Fr. v. Dorsigny. Ach, liebe Nichte! Hast du deinen Onkel nicht gesehen?
Fr. v. Mirville. Wie? Hat er denn nicht Abschied von Ihnen genommen?
Fr. v. Dorsigny. Abschied? Wie?
Fr. v. Mirville. Ja, er ist fort.
Fr. v. Dorsigny. Er ist fort? Seit wann?
Fr. v. Mirville. Diesen Augenblick.
Fr. v. Dorsigny. Das begreif' ich nicht. Er wollte ja erst gegen eilf Uhr wegfahren. Und wo ist er denn hin, so eilig?
Fr. v. Mirville. Das weiss ich nicht. Ich sah ihn nicht abreisen-Champagne erzaehlte mir's.
Sechster Auftritt.
Die Vorigen. Franz Dorsigny in seiner eigenen Uniform und ohne Perruecke.
Champagne. Da ist er, Ihr Gnaden, da ist er!
Fr. v. Dorsigny. Wer? Mein Mann?
Champagne. Nein, nicht doch! Mein Herr, der Herr Hauptmann.
Sophie (ihm entgegen). Lieber Vetter!
Champagne. Ja-er hatte wohl recht, zu sagen, dass er mit seinem Brief zugleich eintreffen werde.
Fr. v. Dorsigny. Mein Mann reist ab, mein Neffe kommt an! Wie schnell sich die Begebenheiten draengen!
Dorsigny. Seh' ich Sie endlich wieder, beste Tante! Ich komme voll Unruhe und Erwartung-Fr. v. Dorsigny. Guten Abend, lieber Neffe!
Dorsigny. Welcher frostige Empfang?
Fr. v. Dorsigny. Ich bin herzlich erfreut, dich zu sehen. Aber mein Mann-Dorsigny. Ist dem Onkel etwas zugestossen?
Fr. v. Mirville. Der Onkel ist heute Abend von einer grossen Reise zurueckgekommen, und in diesem Augenblick verschwindet er wieder, ohne dass wir wissen, wo er hin ist.
Dorsigny. Das ist ja sonderbar!
Champagne. Es ist ganz zum Erstaunen!
Fr. v. Dorsigny. Da ist ja Champagne! Der kann uns allen aus dem Traume helfen.
Champagne. Ich, gnaedige Frau?
Fr. v. Mirville. Ja, du! Mit dir allein hat der Onkel ja gesprochen, wie er abreiste.
Champagne. Das ist wahr! Mit mir allein hat er gesprochen.
Dorsigny. Nun, so sage nur, warum verreiste er so ploetzlich?
Champagne. Warum? Ei, er musste wohl! Er hatte ja Befehl dazu von der Regierung.
Fr. v. Dorsigny. Was?
Champagne. Er hat einen wichtigen geheimen Auftrag, der die groesste Eilfertigkeit erfordert-der einen Mann erfordert-einen Mann-Ich sage nichts mehr. Aber Sie koennen sich etwas darauf einbilden, gnaedige Frau, dass die Wahl auf den Herrn gefallen ist.
Fr. v. Mirville. Allerdings! Eine solche Auszeichnung ehrt die ganze Familie!
Champagne. Euer Gnaden begreifen wohl, dass er sich da nicht lange mit Abschiednehmen aufhalten konnte. Champagne, sagte er zu mir, ich gehe in wichtigen Staatsangelegenheiten nach-nach Sanct Petersburg. Der Staat befiehlt-ich muss gehorchen-beim ersten Postwechsel schreib' ich meiner Frau-was uebrigens die Heirath zwischen meinem Neffen und meiner Tochter betrifft-so weiss sie, dass ich vollkommen damit zufrieden bin.
Dorsigny. Was hoer' ich! mein lieber Onkel sollte-Champagne. Ja, gnaediger Herr! er willigt ein.-Ich gebe meiner Frau unumschraenkte Vollmacht, sagte er, alles zu beendigen, und ich hoffe bei meiner Zurueckkunft unsere Tochter als eine glueckliche Frau zu finden.
Fr. v. Dorsigny. Und so reiste er allein ab?
Champagne. Allein? Nicht doch! Er hatte noch einen Herrn bei sich, der nach etwas recht Vornehmem aussah-Fr. v. Dorsigny. Ich kann mich gar nicht drein finden.
Fr. v. Mirville. Wir wissen seinen Wunsch. Man muss dahin sehen, dass er sie als Mann und Frau findet bei seiner Zurueckkunft.
Sophie. Seine Einwilligung scheint mir nicht im geringsten zweifelhaft, und ich trage gar kein Bedenken, den Vetter auf der Stelle zu heirathen.
Fr. v. Dorsigny. Aber ich trage Bedenken-und will seinen ersten Brief noch abwarten.
Champagne (beiseite). Da sind wir nun schoen gefoerdert, dass wir den Onkel nach Petersburg schicken.
Dorsigny. Aber, beste Tante!
Siebenter Auftritt.
Die Vorigen. Der Notarius.
Notar (tritt zwischen Dorsigny und seine Tante). Ich empfehle mich der ganzen hochgeneigten Gesellschaft zu Gnaden.
Fr. v. Dorsigny. Sieh da, Herr Gaspar, der Notar unsers Hauses.
Notar. Zu Dero Befehl, gnaedige Frau! Es beliebte Dero Herrn Gemahl, sich in mein Haus zu verfuegen.
Fr. v. Dorsigny. Wie? Mein Mann waere vor seiner Abreise noch bei Ihnen gewesen?
Notar. Vor dero Abreise! Was Sir mir sagen! Sieh! sieh doch! Darum hatten es der gnaedige Herr so eilig und wollten mich gar nicht in meinem Hause erwarten. Dieses Billet liessen mir Hochdieselben zurueck-Belieben Ihro Gnaden es zu durchlesen. (Reicht der Frau von Dorsigny das Billet.)
