Aus den Zimmern ging man in den Garten. Derselbe war wie viele wohlgehaltene und schöne Gärten in der Nähe der Stadt. Schöne Sandgänge, grüne ausgeschnittene Rasenplätze mit Blumenstücken, Gruppen von Zier- und Waldgebüschen, ein Gewächshaus mit Camellien, Rhododendren, Azaleen, Eriken, Calceolarien und vielen neuholländischen Pflanzen, endlich Ruhebänke und Tische an geeigneten schattigen Stellen. Der Obstgarten als Nützlichkeitsstück war nicht bei dem Wohnhause, sondern hinter dem Meierhofe.
Von dem Garten gingen wir, wie es bei ländlichen Besuchen zu geschehen pflegt, in die Meierei. Wir gingen durch die Reihen der glatten Rinder, die meistens weiß gestirnt waren, wir besahen die Schafe, die Pferde, das Geflügel, die Milchkammer, die Käsebereitung, die Brauerei und ähnliche Dinge. Hinter den Scheuern trafen wir den Gemüsegarten und den sehr weitläufigen Obstgarten an. Von diesen gingen wir in die wohlbestellten Felder und in die Wiesen. Der Wald, welcher zu der Besitzung gehört, wurde mir in der Ferne gezeigt.
Nachdem wir unsern ziemlich bedeutenden Spaziergang beendigt hatten, wurden wir in eine ebenerdige große Speisehalle geführt, in welcher der Mittagtisch gedeckt war. Ein einfaches, aber ausgesuchtes Mahl wurde aufgetragen, wobei die Dienerschaft hinter unseren Stühlen stehend bediente. Hatte sich die Familie Ingheim schon bei dem Besuche auf dem Rosenhause als unter die gebildeten gehörig gezeigt, so war dies bei unserem Empfange in ihrem eigenen Hause wieder der Fall. Sowohl bei Vater und Mutter als auch bei den Mädchen war Einfachheit, Ruhe und Bescheidenheit. Die Gespräche bewegten sich um mehrere Gegenstände, sie rissen sich nicht einseitig nach einer gewissen Richtung hin, sondern schmiegten sich mit Maß der Gesellschaft an. Einen Teil der Zeit nach dem Mittagessen brachten wir in den Zimmern des ersten Stockwerkes zu. Es wurde Musik gemacht, und zwar Clavier und Gesang. Zuerst spielte die Mutter etwas, dann beide Mädchen allein, dann zusammen. Jedes der Mädchen sang auch ein Lied. Natalie saß in den seidenen Polstern und hörte aufmerksam zu. Als man sie aber aufforderte, auch zu spielen, verweigerte sie es.
Gegen Abend fuhren wir wieder in das Rosenhaus zurück.
Als Gustav aus unserem Wagen gesprungen war, als mein Gastfreund und ich denselben verlassen hatten, und ich die edle, schlanke Gestalt Nataliens gegen die Marmortreppe hinzu gehen sah, blieb ich ein Weilchen stehen und begab mich dann auch in meine Zimmer, wo ich bis zum Abendessen blieb.
Dieses war wie gewöhnlich, man machte aber nach demselben an diesem Tage keinen Spaziergang mehr.
Ich ging in mein Schlafzimmer, öffnete die Fenster, die man trotz des warmen Tages, weil ich abwesend gewesen war, geschlossen gehalten hatte, und lehnte mich hinaus. Die Sterne begannen sachte zu glänzen, die Luft war mild und ruhig und die Rosendüfte zogen zu mir herauf. Ich geriet in tiefes Sinnen. Es war mir wie im Traume, die Stille der Nacht und die Düfte der Rosen mahnten an Vergangenes; aber es war doch heute ganz anders.
Nach diesem Besuche auf dem Inghofe folgten mehrere Regentage, und als diese beendigt waren und wieder dem Sonnenscheine Platz machten, war auch die Zeit heran genaht, in welcher Mathilde und Natalie das Rosenhaus verlassen sollten. Es war schon Mehreres gepackt worden, und darunter sah ich auch die beiden Zithern, die man in sammtene Fächer tat, welche ihrerseits wieder in lederne Behältnisse gesteckt wurden.
Endlich war der Tag der Abreise festgesetzt worden.
Am Abende vorher war schon das Hauptsächlichste, was mitgenommen werden sollte, in den Wagen geschafft, und die Frauen hatten am Nachmittage in mehreren Stellen Abschied genommen: bei den Gärtnerleuten, in der Schreinerei und im Meierhofe.
Am andern Morgen erschienen sie bei dem Frühmahle in Reisekleidern, während noch Arabella, das Dienstmädchen Mathildens, diejenigen Sachen, die bis zu dem letzten Augenblicke im Gebrauch gewesen waren, in den Wagen packte.
