Nach einiger Zeit zuckte er die Achseln, kehrte ihnen den Rücken zu und wandte sich wieder der Errichtung des Zeltes zu.
„Was werden wir tun?“ fragte Cheppilin der Sattler, nachdem die Hjjks davongestelzt waren.
„Nun, wir werden nicht weichen“, gab Zechtior zurück. „Dies hier ist unser, kraft des Willens der Götter, die es uns schenkten, ist es nicht so?“
Und er gab seinen Anhängern Befehl, Waffen zu verteilen: Schwerter, Speere, Messer, Keulen. Bei Sonnenuntergang scharten sie sich eng um ihre zusammen-getragene Habe und warteten auf die Rückkehr der Hjjks.
Die drei von vorher — Zechtior nahm jedenfalls an, daß sie es waren — kamen aus den Schatten hervor.
„Ihr seid noch immer da“, sprach die summende Hjjk-Stimme.
„Dieser Ort ist unser.“
„Es ist kein Ort für Fleischlinge. Geht fort, oder ihr werdet sterben.“
„Die Götter haben uns hierher geführt“, sagte Zechtior. „Der Wille der Götter geschehe.“
Vom anderen Ende des Lagers ertönte ein schriller Schrei. Rasch blickte er sich um, aber der eine schnelle Blick genügte ihm. Aus dem Flußdickicht war eine Horde dunkler kantiger Gestalten hervorgebrochen: Hjjks, zu Hunderten, vielleicht Tausenden: Es war, als hätte sich jeder Kiesel am Gestade in einen Hjjk verwandelt. Und sein Volk geriet bereits in Panik.
Zechtior Lukin hob seinen Speer. „Kämpft!“ brüllte er. „Kämpft! Feigheit ist Glaubensverrat und Sünde!“
Er trieb seinen Speer in das glitzernde Auge des nächststehenden Hjjk, zog ihn wieder heraus und hieb einem zweiten mit der scharfen Kante der Spitze die Atemröhre ab.
„Kämpft!“
„Wir werden alle umgebracht!“ rief Lisspar Moen ihm zu.
„Wir sind den Göttern sowieso einen Tod schuldig, und heute nacht fordern sie ihn ein, ja“, sprach Zechtior und schmetterte den dritten Hjjk zu Boden, gerade als der seinen klickenden Schnabel über ihm öffnete. „Aber wir werden trotzdem kämpfen. Wir kämpfen bis zum Ende.“
Das Insektengesindel Schwärmte überall im Lager herum. Die Speere blitzten. Die scharfen kreischenden Stimmen ertränkten die Stimmen der gläubigen Akzeptänzler.
Lisspar Moen hat recht, sagte Zechtior zu sich. Wir werden hier und heute allesamt sterben.
Also habe ich wohl den Willen der Götter nicht richtig verstanden. Wie es scheint, haben sie doch nicht vorherbestimmt, daß ich es sein soll, der die Neue Welt aufbaut. Soviel scheint schon mal klar. Also gut: Auch das ist der Wille der Götter, ebenso wie es ihr Wille war, die Todessterne auf die Welt herniederstürzen zu lassen, vor sieben mal hunderttausend Jahren!
Einen Augenblick lang überlegte er sogar zaudernd, ob es rechtens war, überhaupt den Versuch eines Widerstandes zu unternehmen. Wenn nämlich die Götter seinen Tod bestimmt hatten für diese Nacht — und den Tod aller seiner Leute —, wie sie dies zweifellos getan hatten, sollte er dann nicht seinen Speer niederlegen, die Arme falten und gelassen auf sein Ende warten, genau wie es die Saphiräugigen getan hatten, als der Lange Winter sie überrollte?
Vielleicht sollte er das tun. Ein rascher Blick in die Runde verriet ihm, daß einige seiner Gefolgsleute sich zu verstecken oder zu fliehen versuchten, aber andere hielten ruhig stand und boten mit der Resignation des wahren gläubigen Akzeptänzlers den Speeren der Hjjks die Brust.
Ja, dachte er, ja, das ist der rechte Weg.
Doch er erkannte auch, daß er selbst dies nicht tun konnte. Hier, kurz vor seinem Ende, angesichts der unmittelbaren Vernichtung fühlte er sich geradezu zum Widerstand gestoßen, so nutzlos er sein mochte und so völlig im Widerspruch zu allem, was er geglaubt und gelehrt hatte. Anscheinend lag es nicht in seiner göttergegebenen Natur, sich so bereitwillig abschlachten zu lassen. In der letzten Stunde seines Lebens mußte Zechtior Lukin einen Aspekt seines Wesens und seiner Seele mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen, den er niemals in sich zu entdecken erwartet hätte.