Champagne (leise zu Dorsigny). Da ist der Notar, den Ihr Onkel bestellt hat.
Dorsigny. Ja, wegen Lormeuils Heirath.
Champagne (leise). Wenn wir ihn zu der Ihrigen brauchen koennten?
Dorsigny. Still! Hoeren wir, was er schreibt!
Fr. v. Dorsigny (liest). "Haben Sie die Guete, mein Herr, sich noch diesen Abend in mein Haus zu bemuehen und den Ehekontrakt mit zu bringen, den Sie fuer meine Tochter aufgesetzt haben. Ich habe meine Ursachen, diese Heirath noch in dieser Nacht abschliessen-Dorsigny."
Champagne. Da haben wir's schwarz auf weiss! Nun wird die gnaedige Frau doch nicht mehr an der Einwilligung des Herrn Onkels zweifeln?
Sophie. Es ist also gar nicht noethig, dass der Papa Ihnen schreibt, liebe Mutter, da er diesem Herrn geschrieben hat.
Fr. v. Dorsigny. Was denken Sie von der Sache, Herr Gaspar?
Notar. Nun, dieser Brief waere deutlich genug, daecht' ich.
Fr. v. Dorsigny. In Gottes Namen, meine Kinder! Seid gluecklich! Gebt euch die Haende, weil doch mein Mann selbst den Notar herschickt.
Dorsigny. Frisch, Champagne! Einen Tisch, Feder und Tinte; wir wollen gleich unterzeichnen.
Achter Auftritt.
Oberst Dorsigny. Valcour. Vorige.
Fr. v. Mirville. Himmel! Der Onkel!
Sophie. Mein Vater!
Champagne. Fuehrt ihn der Teufel zurueck?
Dorsigny. Jawohl, der Teufel! Dieser Valcour ist mein boeser Genius!
Fr. v. Dorsigny. Was seh' ich! Mein Mann!
Valcour (den aeltern Dorsigny praesentierend). Wie schaetz' ich mich gluecklich, einen geliebten Neffen in den Schooss seiner Familie zurueckfuehren zu koennen! (Wie er den juengern Dorsigny gewahr wird.) Wie Teufel, da bist du ja-(Sich zum aeltern Dorsigny wendend.) Und wer sind Sie denn, mein Herr?
Oberst. Sein Onkel, mein Herr.
Dorsigny. Aber erklaere mir, Valcour-Valcour. Erklaere du mir selbst! Ich bringe in Erfahrung, dass eine Ordre ausgefertigt sei, dich nach deiner Garnison zurueck zu schicken-Nach unsaeglicher Muehe erlange ich, dass sie widerrufen wird-ich werfe mich aufs Pferd, ich erreiche noch bald genug die Postchaise, wo ich dich zu finden glaubte, und finde auch wirklich-Oberst. Ihren gehorsamen Diener, fluchend und tobend ueber einen verwuenschten Postknecht, dem ich Geld gegeben hatte, um mich langsam zu fahren, und der mich wie ein Sturmwind davon fuehrte.
Valcour. Dein Herr Onkel findet es nicht fuer gut, mich aus meinem Irrthum zu reissen; die Postchaise lenkt wieder um, nach Paris zurueck, und da bin ich nun-Ich hoffe, Dorsigny, du kannst dich nicht ueber meinen Eifer beklagen.
Dorsigny. Sehr verbunden, mein Freund, fuer die maechtigen Dienste, die du mir geleistet hast! Es thut mir nur leid um die unendliche Muehe, die du dir gegeben hast.
Oberst. Herr von Valcour! Mein Neffe erkennt Ihre grosse Guete vielleicht nicht mit der gehoerigen Dankbarkeit; aber rechnen Sie dafuer auf die meinige.
Fr. v. Dorsigny. Sie waren also nicht unterwegs nach Russland?
Oberst. Was Teufel sollte ich in Russland?
Fr. v. Dorsigny. Nun, wegen der wichtigen Commission, die das Ministerium Ihnen auftrug, wie Sie dem Champagne sagten.
Oberst. Also wieder der Champagne, der mich zu diesem hohen Posten befoerdert. Ich bin ihm unendlichen Dank schuldig, dass er so hoch mit mir hinaus will.-Herr Gaspar, Sie werden zu Hause mein Billet gefunden haben; es wuerde mir lieb sein, wenn der Ehekontrakt noch diese Nacht unterzeichnet wuerde.
Notar. Nichts ist leichter, gnaediger Herr! Wir waren eben im Begriff, dieses Geschaeft auch in Ihrer Abwesenheit vorzunehmen.
Oberst. Sehr wohl! Man verheirathet sich zuweilen ohne den Vater; aber wie ohne den Braeutigam, das ist mir doch nie vorgekommen.
Fr. v. Dorsigny. Hier ist der Braeutigam! Unser lieber Neffe.
Dorsigny. Ja, bester Onkel! Ich bin's.
Oberst. Mein Neffe ist ein ganz huebscher Junge; aber meine Tochter bekommt er nicht.
Fr. v. Dorsigny. Nun, wer soll sie denn sonst bekommen?
Oberst. Wer, fragen Sie? Zum Henker! Der Herr von Lormeuil soll sie bekommen.
Fr. v. Dorsigny. Er ist also nicht todt, der Herr von Lormeuil?
Oberst. Nicht doch, Madame! Er lebt, er ist hier. Sehen Sie sich nur um, dort kommt er.
Fr. v. Dorsigny. Und wer ist denn der Herr, der mit ihm ist?
Oberst. Das ist ein Kammerdiener, den Herr Champagne beliebt hat, ihm an die Seite zu geben.