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Im Lauterthale fand ich einmal Roland, den Bruder Eustachs. Er hatte in einer alten Kirche gezeichnet und war jetzt damit beschäftigt, im Gasthause des Lauterthales diese Zeichnungen und einige andere, welche er in der Nähe entworfen hatte, mehr in das Reine zu bringen. Es befand sich nehmlich nicht weit von Lauterthal ein einsamer Hof oder eigentlich mehr ein festes, steinernes, schloßartiges Haus, welches einmal einer Familie gehört hatte, die durch Handel mit Gebirgserzeugnissen und durch immer ausgedehnteren Verkehr in viele Gegenden der Erde wohlhabend und durch Entartung ihrer Nachkommen, durch den Leichtsinn derselben und durch Verschwendung wieder arm geworden war. Einer dieses Geschlechtes hatte das große steinerne Haus gebaut. Er gehörte jetzt einem fremden Herrn aus der Stadt, welcher es seiner Lage und seiner Seltenheiten willen gekauft hatte und es zuweilen besuchte. In dem Hause waren schöne Bauwerke, schöne Steinarbeiten und schöne Arbeiten aus Holz, teils in Zimmerdecken, Türen und Fußböden, teils in Geräten. Die Holzarbeit mußte einmal im Gebirge viel blühender gewesen sein als jetzt. Von diesen Gegenständen durfte nichts aus dem Hause gebracht werden, auch wurde von ihnen nichts verkauft. Roland hatte die Erlaubnis erhalten, zu zeichnen, was ihm als zeichnungswürdig erscheinen würde. Dieses Zweckes halber hielt er sich im Lanterthalwirtshause auf. Ich besuchte mit ihm öfter das Haus, und wir gerieten in mannigfache Gespräche, namentlich, wenn wir abends, nachdem wir beide unser Tagewerk getan hatten, an dem Wirtstische in der großen Stube zusammen kamen. Ich fand in ihm einen sehr feurigen Mann von starken Entschlüssen und von heftigem Begehren, sei es, daß ein Gegenstand der Kunst sein Herz erfüllte oder daß er sonst etwas in den Bereich seines Wesens zu ziehen strebte. Er verließ diese Stätte früher als ich.

Ehe mich meine Geschäfte aus der Gegend führten, fand ich noch etwas, das mich meines Vaters willen sehr freute. Kaspar hatte öfters meinen und Rolands Gesprächen zugehört und mitunter sogar in die Zeichnungen geblickt. Einmal sagte er mir, daß, wenn ich an alten Dingen so ein Vergnügen hätte, er mir etwas zeigen könne, das sehr alt und sehr merkwürdig wäre. Es gehöre einem Holzknechte, der ein Haus, einen Garten und ein kleines Feldwesen habe, das von seinem Weibe und seinen heranwachsenden Kindern besorgt werde. Wir gingen einmal auf meine Anregung in das Haus hinauf, das jenseits eines Waldarmes mitten in einer trockenen Wiese nicht weit von kleinen Feldern und hart an einem großen, vereinzelten Steinblocke lag, wie sie sich losgerissen oft im Innern von fruchtbaren Gründen befinden. Das alte Werk, welches ich hier traf, war die Vertäfelung von zwei Fensterpfeilern, ungefähr halbmanneshoch. Es war offenbar der Rest einer viel größeren Vertäfelung, welche in der angegebenen Höhe auf dem Fußboden längs der ganzen Wände eines Zimmers herum gelaufen war. Hier bestanden nur mehr die Verkleidungen von zwei Fensterpfeilern; aber sie waren vollkommen ganz. Halberhabne Gestalten von Engeln und Knaben, mit Laubwerk umgeben, standen auf einem Sockel und trugen zarte Simse. Der Besitzer des Häuschens hatte die zwei Verkleidungen in seiner Prunkstube so aufgestellt, daß sie mit der unverzierten Höhlung gegen die Stube schauten. In diese Höhlung hatte er geschnitzte und bemalte Heiligenbilder aus neuerer Zeit gestellt. Vermutlich war das Werk einmal in dem steinernen Hause gewesen und war dort weggekommen, da etwa Nachfolger Veränderungen machten und Gegenstände verschleuderten. Der Besitzer des Wiesenhauses sagte uns, daß sein Großvater die Dinge in einer Versteigerung der Hagermühle gekauft habe, die wegen Verschwendung des Müllers war eingeleitet worden. Meine Nachfragen um die Ergänzungen zu diesen Verkleidungen waren vergeblich, und durch Vermittlung Kaspars erkaufte ich von dem Besitzer die übergebliebenen Reste. Ich ließ Kisten machen, legte die gefugten Teile auseinander, packte sie selber ein und sendete sie unterdessen in das Ahornhaus zu meinen anderen Dingen.

