Als ich meinen Gastfreund so reden hörte, erinnerte ich mich, daß ich ihn in der Tat viel lesen gesehen habe. Oft war er mit einem Buche unter einem schattigen Baume gesessen oder in rauherer Jahreszeit auf einer sonnigen Bank, oft hatte er sich mit einem auf einen Spaziergang begeben, er ist sehr häufig in dem Lesezimmer gewesen, und er trug Bücher in seine Arbeitsstube. Als wir die letzte Fahrt in den Sternenhof gemacht hatten, hatte er Bücher mitgenommen, und ich glaube von Gustav gehört zu haben, daß er auf jede Reise Bücher einpacke.
Ich ging bei meinem jetzigen Aufenthalte in dem Rosenhause sehr oft in das Bücherzimmer, und wie ich früher vor den Schränken gestanden war, die die Werke der Naturwissenschaften enthielten, und wie ich damals manches Buch in das Lesezimmer mitgenommen hatte, so stand ich jetzt vor den Schreinen mit den Dichtern, sah viele einzelne der vorhandenen Bücher an, trug manches in das Lesezimmer oder mit Bewilligung meines Gastfreundes in meine Stube und schrieb mir die Aufschrift von manchem in mein Gedenkbuch, um es mir, wenn ich nach Hause gekommen wäre, zu kaufen.
Gegen das Ende meines Aufenthaltes, da noch einige sonnige Tage kamen, zeichnete und malte ich auch mehrere Stücke der schönen getäfelten Fußböden, die in diesem Hause anzutreffen waren. Ich tat dies, um dem Vater von allen Dingen, welche ich gesehen hatte, einiger Maßen Abbildungen bringen zu können.
Als es schon bald zu meiner Abreise kam, sagte mein Gastfreund, er hätte noch etwas mit mir zu reden, und er sprach: »Weil euch euere Natur selber zum Teile aus dem Kreise herausgezogen hat, den ihr um euch gesteckt habt, weil ihr zu euren früheren Bestrebungen noch den Einblick in die Dichtungen gesellt habt, so wie ja schon das Landschaftsmalen als ein Übergang in das Kunstfach ein Schritt aus eurem Kreise war, so erlaubet mir, daß ich als Freund, der euch wohl will, ein Wort zu euch rede. Ihr solltet zu eurem Wesen eine breitere Grundlage legen. Wenn die Kräfte des allgemeinen Lebens zugleich in allen oder vielen Richtungen tätig sind, so wird der Mensch, eben weil alle Kräfte wirksam sind, weit eher befriedigt und erfüllt, als wenn eine Kraft nach einer einzigen Richtung hinzielt. Das Wesen wird dann im Ganzen leichter gerundet und gefestet. Das Streben in einer Richtung legt dem Geiste eine Binde an, verhindert ihn, das Nebenliegende zu sehen und führt ihn in das Abenteuerliche. Später, wenn der Grund gelegt ist, muß der Mann sich wieder dem Einzigen zuwenden, wenn er irgendwie etwas Bedeutendes leisten soll. Er wird dann nicht mehr in das Einseitige verfallen. In der Jugend muß man sich allseitig üben, um als Mann gerade dann für das Einzelne tauglich zu sein. Ich sage nicht, daß man sich in das Tiefste des Lebens in allen Richtungen versenken müsse, wie zum Beispiele in allen Wissenschaften, wie ihr ja selber einmal angefangen habt, das wäre überwältigend oder tötend, ohne dabei möglich zu sein; sondern daß man das Leben, wie es uns überall umgibt, aufsuche, daß man seine Erscheinungen auf sich wirken lasse, damit sie Spuren einprägen, unmerklich und unbewußt, ohne daß man diese Erscheinungen der Wissenschaft unterwerfe. Darin, meine ich, besteht das natürliche Wissen des Geistes, zum Unterschiede von der absichtlichen Pflege desselben. Er wird nach und nach gerecht für die Vorkommnisse des Lebens. Ihr habt, scheint es mir, zu jung einen einzelnen Zug erfaßt, unterbrecht ihn ein wenig, ihr werdet ihn dann freier und großartiger wieder aufnehmen. Schaut auch die unbedeutenden, ja nichtigen Erscheinungen des Lebens an. Geht in die Stadt, sucht euch deren Vorkommnisse zurecht zu legen, kommt dann zu uns auf das Land, lebt einmal eine Weile müßig bei uns, das heißt tut, was euch der Augenblick und die Neigung eingibt, wir wollen dieses Haus und den Garten genießen, wollen den Nachbar Ingheim besuchen, wollen auch zu anderen entfernteren Nachbarn gehen und die Dinge an uns vorüber fließen lassen, wie sie fließen.«
Ich dankte ihm für seine Bemerkungen, sagte, daß ich selber so etwas Ähnliches in mir empfinde, daß ich wohl etwas unbeholfen gegen das Leben sei, daß meine Eltern und wohlmeinenden Freunde wohl Nachsicht mit mir haben müssen und daß ich für jeden Wink dankbar sei. Besonders freue mich die Einladung in sein Haus, und ich werde ihr mit vieler Freude Folge leisten.
