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Sie waren jetzt ins graue Land vorgestoßen. Der Erdboden war grau, der Himmel war grau, und selbst der Wind, der aus dem Osten heranheulte, war grau von den Staubmassen, die er mit sich trug. Die einzigen Farbakzente schienen von der Vegetation zu kommen, die sich mit dumpfer Wut gegen das umfassende Grau zur Wehr zu setzen schien. Das grobe spärliche gezahnte Gras war aggressiv karminrot; die großen strammen rundköpfigen Schwämme leuchteten in tödlichem Gelb, und wenn man sie niedertrat, stießen sie explosionsartig Wolken leuchtend grüner Sporen aus; die Bäume waren groß und schlank, mit blauschimmernden dornenförmigen Blättern und trieften beständig von einem klebrigen viskosen Saft, der wie Säure brannte.

In der Ferne bildeten niedere kalkige Berge wie Zahnstummel ganze Ketten. Das freie Land dazwischen war flach, dürr und wenig einladend: keine Seen, keine Bäche, nur hie und da sickerte eine brackige Quelle aus salzverkrusteten Spalten im Grund.

„Also, wohin jetzt?“ fragte Lisspar Moen. Sie war während des Tages der Zugfähnrich und übermittelte Zechtior Lukins Befehle den übrigen.

Er nickte zu den Bergen hinüber und gab einen steten NordnordostKurs an. „Hjjk-Gegend?“ sagte sie.

„Unser Land“, korrigierte er sie.

Hinter ihm her zog über die graue Ebene die Schar der verbannten Akzeptänzer aus Yissou, dreihundert und vierzig an der Zahl inzwischen.

Von den ursprünglichen dreihundert und siebzig und sechs Anhängern war ein Dutzend zu alt und zu schwächlich für den Beginn eines neuen Lebens in der Wildnis gewesen, und ein paar andere hatten kurz vor dem tatsächlichen Auszug schlichtweg ihrem Glauben abgeschworen und sich geweigert mitzuziehen. Lukin hatte mit etwas ähnlichem gerechnet und keinen Versuch gemacht, sie zu bedrängen.

Zwangsmaßnahmen hatten in seinem Lebenskonzept keinen Platz. Er erkannte die göttliche Suprematie in allen Stücken an. Wenn die Götter es so bestimmt hatten, daß einige seiner Gefolgsleute es vorzogen, ihm nicht zu folgen, so war er willens, auch das zu akzeptieren. Zechtior Lukin — der von der Welt nichts erwartete, als was ihm die Welt Tag für Tag bot — hatte noch nie einen Augenblick der Enttäuschung erfahren.

Auch auf dem Marsch hatte es etliche Verluste gegeben. Auch dies nahm er gelassen hin. Die Götter setzten ja sowieso stets ihren Willen durch.

Als die Marschkolonne an Venginoneeza vorbeizog, hatte ein Hjjk-Spähtrupp fünf seiner Leute gefangengenommen. Da er wußte, daß die alte Stadt der Saphiräugigen nunmehr im Besitz des Insektenvolkes war, hatte er eine Strecke weit östlich darum herum gewählt. Wie es sich zeigte, nicht weit östlich genug. In der Dämmerung, in einem Gebirgspaß, in dichten Nebelschwaden erfolgte der plötzliche Angriff. Geschrei und Gerangle, gewaltige Verwirrung, und dann die Erkenntnis, daß es auch schon wieder vorbei war, was immer da geschehen war. Auf dem Boden lagen ein paar zurückgelassene Rucksäcke, ein Handwagen lag umgestürzt auf der Seite. Eine Verfolgung wäre hoffnungslos gewesen; das Hjjk-Land ringsum war dunkel und weglos. Zechtior war dankbar, daß die Hjjks nur so wenige fortgeschleppt hatten.

Natürliche Übel kosteten weitere Verluste. Es war ein unkultiviertes Land. Ein Haufen losen Geästs — so stellte sich heraus — verbarg die Öffnung einer Grube, und scharlachrote Klauen und gelbe Schnappmandibeln lauerten auf ihrem Grund. Einige Tage danach brach aus dem Nichts ein gewaltiges hängebäuchiges Untier hervor, das mit dicken steinharten braunen Schuppen bekleidet war, schleuderte den kleinen trübäugigen Schädel wie eine Keule umher und tötete, wen es damit traf. Sodann gab es da auch ein komisches hüpfendes Geschöpf mit lustigen Goldaugen und absurden winzigen Ärmchen; aber aus seinem Schwanz schoß eine Gift verspritzende Nadel Und mittags erschien einmal ein Schwarm geflügelter Insekten, so sinnverwirrend wie buntfarbige Edelsteine, und erfüllte die Luft mit einem milchigen Sprühdunst; und wer davon atmete, fiel krank darnieder, und einige erholten sich nicht mehr davon.

