antreten, selber hieher. Der Gesang der Vögel war mir wieder wie im vorigen Jahre eigentümlich, und er war mir wieder ganz besonders schmelzend. Dadurch, daß sie in verschiedenen Fernen sind, die Laute also mit ungleicher Stärke an das Ohr schlagen, dadurch, daß sie sich gelegenheitlich unterbrechen, da sie inzwischen allerlei zu tun haben, eine Speise zu haschen, auf ein Junges zu merken, wird ein reizender Schmelz veranlaßt wie in einem Walde, während die besten Singvögel in vielen Käfigen nahe bei einander nur ein Geschrei machen, und dadurch, daß sie in dem Garten sich doch wieder näher sind als im Walde, wird der Schmelz kräftiger, während er im Walde zuweilen dünn und einsam ist. Ich sah die Nester, besuchte sie und lernte die Gebräuche dieser Tiere kennen.
In meinen Zimmern richtete ich mich ein, ich tat die Bücher und Papiere, die ich mitgebracht hatte, heraus, um zu lesen, einzuzeichnen und zu ordnen. Ich legte auch auf den großen Tisch und auf die Gestelle an den Wänden kleinere Gegenstände, die ich mitgebracht hatte, besonders Versteinerungen oder andere deutlichere Überreste, um sie zu benutzen. Gustav kam häufig zu mir, er nahm Anteil an diesen Dingen, ich erklärte ihm manches, und mein Gastfreund sah es nicht ungern, wenn ich mit ihm, entweder ein Buch in der Hand unter den schattigen Linden des Gartens oder ohne Buch auf großen Spaziergängen — denn der alte Mann liebte die Bewegung noch sehr — von meiner Wissenschaft sprach. Er erzählte mir dagegen von der seinigen, und ich hörte ihm freundlich zu, wenn er auch Dinge brachte, die mir schon besser bekannt waren. Zeiten, in denen ich ohne Beschäftigung und allein war, brachte ich auf Gängen in den Feldern oder auf einem Besuche in dem Schreinerhause oder in dem Gewächshause oder bei den Cactus zu.
Die wogenden Felder, die ich im vorigen Jahre um dieses Anwesen getroffen hatte, waren auch heuer wogende und wurden mit jedem Tage schöner, dichter und segensreicher, der Garten hüllte sich in die Menge seiner Blätter und der nach und nach schwellenden Früchte, der Gesang der Vögel wurde mir immer noch lieblicher und schien die Zweige immer mehr zu erfüllen, die scheuen Tiere lernten mich kennen, nahmen von mir Futter und fürchteten mich nicht mehr. Ich lernte nach und nach alle Dienstleute kennen und nennen, sie waren freundlich mit mir, und ich glaube, sie wurden mir gut, weil sie den Herrn mich mit Wohlwollen behandeln sahen. Die Rosen gediehen sehr, Tausende harrten des Augenblicks, in dem sie aufbrechen würden. Ich half oft an den Beschäftigungen, die diesen Blumen gewidmet wurden, und war dabei, wenn die Rosenarbeiten besichtigt wurden und ausgemittelt ward, ob alles an ihnen in gutem Stande sei. Ebenso ging ich gerne zum Besehen anderer Dinge mit, wenn auf Wiesen oder im Walde gearbeitet wurde, in welch letzterem man jetzt daran war, das im Winter geschlagene Holz zu verkleinern oder zum Baue oder zu Schreinerarbeiten herzurichten. Ich trug oft meinen Strohhut, wenn der alte Mann und Gustav neben mir barhäuptig gingen, in der Hand, und ich mußte bekennen, daß die Luft viel angenehmer durch die Haare strich, als wenn sie durch einen Hut auf dem Haupte zurück gehalten wurde, und daß die Hitze durch die Locken so gut wie durch einen Hut von dem bloßen Haupte abgehalten wurde.
