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Er lächelte immer noch. Lächelte und begriff anscheinend gar nichts.

Sie gab nicht auf. „Dieses Gefühlsorgan benutzen wir unter anderem auch dazu, um mit anderen Geschöpfen Kontakt aufzunehmen. Einen tiefen, starken und intimen Kontakt von Bewußtsein zu Bewußtsein. Vor unserem dreizehnten Lebensjahr dürfen wir das nicht einmal versuchsweise probieren, aber dann zeigt uns die Opferfrau, wie es geht, und dann dürfen wir uns selber Tvinnr-Partner suchen.“

Er starrte sie nichtverstehend an. Schüttelte den Kopf.

Sie griff nach seiner Hand. „Alle zwei Personen können Tvinnr-Partner werden — ein Mann und eine Frau, ein Mann und ein Mann, eine Frau und eine Frau, jeder. Es hat nichts mit Partnerbindung und Kopulation zu tun, begreifst du. Es ist eine Vereinigung der Seelen. Man tvinnert mit jedem, dessen Seele man teilen möchte.“

„Tvinnr“, sagte er und lächelte sogar noch mehr.

„Tvinnr, ja. Ich hab es erst einmal gemacht — als ich dreizehn war, verstehst du? — mit Boldirinthe, der Opferfrau. Seitdem — nie wieder. Hier interessiert mich niemand in dieser Beziehung. Aber wenn ich mit dir tvinnern könnte, Kundalimon.“

„Tvinnern?“

„Wir würden zu einem Kontakt gelangen, wie wir ihn in unserem ganzen Leben bisher nicht gekannt haben. Wir könnten NestWahrheiten miteinander teilen, und wir brauchten dazu nicht einmal die Sprache des anderen zu sprechen, denn die Tvinnr-Verständigung ist jenseits bloßer Worte.“ Sie blickte über die Schulter, um zu sehen, ob die Tür verriegelt sei. Sie war. Auf einmal fühlte sich Nialli wie von einem Fieber gepackt. Ihr Pelz war feucht, ihre Brüste hoben und senkten sich hastig. Ihr eigener Körperduft stieg ihr penetrant und süßlichscharf in die Nüstern, der Gestank eines Tieres.

Vielleicht würde er allmählich begreifen.

Vorsichtig richtete sie ihren Sensor auf, stülpte ihn vor und ließ ihn sacht über den seinen gleiten.

Einen kurzen Moment lang war der Kontakt da. Es war wie ein Blitzschlag. Mit erstaunlicher Klarheit fühlte sie seine Seele: ein glattes fahles Pergament, auf dem in einer dunklen, kühnen, unvertrauten Handschrift seltsame Texte geschrieben waren. Sie waren voll von einer großen Zärtlichkeit und Süße und — Fremdheit. Das dunkle klösterliche Mysterium des Nests war in allem spürbar. Aber er war für Nialli offen und zutiefst verletzlich, und es würde nicht schwierig werden, den Tvinnr-Prozeß zu vollenden und ihrer beider Bewußtheiten in höchster Intimität zu verknüpfen. Erleichterung, Freude, ja sogar beinahe etwas wie Liebe strömte durch Niallis Seele.

Dann jedoch, nach diesem ersten überwältigenden Augenblick, entriß er ihr sein Sensororgan, zerbrach den Berührungskontakt abrupt und schneidend schmerzhaft. Er stieß einen scharfen brüchigen Laut aus, halb ein Knurren und halb das insektenhafte Zirpen der Hjjks, und schlug blindlings mit beiden Armen gleichzeitig auf sie ein, genau wie ein Hjjk es getan hätte. Seine Augen funkelten in wilder Panik. Dann sprang er nach rückwärts, kauerte sich in Abwehrhaltung in einen Winkel, fest gegen die Wand gepreßt, und keuchte vor Abscheu und Entsetzen. Sein Gesicht war eine in Furcht und Schock erstarrte Maske: die Nüstern gebläht, die Lippen waren scharf zurückgezogen und gaben beide Reihen der gebleckten Zähne frei.

Mit weiten Augen starrte Nialli Apuilana ihn an. Sie war entsetzt über das, was sie angerichtet hatte.

„Kundalimon?“

„Nein! Weg! Nein.“

„Ich wollte dich doch nicht erschrecken. Nur.“

„Nicht! Nein!“

Er hatte zu zittern begonnen und klickte unverständliche Hjjk-Worte vor sich hin. Nialli streckte ihm die Arme entgegen, doch er schreckte vor ihr zurück und preßte sich nur noch fester an die Wand. Beschämt und beklommen ergriff sie schließlich die Flucht.

„Kommst du irgendwie voran?“ fragte Taniane.

