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Unter allen aber schien Mathilde die Rosen am meisten zu lieben. Sie mußte überhaupt die Blumen sehr lieben; denn auf den Blumentischen in ihren Zimmern standen stets die schönsten und frischesten des Gartens, auch wurde gerne auf dem Tische, an welchem wir speisten, eine Gruppe von Gartentöpfen mit ihren Blumen zusammengestellt. Abgebrochen oder abgeschnitten und in Gläser mit Wasser gestellt durften in diesem Hause keine Blumen werden, außer sie waren welk, so daß man sie entfernen mußte. Den Rosen aber wendete sie ihr meistes Augenmerk zu. Nicht nur ging sie zu denen, welche im Garten in Sträuchen, Bäumchen und Gruppen standen, und bekümmerte sich um ihre Hegung und Pflege, sondern sie besuchte auch ganz allein, wie ich schon früher bemerkt hatte, die, welche an der Wand des Hauses blühten. Oft stand sie lange davor und betrachtete sie. Zuweilen holte sie sich einen Schemel, stieg auf ihn und ordnete in den Zweigen. Sie nahm entweder ein welkes Laubblatt ab, das den Blicken der andern entgangen war, oder bog eine Blume heraus, die am vollkommenen Aufblühen gehindert war, oder las ein Käferchen ab oder lüftete die Zweige, wo sie sich zu dicht und zu buschig gedrängt hatten. Zuweilen blieb sie auf dem Schemel stehen, ließ die Hand sinken und betrachtete wie im Sinnen die vor ihr ausgebreiteten Gewächse.

Wirklich war der Tag, den man als den schönsten der Rosenblüte bezeichnet hatte, auch der schönste gewesen. Von ihm an begann sie abzunehmen, und die Blumen fingen an zu welken, so daß man öfter die Leiter und die Schere zur Hand nehmen mußte, um Verunzierungen zu beseitigen.

Auch zwei fremde Reisende waren in das Rosenhaus gekommen, welche sich eine Nacht und einen Teil des darauf folgenden Vormittages in demselben aufgehalten hatten. Sie hatten den Garten, die Felder und den Meierhof besehen. In seine Zimmer und in die Schreinerei hatte sie mein Gastfreund nicht geführt, woraus ich die mir angenehme Bemerkung zog, daß er mir bei meiner ersten Ankunft in seinem Hause eine Bevorzugung gab, die nicht jedem zu Teil wurde, daß ich also eine Art Zuneigung bei ihm gefunden haben mußte.

Gegen das Ende der Rosenblüte kam Eustachs Bruder Roland in das Haus. Da er sich mehrere Tage in demselben aufhielt, fand ich Gelegenheit, ihn genauer zu beobachten. Er hatte noch nicht die Bildung seines Bruders, auch nicht dessen Biegsamkeit; aber er schien mehr Kraft zu besitzen, die seinen Beschäftigungen einen wirksamen Erfolg versprach. Was mir auffiel, war, daß er mehrere Male seine dunkeln Augen länger auf Natalien heftete, als mir schicklich erscheinen wollte. Er hatte eine Reihe von Zeichnungen gebracht und wollte noch einen entfernteren Teil des Landes besuchen, ehe er wiederkehrte, um den Stoff vollkommen zu ordnen.

