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Er verdrängte diese Ideen vorläufig. Später war genug Raum, dieses frische Leben in das leere Gefäß seiner Seele strömen zu lassen.

„Sie ist von mir gegangen“, sagte er schlicht. „Kartafirain, schenk mir noch Wein nach! Und dann. Laßt uns ein Weilchen hier sitzen und über Politik plaudern, oder über die Jagd. oder über die freundlichen Absichten der Hjjks. Doch zuerst den Wein, Kartafirain. Wenn du so freundlich sein magst.“

Hresh sprach zuerst bei der Feier, er sprach die Worte, die er oft genug bereits gesprochen hatte: die Tröstungen Dawinnos. Daß Tod und Leben zwei Hälften einer Ganzheit seien, denn alles, was lebt, entsteht aus allem, was einst lebendig war, doch nun nicht mehr ist, und muß seinerseits sein Leben dahingehen, auf daß neues Leben entstehe. Danach sprach Boldirinthe das Totengebet. Auch Taniane sagte ein paar ruhige Sätze. Dann legte Thu-Kimnibol, der den Leib Naarintas wie eine Puppe in den Armen hielt, das in Tücher gehüllte Bündel auf den Scheiterhaufen. Die Flammen verschlangen sie, und in der lodernden Helle entschwand sie den Blicken.

Danach kehrte die Trauergesellschaft vom Ort der Toten in die Stadt zurück. Taniane und Hresh fuhren zusammen in der Staatskarosse des Häuptlings. „Ich habe eine siebentägige Volkstrauer angeordnet“, erklärte sie ihm. „Damit gewinnen wir etwas Zeit, über die Hjjk-Pläne nachzudenken, bevor wir damit vor das Präsidium gehen müssen.“

„Die Hjjks, ach ja“, sagte Hresh leise. „Das Präsidium.“

Er war im Geiste noch bei Thu-Kimnibol und Naarinta. Was Taniane gerade gesagt hatte, erschien ihm zunächst wie ein sinnleeres Geräusch, blecherne, bedeutungslose Worthülsen, die wie aus weiter Ferne zu ihm drangen. Präsidium? Hjjks? Ach ja? Die Hjjk-Pläne. Was war das? Die Hjjks. Hjjks. Hjjks. Er fühlte wieder das fremdartige Wispern in seinem Bewußtsein, wie so oft, wenn Gedanken an die Hjjks auftauchten. Das Rascheln von Borstenkrallen. Die klickenden gewaltigen Schnäbel.

Sie brach heftig in seine Gedanken ein. „Wo wanderst du jetzt wieder herum, Hresh?“

„Wie?“

„Du wirkst auf einmal, als wärst du auf der anderen Seite des Mondes.“

„Äh. Was sagtest du gerade, meine Liebe?“ Er blickte sie verständnislos an.

„Ich sprach von den Hjjks. Von ihrem Vertragsangebot. Ich muß wissen, wie du darüber denkst, Hresh. Können wir uns wirklich darauf einlassen? Daß uns die Hjjks in unsrer eigenen kleinen Provinz isolieren? Wir von der restlichen Welt ganz abgeschnitten sind?“

„Das ist unvorstellbar, gewiß“, antwortete Hresh „Eben. Doch du scheinst das Ganze recht gelassen zu nehmen. Als wäre es für dich überhaupt nicht wichtig.“

„Müssen wir denn gerade jetzt darüber sprechen, Taniane? Heute ist ein Tag der Trübsal. Ich habe gerade gesehen, wie mein Bruder seine geliebte Gefährtin auf den Scheiterhaufen gelegt hat.“

Sie schien steif zu werden. „Bei der Himmlischen Fünffaltigkeit, Hresh, wir sehen sie doch alle, einen nach dem anderen ins Feuer gehen! Und eines Tages sind dann wir an der Reihe, und es wird kaum so fein und nett werden, wie du das in deinem kleinen Sermon immer predigst! Aber die Toten sind nun einmal tot, und wir sind noch da, und wir müssen mit Bergen von Problemen fertigwerden. Hresh, an diesem Vertragsangebot — es ist wohl eher die Forderung eines Friedensabkommens — ist lichts harmlos oder freundschaftsbereit. Es muß sich um ein Manöver in einem größeren Spiel handeln, das wir bisher noch nicht begreifen können. Wenn wir unterschreiben.“

„Taniane. bitte!“

Sie ignorierte ihn. „. so wäre das wirklich unvorstellbar leichtfertig. Genau, wie du sagst. Die wollen uns drei Viertel der Welt abnehmen, unter dem Vorwand, mit uns einen Friedensvertrag zu schließen, und du willst dazu nicht einmal deine Stimme erheben?“