Nialli reagierte mit einem hastigen unbehaglichen Blick. „Ein bißchen. Nicht so rasch, wie ich gern möchte.“

„Kann er unsere Sprache schon sprechen?“

„Er lernt noch.“ „Und die Hjjk-Wörter? Erinnerst du dich jetzt wieder an sie?“

„Wir benutzen keine Hjjk-Wörter“, sagte Nialli mit gedämpfter Stimme heiser. „Er bemüht sich, das NEST hinter sich zu lassen. Er will wieder fleischlich werden.“

„Fleisch?“ sagte Taniane. Die seltsame Wortwahl ihrer Tochter ließ ihr ein Schaudern über den Rücken laufen. „Du meinst, er will wieder Teil des VOLKS sein?“

„Genau das meinte ich, ja.“

Taniane beugte sich vor, um schärfer zu sehen. Wie stets wünschte sie sich, sie könnte hinter diese Maske blicken, hinter der ihre Tochter ihre Seele vor ihr verbarg. Zum millionstenmal fragte sie sich, was mit Nialli geschehen sein mochte während jener Monde, die sie in dem geheimnisvollen Labyrinth des NESTES unter der Erde zugebracht hatte.

„Und der Vertrag?“ sagte sie.

„Nicht ein einziges Wort. Noch nicht. Wir verstehen uns noch nicht gut genug, als daß wir mehr als ganz simple Dinge behandeln könnten.“

„Das Präsidium tritt nächste Woche zusammen.“

„Ich arbeite, so rasch wie ich kann, Mutter. So schnell, wie er mitmacht. Ich habe die Sache zu beschleunigen versucht, aber da gab es — Probleme.“

„Was für welche?“

„Eben Probleme“, wiederholte Nialli und wendete den Blick ab. „Ach, laß mich doch zufrieden, Mutter! Glaubst du wirklich, sowas ist leicht?“

Drei Tage lang brachte sie es nicht über sich, zu ihm zu gehen. An ihrer Stelle schickte man einen Mann der Wache mit dem Essen. Dann ging sie doch wieder selbst und brachte ihm ein Tablett mit eßbaren Samenkörnern und den kleinen rötlichen Insekten, die man ‚Rubine‘ nannte. Sie hatte die Nahrung persönlich am Morgen auf den kargen dürren Nordwesthängen der Berge gesammelt. Wortlos und scheu bot sie ihm die Nahrung dar. Er nahm ihr das Tablett ebenso stumm aus den Händen und fiel darüber her, als hätte er seit Wochen nichts mehr gegessen, und schaufelte die rötlichen kleinen Kadaver beidhändig in sich hinein.

Danach blickte er auf und lächelte. Jedoch bewahrte er während der ganzen Visite dieses Tages Nialli gegenüber eine vorsichtige Distanz.

Sie hatte also keinen unheilbaren Schaden angerichtet. Dennoch würde es einige Zeit dauern, bis der Riß verheilte. Der Tvinnr-Versuch war zu kühn, zu überstürzt erfolgt, das wußte sie. Vielleicht begriff er ja auch kaum, was sein Sensororgan überhaupt war. Vielleicht war diese flüchtige intimste Berührung zwischen ihnen beiden eine zu heftige Empfindung für ihn, der unter Wesen herangewachsen war, deren Emotionen sich auf ganz andere Weise ausdrückten; vielleicht war auch sein bereits instabiles Gefühl, zu welcher Rasse er wirklich gehörte, dabei erschüttert worden.

Er sah in sich selbst wohl einen Hjjk in der Körper-Gestalt eines Fleischlings, dachte Nialli. Und dann mußte eine derartige Intimität mit einer Person der Fleischlingsrasse als widerwärtig und obszön erscheinen. Und doch, etwas in ihm war ihr liebevoll und eifrig entgegengeströmt. Etwas in ihm hatte danach verlangt, daß sich ihrer beider Seelen ineinander stürzten und eins würden. Dessen war sie ganz sicher. Doch vor dem Akt selbst war er bei allem Verlangen zurückgeschreckt, und er hatte sich in schmerzhafter Verwirrung zurückgezogen.

An diesem Tag blieb sie nur kurz bei ihm und mühte sich, die Sprachbarriere zu durchbrechen. Sie ging mit ihm ihren knappen Wortschatz der Hjjk-Sprache durch, nannte ihm die Entsprechungen in der Sprache des VOLKS und nahm Gesten und Zeichnungen dabei zuhilfe. Und Kundalimon schien wirklich Fortschritte zu machen. Sie fühlte, daß ihn die Unfähigkeit, sich ihr verständlich zu machen, zutiefst frustrierte. Es gab da Dinge, die er zu sagen wünschte, Ergänzungen der Botschaft, die Hresh ihm mit Hilfe des Barak Dayir entlockt hatte. Aber er vermochte ihnen nicht Ausdruck zu verleihen.