Als die Zeit meiner Abreise herangekommen war, packte ich die Zeichnungen und alles, was ich in dem Rosenhause hatte, ein, nahm den herzlichsten Abschied von dem alten Manne, Gustav, Eustach, Roland, der gekommen war, verabschiedete mich von allen Bewohnern des Hauses, Gartens und Meierhofes und reisete zu meinen Angehörigen in die Hauptstadt zurück.
Das Erste, was ich dort nach dem innigsten und aufrichtigsten Bewillkommen sah, war, daß mein Vater das teils gläserne, teils hölzerne Häuschen, in welchem die alten Waffen hingen, um welches sich der Epheu rankte und welches im Grunde den äußersten Ansatz oder gleichsam einen Erker des rechten Flügels des Hauses gegen den Garten bildete, in dem vergangenen Sommer hatte umbauen lassen. Er hatte es bedeutend vergrößert, aber die Leisten, Spangen und Rahmen, in denen das Glas befestigt war, hatte er in der früheren Art gelassen, nur waren sie dem Stoffe nach neu gemacht und mit schönen Verzierungen und Schnitzereien versehen. Die Simse des Daches waren nach mittelalterlicher Weise verfertigt, schön geschnitzt und verziert. Der Epheu war wieder an Leisten empor geleitet worden und blickte an manchen Stellen durch das Glas herein. Die Fenster waren nicht mehr nach Außen und Innen zu öffnen wie früher, sondern zum Verschieben. Die größte Veränderung aber war die, daß der Vater zwei Säulen hatte aufführen lassen, während früher die beiden Wände, welche nach Außen geschaut hatten, aus Glas verfertigt gewesen waren. Diese zwei Pfeiler hatten genau die Abmessungen, daß die zwei Verkleidungen, welche ich ihm in dem vorigen Herbste gebracht hatte, auf dieselben paßten. Die Verkleidungen waren aber noch nicht auf ihnen, weil das Mauerwerk zuerst austrocknen mußte, daß das Holz an demselben keinen Schaden nehmen konnte. Der Vater hatte mir nur den ganzen Plan und die Vorrichtungen zu seiner Ausführung gesagt. So wie es mich einerseits freute, daß der Vater das Holzkunstwerk so schätzte, daß er eigens zu dem Zwecke, es anbringen zu können, das Häuschen hatte umbauen lassen, so war es mir andererseits erst recht schmerzlich, daß ich die Ergänzungen zu den Verkleidungen nicht aufzufinden im Stande gewesen war. Ich sagte dem Vater von meinen Bemühungen und von meinem Leidwesen wegen des schlechten Erfolges. Er und die Mutter trösteten mich und sagten, es sei alles auch in der vorhandenen Gestalt recht schön, was verschwunden ist und nicht mehr erlangt werden kann, müsse man nicht eigensinnig anstreben, sondern sich an dem, was eine gute Gunst uns noch erhalten habe, freuen. Das Häuschen werde eine Erinnerung sein, und so oft man sich in demselben, wenn es vollkommen in den Stand gesetzt sein werde, befinden werde, werde einem die Zeit vorschweben, in welcher das Holzwerk gemacht worden sei, und die, in welcher ein lieber Sohn es zur Freude des Vaters ans dem Gebirge gebracht habe.