Nach einer Weile sagte er: „Du weißt genau, daß ich einer Unterwerfung unter die Hjjks niemals zustimmen werde. Doch ehe ich öffentlich Stellung beziehen kann, brauche ich mehr Informationen. Die Hjjks sind mir völlig rätselhaft. Wie übrigens allen anderen auch. Und unsere Ignoranz beeinflußt uns in der Art und Weise, wie wir ihnen begegnen. Was sind sie wirklich? Übergroße Ameisen? Ein gigantischer Haufen seelenloser Wanzen oder Käfer? Wenn sie nur das wären, wie hätten sie dann Teile der Großen Welt bilden können? Möglich, daß sich hinter ihnen weit mehr verbirgt, als wir ahnen. Und ich will das eben wissen!“

„Du willst immer bloß wissen! Aber wie willst du zu diesem Wissen kommen? Du hast dein ganzes Leben damit zugebracht, alles zu studieren, was es in dieser Welt jemals gegeben hat — und in den Welten davor. Und nach alledem hast du nichts Besseres zu sagen, als daß dir die Hjjks ein völliges Rätsel sind!“

„Vielleicht wird Nialli.“

„Ja, Nialli. Ich habe ihr befohlen, mit dem Gesandten zu sprechen und mir alles zu hinterbringen, was sie herausfinden kann. Aber wird sie das auch tun? Was glaubst du? Wer könnte das sagen? Sie verbirgt sich hinter einer Maske, dieses dein Kind. Sie ist noch viel rätselhafter als die Hjjks selber!“

„Nialli ist ein schwieriger Mensch, zugegeben. Aber ich bin überzeugt, daß sie uns in dieser Sache enorm helfen wird.“

„Möglich“, sagte Taniane, aber es klang nicht sehr überzeugt.

Im Stadtzentrum: die vertrauten Bereiche des Hauses des Wissens. Ein guter Zufluchtsort an einem schwierigen Tag. Hresh stieß in einem der Erdgeschoßlabors auf seine Assistenten, Chupitain Stuld und Plor Killivash, die über einigen Fragmenten brüteten. Sein Erscheinen überraschte sie. „Wirst du denn heute hier arbeiten?“ fragte Plor. „Wir haben geglaubt.“

„Nein. Ich arbeite heute nicht“, sagte Hresh. „Ich will bloß hier sein. Oben. Und ich möchte nicht gestört werden.“

Das Haus des Wissens war ein schlanker weißer Turm wie ein Speer; kaum einen Steinwurf im Durchmesser, aber viele Stockwerke hoch. Überhaupt das höchste Bauwerk in der Stadt. In den engen Rundgalerien hatte Hresh die Früchte lebenslanger Forschungsarbeit niedergelegt, und sie stiegen nach oben zu immer schmaler werdend wie eine große, sich an die Innenwandung des Turmes schmiegende Schlange empor. Auf der Spitze umgab eine Schutzwehr einen obersten Umgang, der so wie ein hocherhabener Balkon war. Von dort aus vermochte Hresh fast in jeden Winkel der großen Stadt zu blicken, die er geträumt und geplant und schließlich verwirklicht hatte.

Es wehte ein warmer Wind träge herein. Hresh hielt in seiner Rechten eine kleine silbrige Kugel, die er vor langer Zeit in den Ruinen von Vengiboneeza gefunden hatte. Mit ihrer Hilfe hatte er einstmals Visionen der vergangenen Hochzeiten der Großen Welt heraufbeschwören können. In der linken Hand ruhte ein ähnlicher, aber goldenbronzefarbener Ball. Es war das Zentralkontrollinstrument für die Großwelt-Baumaschinen, die er benutzt hatte, um Dawinno an einem Ort zu bauen, an dem es vordem nichts weiter gab als Sümpfe und Marschen und tropischen Wald.

Sowohl die silbrige wie die goldbronzene Kugel waren seit langem leergebrannt. Sie waren für Hresh — und jeden sonst — wertlos geworden. Durch ihre durchlässige Hülle konnte Hresh den blinkenden Quecksilberkern und die schwärzlichen Korrosionsflecken erkennen.

Er hielt die zwei toten Instrumente in Händen, und Großweltgedanken tauchten in seinem Gehirn auf. Ein heftiger Neid auf die Angehörigen jener verschwundenen Ära überkam ihn. Wie gefestigt ihre Welt gewesen sein mußte, wie geruhsam und heiter! Die unterschiedlichen Teile jener grandiosen Zivilisation hatten ineinandergegriffen wie das Räderwerk eines von den Göttern entworfenen Instrumentes. Saphiräugige und Menschliche, Hjjks und Seelords, Vegetabilische und Mechanische — sie alle hatten harmonisch und vereint zusammengelebt, und es war Zwietracht unter ihnen unbekannt. Ganz gewiß, dies mußte das all erseligste Zeitalter gewesen sein, das der Welt jemals beschert gewesen war.