Ich blieb wirklich in jenem Herbste sehr lange im Gebirge. Es lag nicht nur der Schnee schon auf den Bergen, sondern er deckte auch bereits das ganze Land, und man fuhr schon in Schlitten statt in Wägen, als ich von dem Ahornhause Abschied nahm. Ich hatte alle meine Sachen gepackt und hatte sie voraus gesendet, weil ich im künftigen Jahre nicht mehr in diesem freundlichen Hause, sondern irgend wo anders meinen Aufenthalt würde aufschlagen müssen. Ich sagte allen meinen Leuten Lebewohl und ging auf der glattgefrorenen Bahn neben dem rauschenden Flusse, der schon Stücke Ufereis ansetzte, in die ebneren Länder hinaus. Mein Weg führte mich in seinem Verlaufe auf Anhöhen dahin, von welchen ich im Norden die Gegend des Rosenhauses und im Süden die des Sternenhofes erblicken konnte. In dem weißen Gewande, welches sich über die Gefilde breitete und welches von den dunkeln Bändern der Wälder geschnitten war, konnte ich kaum die Hügelgestaltungen erkennen, innerhalb welcher das Haus meines Freundes liegen mußte, noch weniger konnte ich die Umgebungen des Sternenhofes unterscheiden, da ich nie im Winter in dieser Gegend gewesen war. Das aber wußte ich mit Gewißheit, in welcher Richtung das Haus liegen müsse, an dem im vergangenen Sommer so viele Rosen geblüht haben und in welcher das Schloß, hinter dem die alten Linden standen und die Quelle floß, an der die weibliche Gestalt aus weißem Marmor Wache hielt. Die wohltuenden Fäden, die mich nach beiden Richtungen zogen, wurden von dem stärkeren Bande aufgehoben, das mich zu den lieben, teuren Meinigen führte.

Als ich das flache Land erreicht hatte und an dem Orte eingetroffen war, in welchem mich meine Kisten erwarten sollten, übergab ich dieselben, die ich unverletzt vorfand, meinem Frächter zur Beförderung an den Strom und empfahl sie ihm, besonders die mit den Altertümern, auf das Angelegentlichste. Am anderen Tage reiste ich in einem Wagen nach. Am Strome ließ ich die Kisten sorgfältig in ein Schiff bringen und fuhr am nächsten Morgen mit dem nehmlichen Schiffe meiner Vaterstadt zu.

Ich langte glücklich dort an, ließ meine Habseligkeiten in unser Haus schaffen, packte zuerst die Kiste mit den Altertümern aus und war beruhigt, als die Holzschnitzereien unversehrt daraus hervor gingen. Die Freude meines Vaters war außerordentlich, die Mutter freute sich des Vaters willen, und die Schwester, deren glänzende Augen bald auf mich, bald auf den Vater schauten, zeigte, daß sie mit mir zufrieden sei. Dieses ließ mir manches vergessen, das beinahe wie eine Sorge in meinem Herzen war. Ich befand mich wieder bei meinen Angehörigen, die mit allen Kräften ihrer Seele an meinem Wohle Anteil nahmen, und dies erfüllte mich mit Ruhe und einer süßen Empfindung, die mir in der letzten Zeit beinahe fremd geworden war.

Ich sah am anderen Tage, als ich in das Speisezimmer ging, den Vater, wie er vor den Verkleidungen stand und sie betrachtete. Bald neigte er sich näher zu ihnen, bald kniete er nieder und befühlte manches mit der Hand oder untersuchte es genauer mit den Augen. Mir klopfte das Herz vor Freude, und die weißen Haare, welche unter den dunkeln immer häufiger auf seinem Haupte zum Vorschein kamen, erschienen mir doppelt ehrwürdig, und die leichte Falte der Sorge auf seiner Stirne, die in der Arbeit für uns auf diesem Sitze seiner Gedanken entstanden war, während ich meiner Freude nachgehen und die Welt und die Menschen genießen konnte, und während meine Schwester wie eine prachtvolle Rose erblühen durfte, erfüllte mich beinahe mit einer Andacht. Die Mutter kam dazu, er zeigte ihr manches, er erklärte ihr die Stellungen der Gestalten, die Führung und die Schwingung der Stengel und der Blätter und die Einteilung des Ganzen. Die Mutter verstand diese Dinge durch die langjährige Übung viel besser als ich, und ich sah jetzt, daß ich dem Vater etwas weit Schöneres gebracht habe, als ich wußte. Ich nahm mir vor, im nächsten Frühlinge viel genauer nach den zu diesen Verkleidungen noch gehörenden Teilen zu forschen; ich hatte früher nur im allgemeinen gefragt, jetzt wollte ich aber auf das Sorgfältigste in der ganzen Gegend suchen. Nachdem wir noch eine Weile über das Werk geredet hatten, führte mich die Mutter durch alle meine Zimmer und zeigte mir, was man während meiner Abwesenheit getan habe, um mir den Winteraufenthalt recht angenehm zu machen. Die Schwester kam dazu, und da die Mutter fortgegangen war, schlang sie beide Arme um meinen Hals, küßte mich und sagte, daß ich so gut sei und daß sie mich nach Vater und Mutter unter allen Dingen, die auf der Welt sein können, am meisten und am außerordentlichsten liebe. Mir wären bei dieser Rede bald die Tränen in die Augen getreten.