Es war eine Art von Verwalter in dem Schlosse, der den Auftrag haben mußte, für mich zu sorgen, wenigstens tat er alles, was er zu meiner Bequemlichkeit für nötig erachtete. Er fragte oft nach meinen Wünschen, ließ mehr Speisen und Getränke auf meinen Tisch stellen als nötig war, sorgte stets für frisches Wasser, Kerzen und andere Dinge, ließ eine Menge Bücher, die er aus der Büchersammlung des Schlosses genommen haben mochte, in mein Zimmer bringen und meinte zuweilen, daß es die Höflichkeit erfordere, daß er mehrere Minuten mit mir spreche. Ich machte so wenig als möglich Gebrauch von allen für mich in diesem Schlosse eingeleiteten Anstalten und ging nicht einmal in die Meierei, in welcher es sehr lebhaft war, um durch meine Gegenwart oder durch mein Zuschauen nicht jemanden in seiner Arbeit zu beirren.
Als ich mit den ausgewählten Gegenständen fertig war, hörte ich nicht auf; denn aus ihnen entwickelten sich wieder andere Arbeiten, was seinen Grund darin hatte, daß ein Gegenstand den andern verlangte, was wieder daher rührte, daß die Geräte dieses Zimmers und der Nebengemächer ein Ganzes bildeten, welches man nicht zerstückt denken konnte. Was mir aber zu statten kam, war die große Übung, die ich nach und nach erlangte, so daß ich endlich in einem Tage mehr vor mich brachte als sonst in dreien.
Eustach kam einmal herüber, mich zu besuchen. Ich sah darin ein Zeichen, daß man mir Gelegenheit geben wollte, mich seines Rates zu bedienen. Ich tat dieses auch, freute mich der Worte, die er sprach, und folgte den Ansichten, die er entwickelte. Er erzählte mir auch, daß Mathilde und Natalie noch lange in dem Asperhofe zu bleiben gedächten. Da, wie ich wußte, ihr Besuch in dem vorigen Sommer im Rosenhause viel kürzer gewesen war, so verfiel ich auf den Gedanken, ob sie nicht etwa gerade darum heuer länger in demselben verweilten, um mir Muße zu meinen Arbeiten in dem Sternenhofe zu geben. Ob es nun so sei oder nicht, wußte ich nicht, es konnte aber so sein, und darum beschloß ich, mein Malen abzukürzen. Endlich mußte ich doch einmal schließen, da ich doch nicht alle Gegenstände abbilden konnte. Ich sagte Eustach die Zeit, in der ich fertig sein würde. Er blieb zwei Tage in dem Schlosse, vermaß Manches, untersuchte Einiges in manchen Zimmern und kehrte dann wieder in das Rosenhaus zurück.
Ehe ich ganz fertig war, kamen alle vom Asperhofe herüber und blieben einige Tage. Auch Eustach kam wieder mit. Ich legte vor, was ich gemacht hatte, und es geschah das Nehmliche, was in dem Rosenhause geschehen war. Man billigte im Allgemeinen die Arbeit und stellte hie und da etwas aus, was zu verbessern wäre. Ich hatte schon zu der Abbildung der Geräte im Asperhofe Ölfarben angewendet, weil ich in Behandlung derselben nach und nach eine größere Fertigkeit erlangt hatte als in der der Wasserfarben und weil die Wirkung eine viel größere war. Die Geräte des Sternenhofes hatte ich nun auch mit Ölfarben abgebildet, und diese Abbildungen waren viel gelungener als die im Rosenhause. Ich erkannte die Vorschläge, welche mir gemacht worden waren, an und bemerkte mir sie zur Ausführung.
Eustach ging von dem Sternenhofe wieder in das Rosenhaus zurück; mein Gastfreund, Mathilde, Natalie und Gustav machten eine kleine Reise.
Auch mein Bleiben war nicht mehr lange in dem Schlosse. Ich machte noch fertig, was fertig zu machen war, ich verbesserte, was zu verbessern vorgeschlagen worden war und was mir selber noch in der Zeit als verbeßrungswürdig einfiel und wartete dann ab, bis alles gut getrocknet wäre, um es einpacken und für den Vater in Bereitschaft halten zu können. Da dies geschehen war, dankte ich dem Verwalter sehr verbindlich für alle seine Aufmerksamkeit, gab den Mädchen, die für mich zu tun gehabt hatten, Geschenke, welche ich mir zu diesem Zwecke schon früher angeschafft hatte, und bestieg den Wagen, den mir der Verwalter zu meiner Zurückfahrt in das Rosenhaus zur Verfügung gestellt hatte.
Als ich in dem Rosenhause ankam, traf ich meinen Gastfreund und seine Gesellschaft von der Reise schon zurückgekehrt an. Ich blieb noch mehrere Tage bei ihnen, nahm dann Abschied und begab mich in das Ahornhaus zu meinen Arbeiten zurück.
