Und immer tiefer hinab, bis zu der allertiefsten von allen Höhlen.
An den Ort, an dem verborgen die Königin selber lagert, aber jetzt nicht mehr versteckt und geheim, denn ein Zucken der Kraftpeitsche hat die Decke ihrer Kammer weggefegt, und ihre immense bleiche Körpermasse liegt nackt und schutzlos preisgegeben da, während sich die Leibwächter verzweifelt um sie drängen und sinnlos und vergeblich ihre Waffen schwingen. Über der Königin ragt Thu-Kimnibol auf, eine kleine schimmernde Metallkugel in der Hand, aus der plötzlich ein bernsteingelbes Licht strahlt. Und die Königin beginnt zu beben und zu zucken und weicht vor diesem heißen stechenden Druck zurück. Aber wohin könnte sie in dieser engen Kammer fliehen? Ohne Erbarmen streicht das goldene Licht über die ganze Länge ihres Leibes. Auf der versengten, schwarzverkohlten Haut bilden sich riesige Beulen und Blasen. Sie siedet und brät und brutzelt unter dem unerbittlichen goldgelben Lichtstrahl, und schwarzer Rauch steigt von ihr empor. Bis.
Bis.
„Dies könnte niemals geschehen“, ertönt die kalte Stimme der Königin.
„Bist du so sicher? Vengiboneeza liegt in Staub und Asche. Die Leichen deines Insektenvolks liegen bereits in Haufen viele hundert Meilen weit über die Ebenen verstreut. Und wir haben gerade erst angefangen.“
„Ihr seid Kreaturen mit kleinen Seelen. Ihr werdet vor Entsetzen fliehen, lang ehe ihr uns erreicht habt.“
„Bist du dir dessen absolut sicher?“ fragt Nialli. „Hätten Kreaturen mit kleinen Seelen unsere Städte erbauen können? Hätten kleinmütige Feiglinge dich so bekämpfen können, wie wir es bisher taten? Ich sag es dir noch einmaclass="underline" Wir haben gerade erst angefangen!“
Es folgt Schweigen.
Schließlich spricht die Königin: „Ich kenne dich. Du gehörst zum Nest, Kind. Du warst eine von uns, und dann habe ich dich aus dem Nest entsandt, zurück zu deinen eigenen Leuten. Aber meine Absicht war, daß du mir dort dienen sollst, nicht dich mir widersetzen. Wozu diese Drohungen? Wie kannst du sie auch nur aussprechen? Die Königin-Liebe ist doch immer noch in dir.“
„Ist sie das?“
„Ich weiß, daß es so ist. Du gehörst mir, Kind. Du bist aus dem Nest, und du wirst ihm niemals Schaden zufügen können.“
Nialli gibt keine Antwort. Statt dessen schaut sie tief in sich selbst hinein, an jenen verborgenen Ort, an den die Königin vor langer Zeit ein Stückchen ihres Selbst versenkt hat. Und Nialli packt dieses Partikel und zerrt es heraus, als wäre es nichts als ein flach in der Haut sitzender Splitter, und sie schnippt ihn von sich. Und als er der Erdoberfläche nahekommt, geht er in Flammen auf und verbrennt.
„Glaubst du noch immer, daß ich zum Nest gehöre?“ fragt Nialli Apuilana.
Und wieder folgt ein gewaltiges Schweigen.
Und noch einmal führt Nialli der Königin die Vision des Entscheidungskampfes vor: das Nest aufgerissen, die Einwohner von Flammen verschlungen, die Königinkammer aufgebrochen und geplündert, der brutzelnde, verkohlende Riesenleib, aufgeplatzt und unbrauchbar, eine Leiche in der qualmerfüllten Tiefe.
„Du hast keine Ahnung, was es bedeutet zu sterben“, sagt Nialli. „Du weißt nicht, was Schmerz ist. Nicht, was Verlust heißt. Du weißt nicht, was Niederlage bedeutet. Doch du wirst es lernen müssen. Du wirst unter Qualen in den Flammen zugrundegehen, und deine schlimmste Pein wird es sein, daß du begreifen mußt, keine Möglichkeit zu haben, dich an denen zu rächen, die dir dies zugefügt haben.“
Die Königin antwortet nicht.
„Aber so wird es geschehen“, spricht Nialli weiter. „Wir sind entschlossene und hartnäckige Leute. Aber die Götter haben uns zu dem geformt, was wir sind.“
Stille.
„Also?“ sagt Nialli. „Ist dies deine Antwort? Ist es das, was du von uns willst, daß wir es tun? Denn ich versichere dir, wir werden es tun, wenn du uns nicht gibst, was wir fordern.“
Stille. Schweigen.
