Выбрать главу

Leise sagte sie zu der Gefährtin ihres Sohnes, Catiriil, die neben ihr hockte: „Aber er redet ja so gar nicht. Was meinst du, was ist mit ihm los?“

„Vielleicht fällt es ihm nur schwer, sich daheim wieder einzugewöhnen, nach solch einer langen Reise.“

Boldirinthe runzelte die Stirn. „Schwerfallen? Wieder daheim zu sein, bei seiner Mamma? Kindchen, wie könnte er? Er ist wieder bei seiner Familie, na und bei dir und seinem Sohn und seiner Tochter — er ist daheim, in unserm wunderbaren Dawinno, und nicht mehr in Salamans elendigem dumpf-kalten Yissou. Aber wo ist seine Fröhlichkeit geblieben? Seine Lustigkeit? Das ist überhaupt nicht der Simthala, wie ich ihn kenne!“

„Ich auch nicht.“, flüsterte Catiriil. „Er führt sich auf, wie wenn er noch immer weit weg in einem fernen Land wäre.“

„Und so ist er schon den ganzen Tag?“

„Von Anfang an. Gleich als heute früh die Karawane eintraf. Im Morgengrauen. Ach doch, er hat mich freundlich genug begrüßt und umarmt und hat mir gesagt, wie sehr ich ihm gefehlt habe, und er hat natürlich Geschenke für mich und die Kinder rausgeholt, und er hat von dem unangenehmen Ort erzählt, an dem er war, und darüber geredet, wie schön es hier in Dawinno ist, trotz dieses endlosen Regens. Aber das waren nichts weiter als bloße Worte. Kein Funken Gefühl dahinter.“

Dann, mit einem Lächeln: „Es kann nur so sein, daß Thu-Kimnibol ihn einfach zu lang in dieser kalten Stadt Salamans festgehalten hat und daß die Kälte ihm ins Herz gedrungen ist. Aber gib mir ein, zwei Tage, Mutter Boldirinthe, dann taue ich ihn schon wieder auf. Mehr wird nicht nötig sein.“

„Geh jetzt zu ihm“, befahl Boldirinhte. „Setz dich zu ihm und gieß ihm Wein ein, und sorg dafür, daß sein Becher nie leer ist. Hast mich verstanden, Kindchen, ja? Du weißt schon.“

Catiriil nickte und drängte sich durch den Raum hinüber an die Seite ihres Gefährten. Boldirinthe nickte beifällig. Solch ein liebes, sanftes Kind, diese Catiriil, so gut und in jeder Beziehung so angenehm, und eine hervorragende Partie für ihren etwas grobgeschliffenen Jungen. Und schön war sie noch dazu, so schön wie seinerzeit ihre Mutter Torlyri es gewesen war, mit dem gleichen üppigen schwarzen Pelz und den auffallenden weißen Spiralzeichnungen. Und den gleichen heißen dunklen Augen. Torlyri war allerdings sehr groß gewesen, und Catiriil war klein und zart, aber an manchen Tagen, wenn sie die Partnerin ihres Sohnes aus dem Augenwinkel sah, bekam Boldirinthe das Gefühl, als sähe sie die von den Toten wiedergekehrte Torlyri, und das brachte sie dann oft recht durcheinander. Und Catiriil besaß außerdem auch noch den sanften liebevollen Charakter Torlyris. Wie merkwürdig, überlegte sich Boldirinthe, daß Catiriil so vielfältig liebreizend und angenehm war. und daß es einem dermaßen schwerfiel, ihren Bruder, Husathirn Mueri, zu mögen.

Catiriil gab sich die größte Mühe, Simthala Honginda zu lockern und aufzuheitern. Sie hatte ein Grüppchen um ihn geschart — seinen Bruder Nikilain und Nikilains Gefährtin Pultha, die ein Born unerschöpflichen Lachens und übersprudelnder Fröhlichkeit war, und Timofon, seinen engen Freund und Jagdkameraden, den Partner seiner Schwester Leesnai. Sie scherzten mit Simthala, neckten ihn freundlich, richteten alle Liebe und Aufmerksamkeit auf ihn. Na, also wenn die Truppe meinen Simthala Honginda nicht aus seiner Trübsal loseisen kann, dachte Boldirinthe, dann schafft das niemand. Aber anscheinend funktionierte es.

Auf einmal war Simthalas Stimme deutlich über dem Singen und fröhlichen Geschnatter vernehmbar.