Ich suchte diese Arbeiten rasch zu betreiben; aber alles war jetzt anders und nahm eine andere Färbung in meinem Herzen an.
Als ich in dem Frühling die Hauptstadt verlassen hatte und dem langsam über einen Berg empor fahrenden Wagen folgte, war ich einmal bei einem Haufen von Geschiebe stehen geblieben, das man aus einem Flußbette genommen und an der Straße aufgeschüttet hatte, und hatte das Ding gleichsam mit Ehrfurcht betrachtet. Ich erkannte in den roten, weißen, grauen, schwarzgelben und gesprenkelten Steinen, welche lauter plattgerundete Gestalten hatten, die Boten von unserem Gebirge, ich erkannte jeden aus seiner Felsenstadt, von der er sich losgetrennt hatte und von der er ausgesendet worden war. Hier lag er unter Kameraden, deren Geburtsstätte oft viele Meilen von der seinigen entfernt ist, alle waren sie an Gestalt gleich geworden, und alle harrten, daß sie zerschlagen und zu der Straße verwendet würden.
Besonders kamen mir die Gedanken, wozu dann alles da sei, wie es entstanden sei, wie es zusammenhänge, und wie es zu unserem Herzen spreche.
Einmal gelangte ich zu dem See hinunter und betrachtete an dem sonnigen Nachmittage die Tatsache, daß die Schönheit der absteigenden Berge meistens gegen einen Seespiegel am größten ist. Kömmt das aus Zufall, haben die abstürzenden, dem See zueilenden Wässer die Berge so schön gefurcht, gehöhlt, geschnitten, geklüftet, oder entspringt unsere Empfindung von dem Gegensatze des Wassers und der Berge, wie nehmlich das erste eine weiche, glatte, feine Fläche bildet, die durch die rauhen absteigenden Riffe, Rinnen und Streifen geschnitten wird, während unterhalb nichts zu sehen ist und so das Rätsel vermehrt wird? Ich dachte bei dieser Gelegenheit: wenn das Wasser durchsichtiger wäre, zwar nicht so durchsichtig wie die Luft, doch beinahe so, dann müßte man das ganze innere Becken sehen, nicht so klar wie in der Luft, sondern in einem grünlichen, feuchten Schleier. Das müßte sehr schön sein. Ich blieb in Folge dieses Gedankens länger an dem See, mietete mich in einem Gasthofe ein und machte mehrere Messungen der Tiefe des Wassers an verschiedenen Stellen, deren Entfernung vom Ufer ich mittelst einer Meßschnur bezeichnete. Ich dachte, auf diese Weise könnte man annähernd die Gestalt des Seebeckens ergründen, könnte es zeichnen und könnte das innere Becken von dem äußeren durch eine sanftere, grünlichere Farbe unterscheiden. Ich beschloß, bei einer ferneren Gelegenheit die Messungen fortzusetzen.
Diese Bestrebungen brachten mich auf die Betrachtung der Seltsamkeiten unserer Erdgestaltungen. In dem Seegrunde sah ich ein Tal, in dessen Sohle, die sich bei andern Tälern mit dem vieltausendfachen Pflanzenreichtume und den niedergestürzten Gebirgsteilen füllt und so einen schönen Wechsel von Pflanzen und Gestein darstellt, kein Pflanzengrund sich entwickelt, sondern das Gerölle sich sachte mehrt, der Boden sich hebt und die ursprünglichen Klüftungen ausfüllt. Dazu kommen die Stücke, die unmittelbar von den Wänden in den See stürzen, dazu kommen die Hügel, die außer der gewöhnlichen Ordnung von bedeutenden Hochwassern in den See geschoben und von dem nachträglichen Wellenschlage wieder abgeflacht werden. In Jahrtausenden und Jahrtausenden füllt sich das Becken immer mehr, bis einmal, mögen hundert oder noch mehr Jahrtausende vergangen sein, kein See mehr ist, auf der ungeheuren Dicke der Geröllschichten der menschliche Fuß wandelt, Pflanzen grünen und selbst Bäume stehen. So kannte ich manche Stellen, die einst Seegrund gewesen waren. Der Fluß, der Vater des Sees, hatte sich in seinem Weiterlaufe tiefer gewühlt, er hatte den Seespiegel niederer gelegt, der Seegrund hatte sich gehoben, bis nichts mehr war als ein Tal, an dem jetzt die Ufer als grüne Wälle in langen Strecken stehen, mit kräftigen Kräutern, blühenden Büschen und mancher lachenden Wohnung von Menschen prangen, während das, was einmal ein mächtiges Wasser gebildet hatte, jetzt als ein schmales Bändlein in glänzenden Schlangenlinien durch die Landschaft geht.