Ehe Mathilde und Natalie das Rosenhaus verließen, mußte noch der versprochene Besuch auf dem Gute des Nachbars, welches Ingheim hieß und von dem Volke nicht selten der Inghof genannt wurde, gemacht werden. Es wurde hingeschickt und ein Tag genannt, an dem man kommen wollte, welcher auch angenommen wurde. Am Morgen dieses Tages wurden die braunen Pferde, mit denen Mathilde gekommen war und die sie die Zeit über in dem Meierhofe gelassen hatte, vor den Wagen gespannt, der die Frauen gebracht hatte, und Mathilde und Natalie setzten sich hinein. Mein Gastfreund, Gustav und ich, der ich eigens in die Bitte des Gegenbesuchs eingeschlossen worden war, stiegen in einen anderen Wagen, der mit zwei sehr schönen Grauschimmeln meines Gastfreundes bespannt war. Eine rasche Fahrt von einer Stunde brachte uns an den Ort unserer Bestimmung. Ingheim ist ein Schloß, oder eigentlich sind zwei Schlösser da, welche noch von mehreren anderen Gebäuden umgeben sind. Das alte Schloß war einmal befestigt. Die grauen, aus großen viereckigen Steinen erbauten runden Türme stehen noch, ebenso die graue aus gleichen Steinen erbaute Mauer zwischen den Türmen. Beide Teile beginnen aber oben zu verfallen. Hinter den Türmen und Mauern steht das alte, unbewohnte, ebenfalls graue Haus, scheinbar unversehrt; aber von den mit Brettern verschlagenen Fenstern schaut die Unbewohntheit und Ungastlichkeit herab. Vor diesen Werken des Altertums steht das neue weiße Haus, welches mit seinen grünen Fensterläden und dem roten Ziegeldache sehr einladend aussieht. Wenn man von der Ferne kömmt, meint man, es sei unmittelbar an das alte Schloß angebaut, welches hinter ihm emporragt. Wenn man aber in dem Hause selber ist und hinter dasselbe geht, so sieht man, daß das alte Gemäuer noch ziemlich weit zurück ist, daß es auf einem Felsen steht und daß es durch einen breiten, mit einem Obstbaumwald bedeckten Graben von dem neuen Hause getrennt ist. Auch kann man in der Ferne wegen der ungewöhnlichen Größe des alten Schlosses die Geräumigkeit des neuen Hauses nicht ermessen. Sobald man sich aber in demselben befindet, so erkennt man, daß es eine bedeutende Räumlichkeit habe und nicht bloß für das Unterkommen der Familie gesorgt ist, sondern auch eine ziemliche Zahl von Gästen noch keine Ungelegenheit bereitet. Ich hatte wohl den Namen des Schlosses öfter gehört, dasselbe aber nie gesehen. Es liegt so abseits von den gewöhnlichen Wegen und ist durch einen großen Hügel so gedeckt, daß es von Reisenden, welche durch diese Gegend gewöhnlich den Gebirgen zugehen, nicht gesehen werden kann. Als wir uns näherten, entwickelten sich die mehreren Bauwerke. Zuerst kamen wir zu den Wirtschaftsgebäuden oder der sogenannten Meierei. Dieselben standen, wie es bei vielen Besitzungen in unserem Lande der Brauch ist, ziemlich weit entfernt von dem Wohnhause und bildeten eine eigene Abteilung. Von da führte der Weg durch eine Allee uralter großer Linden eine Strecke gegen das neue Haus. Die Allee ist ein Bruchstück von derjenigen, die einmal gegen die Zugbrücke des alten Schlosses hinauf geführt hatte; sie brach daher ab, und wir fuhren die übrige Strecke durch schönen grünen Rasen, der mit einzelnen Blumenhügeln geschmückt war, dem Hause zu. Dasselbe war von weißlich grauer Farbe und hatte säulenartige Streifen und Friese. Alle Fenster, soweit die geöffneten Läden eine Einsicht zuließen, zeigten von Innen schwere Vorhänge. Als der Wagen der Frauen unter dem Überdache der Vorfahrt hielt, stand schon der Herr von Ingheim sammt seiner Gattin und seinen Töchtern am Ende der Treppe zur Bewillkommnung. Sie waren alle mit Geschmack gekleidet, sowie die Dienerschaft, die hinter ihnen stand, in Festkleidern war. Der Herr half den Frauen aus dem Wagen, und da wir mittlerweile auch ausgestiegen und herzugekommen waren, wurden wir von der ganzen Familie begrüßt und die Treppe hinauf geleitet. Man führte uns in ein großes Empfangszimmer und wies uns Plätze an. Mathilde und Natalie hatten zwar festlichere Kleider an, als sie im Rosenhause trugen, aber dieselben, so edel der Stoff war, zeigten doch keine übermäßige Verzierung oder gar Überladung. Mein Gastfreund, Gustav und ich waren gekleidet, wie man es zu ländlichen Besuchen zu sein pflegt. So ließen wir uns in die prachtvollen Polster, die hier überall ausgelegt waren, nieder. Auf einem Tische, über den ein schöner Teppich gebreitet war, standen Erfrischungen verschiedener Art. Andere Tische, die noch in dem Zimmer standen, waren unbedeckt. Die Geräte waren von Mahagoniholz und schienen aus der ersten Werkstätte der Stadt zu stammen. Ebenso waren die Spiegel, die Kronleuchter und andere Dinge des Zimmers. Eine Ecke an einem Fenster nahm ein sehr schönes Clavier ein. Die ersten Gespräche betrafen die gewöhnlichen Dinge über Wohlbefinden, über Wetter, über Gedeihen der Feld- und Gartengewächse. Die Männer nannten sich wechselweise Nachbar, die Frauen benannten sich gar nicht.

Als man etwas Weniges von den dastehenden Speisen genommen hatte, erhob man sich, und wir gingen durch die Zimmer. Es war eine Reihe, deren Fenster größtenteils gegen Mittag auf die Landschaft hinaus gingen. Alle waren sehr schön nach neuer Art eingerichtet, besonders reich waren die Palisandergeräte im Empfangszimmer der Frau, in welchem, so wie in dem Arbeitszimmer der Mädchen, wieder Claviere standen. Der Herr des Hauses führte besonders mich in den Räumen herum, dem sie noch fremd waren. Die übrige Gesellschaft folgte uns gelegentlich in das eine oder andere Gemach.