„Soll ich euch mal ’ne Geschichte erzählen?“ fragte er mit einer seltsam hochgespannten Stimme. „Bisher habt ihr lauter schöne Geschichten erzählt. Also gut, jetzt will ich euch eine erzählen. oder gleich ein paar.“ Er goß den Rest aus seinem Becher hinab und sprach weiter, ohne auf Zustimmung oder Ablehnung zu warten. „Es lebte einmal in den Bergen im Osten von Vengiboneeza ein Vogel mit einem Leib, aber zwei Köpfen. Du hast den Vogel nie gesehen, Vater? Hab ich mir fast gedacht. Aber hier habt ihr die Geschichte. Also, es scheint, daß eines Tages einer der Köpfe bemerkte, wie der andere Kopf mit großem Wohlbehagen eine süße Frucht verzehrte, und er wurde von Neid erfaßt und sprach zu sich selber: Nun, so will ich denn Giftbeeren essen. Und das tat er, der Kopf, und dann starb der ganze Vogel.“

Es war auf einmal vollkommen still im Raum. Ein paar halbherzige Ansätze zu einem Lachen, aber sie erstarben fast sofort wieder.

„Meine Geschichte hat euch gefallen, was?“ schrie er. „Noch eine? Moment, Moment, erst brauch ich noch einen Schluck Wein.“

Catiriil sagte: „Vielleicht bist du müde, Liebster. Wir könnten doch.“

„Nein!“ sagte er, füllte seinen Becher und trank ihn sogleich wieder leer. „Noch eine Geschichte. die Geschichte von der Schlange, bei der ihr Kopf und ihr Schwanz in Streit gerieten, wer vorn sein soll. Der Schwanz sagte, du bist immer vorn und gibst die Richtung an. Das ist nicht fair. Jetzt laß mich mal ’ne Weile führen. Und der Kopf antwortete: Wie könnte ich denn meinen Platz mit dir tauschen? Die Götter haben nun mal mich zum Kopf bestimmt. Aber der Streit ging immer weiter und weiter, bis der Schwanz sich zornig um einen Baumstrunk schlang, so daß die Schlange nicht mehr vom Fleck kam. Schließlich gab der Kopf nach und ließ den Schwanz vorausgehen. Daraufhin fiel die Schlange in eine Feuergrube und starb elendiglich. Und die Moral von der Geschieht: Es gibt eine natürliche Ordnung der Dinge, und wenn diese Ordnung gestört ist, treibt alles in den Ruin.“

Das Schweigen war diesmal noch gespannter.

Staip hob den Hintern halb von seinem Sessel, schaute zu seinem Sohn hinüber und sagte: „Ich glaube, Sohn, du solltest jetzt vielleicht deinen Weinbecher umdrehen. Was meinst du dazu?“

„Was ich dazu meine? Ich meine, daß ich noch lang nicht genug getrunken habe, Vater! Aber anscheinend magst du meine Geschichten nicht. Ich hab geglaubt, sie würden dir gefallen, aber es scheint, ich hab mich geirrt. Also gut, keine Geschichten mehr. Nur noch klare grobe Rede. Direkt und ohne Schnörkel. Wollt ihr was über unsere Fahrt nach Norden hören? Wollt ihr wissen, was unsere Gesandtschaft in Salamans Königsstadt erreicht hat?“

Leise sagte Catiriiclass="underline" „Du bringst deine Mutter durcheinander, merkst du das nicht? Das willst du doch nicht. Sieh nur, wie blaß sie geworden ist. Wie wär’s, Liebster, wenn wir zwei ein bißchen an die frische Luft gehen. Es hat aufgehört zu regnen, und.“

„Nein!“ Simthala schnaubte wild. „Sie sollte das auch hören. Sie ist noch immer die Opferfrau, oder? Eine hohe Funktionsträgerin im Stamm, ja? Also, dann muß sie das auch hören.“ Mit zitternder Hand grapschte er nach einem weiteren Becher Wein. „Was ich euch zu sagen habe, ist, daß wir bald Krieg haben werden“, rief er laut. „Gegen die Hjjks wird es gehen. Salaman und Thu-Kimnibol haben das miteinander ausgemacht. Irgendeine Provokation, ein Vorwand, der die Kriegsmaschinerie in Gang setzt, und wir stecken mitten in der heißesten Schlacht, ob wir wollen oder nicht. Und das weiß ich aus dem, was ich gehört habe und was ich belauscht habe und was ich durch Herumhorchen und Stöbern herausgefunden habe. Es gibt Krieg! Thu-Kimnibol und König Salaman wollen es! Und wir alle werden blindlings hinter ihnen herrennen und über den Klippenrand stürzen!“ Er trank hastig. Dann sprach er weniger heftig weiter. „Sie sind wahnsinnig, die beiden. Und ihr Wahnsinn wird die ganze Welt anstecken. Aber vielleicht ist es ja auch der Wahnsinn der Welt, von dem die zwei angesteckt sind. Vielleicht sind wir schon zu weit in die falsche Richtung gegangen, und das ist die unvermeidliche Folge, und Thu-Kimnibol und Salaman sind die unserer Zeit angemessenen Führer.“