Ein Schein-Akzeptänzler! Ein Heuchler und Lügner!
Soviel immerhin vermochte er sich einzugestehen. Er erwog das Problem einen kurzen Augenblick lang im Geiste, und schob es dann von sich. Er war schließlich, wie er war und wie die Götter ihn gemacht hatten, im Guten wie im Schlechten.
Er war von einem weiten Ring von Hjjks umzingelt. Die glitzernden Augen sahen aus wie kaltblitzende dunkle Monde. Zähnefletschend ging er in breitbeinige Kampfstellung, als sie auf ihn einzudringen begannen.
Er schlug und schlug und schlug wieder zu, bis er außerstande war, noch weiter zuzustoßen.
8. Kapitel
Das Schwert Dawinnos
Husathirn Mueri sagte: „Einen Augenblick nur, Hresh, wenn du so gut sein willst.“
Der Chronist, im Begriff, das Haus des Wissens zu betreten, blieb auf der Treppe stehen und warf dem Sohn der Torlyri einen fragenden Blick zu. Husathirn Mueri nahm zwei Stufen auf einmal und stand gleich darauf neben Hresh. Mit gedämpfter Stimme fragte er: „Weißt du eigentlich, was sich bei uns in der Stadt tut, Hresh?“
„Im allgemeinen oder mit einem besonderen Bezug?“
Ein hurtiges Lächeln von Husathirn. „Also — du weißt es nicht! In diesem Moment ist dein Bruder draußen im Stadion und exerziert das Heer!“
Hresh mußte blinzeln. Es waren erst drei Tage vergangen, seit das Präsidium über die Ratifizierung dieses neuen Bündnisvertrags mit Yissou abstimmte. Taniane und Thu-Kimnibol hatten sich heftig zugunsten des Vertrags eingesetzt, und nur ein paar Übervorsichtige wie Puit Kjai hatten dagegen eingewandt, daß dieses Bündnis Dawinno früher oder später in einen Krieg hineinziehen werde. Wahrscheinlich eher später als früh, hatte Hresh dabei gedacht. Doch schien sich die Entwicklung stärker zu beschleunigen, als er erwartet hätte.
„Wir haben doch gar kein Heer“, sagte er, „bloß eine Stadtpolizei.“
„Nun, inzwischen haben wir eine Armee. Thu-Kimnibol und seine Freunde haben sie über Nacht auf die Beine gestellt. Sie nennen sie ‚Das Schwert Dawinnos‘. Dein Bruder betont hartnäckig, daß wir jeden Moment Krieg gegen die Hjjks haben werden und daß wir darauf vorbereitet sein müßten.“ Husathirn Mueri gab ein rauhes Geräusch von sich, das Hresh nach einiger Überlegung als ein Lachen erkannte. „Man stelle sich das nur mal vor! Die halbe Stadt hockt in diesem Augenblick in den Bethäusern Kundalimons und singt Lobpreisungen auf die Insektenkönigin. und die andere Hälfte der Bürgerschaft ist draußen im Stadion und exerziert und macht sich bereit, sie umzubringen!“
„Wenn ein Krieg kommt“, sagte Hresh bedächtig, „dann müssen wir natürlich zum Kampf bereit sein. Doch wieso glaubt Thu-Kimnibol.“
„Der Bündnisvertrag mit Salaman legt fest, daß wir Yissou im Falle eines feindlichen Angriffs zu Hilfe kommen.“
„Ich weiß durchaus, was der Vertrag vorsieht. Aber die Hjjks haben doch keinerlei Feindseligkeiten begangen.“
„Noch nicht.“
„Besteht Grund zu der Annahme, daß sie es tun werden?“
Husathirn Mueri ließ den Blick gedankenschwer ins Leere schweifen. „Ich habe Gründe, es zu vermuten.“
„Aber Salaman erzählt uns doch seit Jahren unablässig, daß die Hjjks ihn zu überfallen beabsichtigen! Ich nehme an, seine Mauer ist höher und immer höher geworden, so daß sie nun auf höchst eindrucksvolle Weise selbst unglaublich über seine Stadt herunterdroht. Aber in der Zwischenzeit ist keine Invasion erfolgt. Nie! Und alle diese unterstellten Bedrohungen seines Reichs durch die Hjjks waren schlichte Ausgeburten seines geänderten Hirns. Wieso sollte sich das auf einmal jetzt geändert haben?“
„Ich glaube, die Dinge haben sich geändert“, sagte Husathirn Mueri.