Schließlich spricht die Königin: „Was also ist es, das ihr verlangt?“
„Ein Ende des Krieges. Ein Waffenstillstand zwischen unseren Völkern. Eine feste Grenzlinie zwischen deinen Territorien und den unsrigen, die niemals verletzt werden darf.“
„Und dies sind eure einzigen Bedingungen?“
„Die einzigen, ja“, antwortet Nialli Apuilana.
„Und die Alternative?“
„Kampf bis in den Tod. Ohne Gnade.“ „Du irrst, wenn du glaubst, es könnte jemals Frieden herrschen zwischen uns“, sagt die Königin.
„Aber wir können auf einen Krieg zwischen uns verzichten.“
Und wieder, ein letztes Mal, das lange Schweigen. Es scheint ewig dauern zu wollen.
„Ja“, sagt die Königin endlich. „Es kann die Vermeidung von Krieg zwischen uns geben. So sei es denn. Ich gewähre, worum du mich bittest. Wir werden auf Krieg verzichten.“
Also war es vollbracht. Nialli Apuilana sagte der Königin Lebewohl, und in einem Nu zog sie sich aus der Höhenregion zurück und schoß auf die Wölbung des Landes hinab, über dem inzwischen das Morgenrot zu glühen begonnen hatte. Sie löste den Griff um den Barak Dayir und richtete sich auf. Sie befand sich wieder im Zelt bei Thu-Kimnibol.
Er bewegte sich. Dann blickte er zu ihr herüber und lächelte.
„Wie merkwürdig. Ich hab geschlafen wie ein Kind, so ganz der Welt abhanden gekommen. Und mir träumte, daß der Krieg vorbei sei. Daß zwischen uns und der Königin ein Waffenstillstand beschlossen ist.“
„Das war kein Traum“, sagte Nialli Apuilana.
10. Kapitel
Die Frühlingskönigin
Der Tag war hell und klar, ein angenehm kühler Wind wehte von Westen, eine Seebrise, immer ein gutes Omen. Taniane erhob sich früh am Morgen und begab sich zum Tempel der Fünffaltigkeit, um Dank zu sagen für die sichere Heimkehr der Streitkräfte und um die Götter um ihren Segen für die künftigen Zeiten zu bitten; danach — denn schließlich war sie Häuptling des Gesamt-VOLKES — fuhr sie auch zum Nakhaba-Tempel, um dem Gotte der Beng ihre Ehrerbietung zu erweisen. Danach ließ sie ihre Staatskarosse, gezogen von vier prachtvollen weißen Xlendis, bringen und schickte sich an, zum Emakkis-Tor am Nordende der Stadt zu fahren, wo man eine große Paradetribüne aufgeschlagen hatte, damit der Häuptling und das Präsidium die heimkehrenden Helden beim Einzug auch gebührend begrüßen könnten. Taniane hatte die Koshmar-Maske mit, die schimmernd-schwarze, die sie zuweilen bei hohen Staatsfeierlichkeiten trug. Und der Tag, schien ihr, war dieser Maske würdig.
Seit vier Tagen waren die Läufer eingetroffen, die von der Heimkehr berichteten; atemlos taumelten sie in die Stadt herein und brachten die neuesten Meldungen über die Südwärtsbewegungen des Heerwurms. „Jetzt stehen sie bei Tikhaleret“, erschallte der Ruf, und fast sogleich danach: „Sie haben Samarak erreicht!“ Und dann: „Nein! Sie nähern sich Ghomino!“ Thu-Kimnibol, sagten die Boten, reite stolz an der Spitze, und Nialli Apuilana sei an seiner Seite, und dahinter folge das ganze Heer, so weit das Auge reichte.
Thu-Kimnibol hatte gleichfalls eigene Kuriere vorausgesandt, die von dem Waffenstillstandsabkommen kündeten, das dem Krieg ein Ende gemacht hatte. Sie überbrachten auch die erste offizielle Nachricht von Hreshs Tod. Doch dies bestätigte Taniane nur, was sie bereits wußte, denn sie hatte Hreshs Anwesenheit in der Welt nicht mehr gefühlt — seit jenem Tag der merkwürdigen dumpfen Betäubtheit, als Puit Kjai ihr mit seinem Gerede von Aufruhr gekommen war; trotzdem war es eine bittere Nachricht. Und König Salaman war ebenfalls tot, sagte man, gestorben an Gram und Erschöpfung, nachdem ihm die Hjjk einen schweren Verlust zugefügt hatten.
Taniane fragte sich, was Hresh da droben auf Hjjk-Gebiet und in der Kampfzone zu suchen gehabt hatte. Dort hätte sie ihn zu allerletzt vermutet. Doch offensichtlich war Hresh sich bis zum letzten Tag treu geblieben und seinen eigenen Gesetzen gefolgt. Vielleicht würde Nialli ihr später das Rätsel dieser seiner letzten Fahrt aufklären.