„Mit derlei muß man rechnen“, sagte Zechtior.

„Wir beugen uns dem Willen der Götter“, antwortete sein Volk.

Die Überlebenden zogen unbeirrt weiter. Zechtior Lukin aber wartete, daß die Himmlischen Fünf ihm eröffnen würden, wenn sie den Platz erreicht hatten, an dem sie ihre Stadt errichten sollten.

Jenseits der Kalkberge ließ die Grauheit nach. Das Land war hier fahlbraun mit roten Streifen, was vielleicht ein Anzeichen von Fruchtbarkeit war, und es floß ein Fluß von Osten nach Westen, der sich in drei Läufe gabelte. An derer Ufern zeigte sich die Vegetation in glänzendgrünem Laub, und einige der Büsche trugen dicke bläulichrote Früchte mit runzeliger Schale. Sie erwiesen sich als eßbar.

„Hier wollen wir bleiben“, erklärte Zechtior Lukin. „Ich spüre die Anwesenheit der Himmlischen Fünf.“

Er wählte eine kleine Erhebung zwischen den beiden südlichen Flußgabelungen, die ihm wohl über dem Überschwemmungsniveau des Flusses zu liegen schien, und dort schlugen sie ihre Zelte auf, in denen sie zu wohnen gedachten, bis sie die ersten festen Häuser erbaut hatten. Drei der Weiber, die mit ungewöhnlich starkem Zweitgesicht begabt waren, begaben sich eine Strecke abseits und sandten die Nachricht von ihrer Niederlassung nach Yissou; denn Zechtior Lukin hatte dies dem König versprochen. Salaman hatte ihn mit einer Methode vertraut gemacht, einer Kombination aus Tvinnr und Zweitsichtigkeit, die den Kontakt über weite Entfernungen aufrecht erhalten konnte. Zechtior war eher skeptisch, doch da ein Versprechen für ihn so viel galt wie ein heiliger Schwur, schickte er die Weiber aus, um die Nachricht zu senden.

Er sagte: „Ich nenne diesen Ort Salpa Kala“, und das heißt ‚Ort der Himmlischem‘.

Am Morgen des vierten Tages der Gründung von Salpa Kala erschienen überraschend drei Hjjks, als wären sie aus der Erde gewachsen, und gingen ohne Zögern auf Zechtior zu, der gerade die Errichtung eines Zeltes überwachte. Er fühlte sie hinter sich, noch ehe er sich umwandte und sie sah; er konnte den starken eiskalten Druck gegen sein Bewußtsein spüren, die abweisende dürre bleiche Kälte ihrer nüchternen Seelen.

Ruhig sagte einer — Zechtior vermochte nicht zu sagen, welcher, denn er sprach lautlos mit der summenden dröhnenden Stimme der Gedanken: „Dieser Ort ist für euch verboten. Ihr werdet ihn heute abend verlassen und in euer eigenes Land heimkehren.“

„Dieser Ort ist Salpa Kala und ist uns von den Himmlischen Fünf als unsere Wohnstatt gegeben“, erwiderte Zachtior ruhig.

Mit dem Zweitgesicht strahlte er die Vision aus, die er einst gehabt hatte, die unermeßliche Masse der Königin des Insektenvolkes über Yissou schwebend, als wollte er damit übermitteln, daß er von ihrer Macht und Größe wisse und sie akzeptiere, wie er alles hinnahm; aber er versuchte gleichfalls zu übermitteln, daß ihm von den Göttern — den gleichen hochmächtigen Göttern, welche die Geschicke des Hjjk-Volkes lenkten — befohlen sei, daß er an diesen Ort ziehen und hier eine Siedlung gründen müsse.

Aber wenn seine Botschaft die Hjjks erreicht oder sie irgendwie beeindruckt hatte, so ließen sie sich das nicht anmerken.

„Ihr werdet heute abend von hier weggehen“, sagte die schabende Stimme erneut.

„Wir werden das Geschenk der Götter nicht preisgeben“, erwiderte Zechtior Lukin.

Die Hjjks sprachen danach nicht mehr. Er betrachtete sie ruhig, die langen schimmernden Körper, die vielfacettierten Augen, die orangeroten Segmente ihrer Atemschläuche, die vorspringenden Schnäbel, die sechs schlanken starren Beine. Der kleinste der Hjjks war einen ganzen Kopf größer als er selber, doch bezweifelte er, daß er mehr wog als ein Kind, so ausgedorrt und fleischlos wirkte der Leib. Ihre starren gelb-schwarzen Panzer reflektierten das Licht des klaren Morgens unangenehm scharf. Doch er empfand keine Furcht vor ihnen.