Eines Tages, da ich in meinem Zimmer saß, hörte ich einen Wagen zu dem Hause herzufahren. Ich weiß nicht, weshalb ich hinabging, den Wagen ankommen zu sehen. Da ich an das Gitter gelangte, stand er schon außerhalb desselben. Er war von zwei braunen Pferden herbeigezogen worden, der Kutscher saß noch auf dem Bocke und mußte eben angehalten haben. Vor der Wagentür, mit dem Rücken gegen mich gekehrt, stand mein Gastfreund, neben ihm Gustav und neben diesem Katharina und zwei Mägde. Der Wagen war noch gar nicht geöffnet, er war ein geschlossener Gläserwagen und hatte an der innern Seite seiner Fenster grüne zugezogene Seidenvorhänge. Einen Augenblick nach meiner Ankunft öffnete mein Gastfreund die Wagentür. Er geleitete an seiner Hand eine Frauengestalt aus dem Wagen. Sie hatte einen Schleier auf dem Hute, hatte aber den Schleier zurückgeschlagen und zeigte uns ihr Angesicht. Sie war eine alte Frau. Augenblicklich, da ich sie sah, fiel mir das Bild ein, welches mein Gastfreund einmal über manche alternde Frauen von verblühenden Rosen hergenommen hatte. »Sie gleichen diesen verwelkenden Rosen. Wenn sie schon Falten in ihrem Angesichte haben, so ist doch noch zwischen den Falten eine sehr schöne, liebe Farbe«, hatte er gesagt, und so war es bei dieser Frau. Über die vielen feinen Fältchen war ein so sanftes und zartes Rot, daß man sie lieben mußte und daß sie wie eine Rose dieses Hauses war, die im Verblühen noch schöner sind als andere Rosen in ihrer vollen Blüte. Sie hatte unter der Stirne zwei sehr große schwarze Augen, unter dem Hute sahen zwei sehr schmale Silberstreifen des Haares hervor, und der Mund war sehr lieb und schön. Sie stieg von dem Wagentritte herab und sagte die Worte: »Gott grüße dich, Gustav!«
Hiebei neigte sich der alte Mann gegen sie, sie neigte ihr Angesicht gegen ihn und die beiderseitigen Lippen küßten sich zum Willkommensgruße.
Nach dieser Frau kam eine zweite Frauengestalt aus dem Wagen. Sie hatte auch einen Schleier um den Hut und hatte ihn auch zurückgeschlagen. Unter dem Hute sahen braune Locken hervor, das Antlitz war glatt und fein, sie war noch ein Mädchen. Unter der Stirne waren gleichfalls große schwarze Augen, der Mund war hold und unsäglich gütig, sie schien mir unermeßlich schön. Mehr konnte ich nicht denken; denn mir fiel plötzlich ein, daß es gegen die Sitte sei, daß ich hinter dem Gitter stehe und die Aussteigenden anschaue, während die, die sie empfangen, mir den Rücken zuwenden und von meiner Anwesenheit nichts wissen. Ich ging um die Ecke des Hauses zurück und begab mich wieder in mein Wohnzimmer.
Dort hörte ich nach einiger Zeit an Tritten und Gesprächen, daß die ganze Gesellschaft an meinem Zimmer vorbei den ganzen Gang entlang wahrscheinlich in die schönen Gemächer an der östlichen Seite des Hauses gehe.
Was weiter an dem Wagen geschehen sei, ob noch eine oder zwei Personen aus demselben gestiegen seien, konnte ich nicht wissen; denn auch nicht einmal beim Fenster wollte ich nun hinabsehen. Daß aber Gegenstände von demselben abgepackt und in das Haus gebracht wurden, konnte ich an dem Reden und Rufen der Leute erkennen. Auch den Wagen hörte ich endlich fortfahren, wahrscheinlich wurde er in den Meierhof gebracht.
Ich blieb immer in der Tiefe des Zimmers sitzen. Ich ging weder zu dem Fenster, noch ging ich in den Garten, noch verließ ich überhaupt das Zimmer, obwohl eine ziemlich lange Zeit ruhig und still verfloß. Ich wollte lesen oder schreiben und tat es dann doch wieder nicht.
Endlich, da vielleicht ein paar Stunden vergangen waren, kam Katharina und sagte, der alte Herr lasse mich recht schön bitten, daß ich in das Speisezimmer kommen möge, man erwarte mich dort.
Ich ging hinab.
Als ich eingetreten war, sah ich, daß mein Gastfreund in einem Lehnsessel an dem Tische saß, neben ihm saß Gustav. An der entgegengesetzten Seite saß die Frau. Ihr Sessel war aber ein wenig von dem Tische abgewendet und der Tür, durch welche ich eintrat, zugekehrt. Hinter ihr und um eine Sesselhälfte seitwärts saß das Mädchen.