Nach dem Frühmahle, als die Frauen schon die Reisehüte aufhalten, sagte Mathilde zu meinem Gastfreunde:
»Ich danke dir, Gustav, lebe wohl, und komme bald in den Sternenhof.«
»Lebe wohl, Mathilde«, sagte mein Gastfreund.
Die zwei alten Leute küßten sich wieder auf die Lippen, wie sie es bei der Ankunft Mathildens getan hatten.
»Lebe wohl, Natalie«, sagte er dann zu dem Mädchen.
Dasselbe erwiderte nur leise die Worte: »Dank für alle Güte.«
Mathilde sagte zu dem Knaben: »Sei folgsam und nimm dir deinen Ziehvater zum Vorbilde.«
Der Knabe küßte ihr die Hand.
Dann, zu mir gewendet, sprach sie: »Habet Dank für die freundlichen Stunden, die ihr uns in diesem Hause gewidmet habt. Der Besitzer wird euch für euren Besuch wohl schon danken. Bleibt meinem Knaben gut, wie ihr es bisher gewesen seid, und laßt euch seine Anhänglichkeit nicht leid tun. Wenn es eure schöne Wissenschaft zuläßt, so seid unter denen, die von diesem Hause aus den Sternenhof besuchen werden. Eure Ankunft wird dort sehr willkommen sein.«
»Den Dank muß wohl ich zurückgeben für alle die Güte, welche mir von euch und von dem Besitzer dieses Hauses zu Teil geworden ist«, erwiderte ich. »Wenn Gustav einige Zuneigung zu mir hat, so ist wohl die Güte seines Herzens die Ursache, und wenn ihr mich von dem Sternenhofe nicht zurück weiset, so werde ich gewiß unter den Besuchenden sein.«
Ich empfand, daß ich mich auch von Natalien verabschieden sollte; ich vermochte aber nicht, etwas zu sagen, und verbeugte mich nur stumm. Sie erwiderte diese Verbeugung ebenfalls stumm.
Hierauf verließ man das Haus und ging auf den Sandplatz hinaus. Die braunen Pferde standen mit dem Wagen schon vor dem Gitter. Die Hausdienerschaft war herbei gekommen, Eustach mit seinen Arbeitern stand da, der Gärtner mit seinen Leuten und seiner Frau und der Meier mit dem Großknechte aus dem Meierhofe waren ebenfalls gekommen.
»Ich danke euch recht schön, lieben Leute«, sagte Mathilde, »ich danke euch für eure Freundschaft und Güte, seid für euren Herrn treu und gut. Du, Katharina, sehe auf ihn und Gustav, daß keinem ein Ungemach zustößt.«
»Ich weiß, ich weiß« fuhr sie fort, als sie sah, daß Katharina reden wollte, »du tust Alles, was in deinen Kräften ist, und noch mehr, als in deinen Kräften ist; aber es liegt schon so in dem Menschen, daß er um Erfüllung seiner Herzenswünsche bittet, wenn er auch weiß, daß sie ohnehin erfüllt werden, ja daß sie schon erfüllt worden sind.«
»Kommt recht gut nach Hause«, sagte Katharina, indem sie Mathilden die Hand küßte und sich mit dem Zipfel ihrer Schürze die Augen trocknete.
Alle drängten sich herzu und nahmen Abschied. Mathilde hatte für ein jedes liebe Worte. Auch von Natalien beurlaubte man sich, die gleichfalls freundlich dankte.
»Eustach, vergeßt den Sternenhof nicht ganz«, sagte Mathilde zu diesem gewendet, »besucht uns mit den anderen. Ich will nicht sagen, daß euch auch die Dinge dort notwendig haben könnten, ihr sollt unsertwegen kommen.«
»Ich werde kommen, hochverehrte Frau«, erwiderte Eustach.
Nun sprach sie noch einige Worte zu dem Gärtner und seiner Frau und zu dem Meier, worauf die Leute ein wenig zurück traten.
»Sei gut, mein Kind«, sagte sie zu Gustav, indem sie ihm ein Kreuz mit Daumen und Zeigefinger auf die Stirne machte und ihn auf dieselbe küßte. Der Knabe hielt ihre Hand fest umschlungen und küßte sie. Ich sah in seinen großen schwarzen Augen, die in Tränen schwammen, daß er sich gerne an ihren Hals würfe; aber die Scham, die einen Bestandteil seines Wesens machte, mochte ihn zurück halten.
»Bleibe lieb, Natalie«, sagte mein Gastfreund.
Das Mädchen hätte bald die dargereichte Hand geküßt, wenn er es zugelassen hätte.