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„Aber nein, Thu-Kimnibol. Ich wollte doch nicht.“

Er schüttelte den Kopf. Aus seiner gewaltigen Höhe senkte er die Hände auf sie herab und ließ sie flüchtig, aber zärtlich auf ihren Schultern ruhen. „Aber ich verstehe dich doch, Nialli! Das alles ist geschehen, lang ehe du geboren warst. Warum solltest du auch nur einen Gedanken daran verschwenden? Aber laß Friede sein zwischen uns beiden, ja? Wir sollten nicht miteinander so herumzanken. Geh du zu deinem Freund und bringe ihm seinen Wein und sein Fleisch. Und bete für mich, willst du? Bete zu welchem Gott immer du magst. Ich ziehe morgen los in die Nordlande. Und es wäre mir lieb, wenn deine Gebete mich begleiten würden.“

„Das werden sie“, sagte Nialli. „Und meine Liebe auch, Oheim. Möge deine Fahrt sicher sein.“

Wenn sie nicht dermaßen beladen gewesen wäre, sie hätte ihn umarmt und geküßt. Der Wunsch überraschte sie. Sie hatte ihm gegenüber eigentlich nie eine derartige warme Zärtlichkeit verspürt. Bis zu diesem Augenblick war er eben nur der gewaltige massive Berg von einem Onkel für sie gewesen. Fast halb so groß wie ein Zinnobär. und kaum hirnmäßig heller (so war es ihr jedenfalls immer vorgekommen). Auf einmal erblickte sie ihn in einem anderen Licht; er war ja viel komplexer, als sie sich das vorgestellt hatte, und sehr viel verwundbarer. Und plötzlich hatte sie Angst um ihn und wünschte, es möge alles gutgehen mit ihm.

Das ist bestimmt das Götterlicht, das noch von ihm ausging, was das bei mir auslöst, dachte sie. Ob ich nicht vielleicht ebenfalls zu einer Kommunion zu Boldirinthe gehen sollte? Vielleicht stellt sich dann ja heraus, daß die Götter sogar mit mir sprechen.

„Eine sichere Fahrt, ja“, wiederholte sie. „Und ein glückbringendes Ergebnis. und baldige Heimkehr!“

Thu-Kimnibol bedankte sich und zog seines Weges. Und Nialli Apuilana stieg weiter den Hang zum Mueri-Haus hinan.

Der Wächter am Tor war Curabayn Bangkeas jüngster Bruder, Eluthayn, ein flachgesichtiger Fleischbrocken, den ein lächerlich protziger Helm schmückte. Als Nialli auf ihn zutrat, sagte er: „Er wartet schon die ganze Zeit auf dich, der Kerl von den Hjjks. Löchert mich den ganzen Morgen, warum du heut so spät kommst. Jedenfalls glaube ich, daß er das meint. Weil — sein Gezischgurgeln versteh ich natürlich nicht.“ Und Eluthayn Bangkea beugte sich ihr so dicht entgegen, daß sie in seinem Atem die Kharnigs riechen konnte, die er zum Frühstück gegessen hatte. Und zu Niallis Verblüffung gloste er sie in verletzend eindeutiger Zudringlichkeit an. „Kann nicht behaupten, daß ich es ihm verüble. Ich hätte auch nichts dagegen, mal so ’nen ganzen Nachmittag mit dir da drin eingeschlossen zu sein.“

„Und worüber würden wir dann reden können, du und ich, wenn wir gezwungen wären, einen ganzen Nachmittag lang zusammen zu verbringen?“

„Ach, Nialli Apuilana, es geht ja nicht um das, was wir reden würden.“

Und wieder schaute er sie lüstern an, noch eindeutiger als vorher, ließ die Augen rollen, peitschte mit dem Sensororgan durch die Luft und stieß sein Gesicht beinahe gegen das ihre.

Er war natürlich ein viel zu großer Narr, als daß man ihn hätte ernstnehmen dürfen. Derartige unerbetene Aufmerksamkeiten konnten schlechterdings nur scherzhaft gemeint sein. Aber wenn sie ein Witz waren, dann bestimmt ein recht grober. Wie durfte der Kerl es wagen? Als nächstes würde er sie begrapschen!

Urplötzlich explodierte der Zorn in ihr, und sie spuckte ihm heftig ins Gesicht. Der Speichel blieb im Fell zwischen seinen weit auseinander liegenden Augen hängen.

Er gaffte sie ungläubig an. Dann wischte er sich langsam über das Gesicht. Seine Stirn runzelte sich in Entrüstung und kaum gebändigter Wut.

„Warum hast du das gemacht? Das hättest du nicht tun müssen!“

Sie reckte sich hoch. „Deine Art ödet mich an.“

„Meine Art? Was meinst du damit, meine ‚Art‘. Ich bin ich, der einzige Ich, den es gibt. Und ich hab es nicht bös gemeint. Du hast keinen Grund, sowas zu machen.“ Er senkte die Stimme: „Hör mal, war es denn wirklich dermaßen schlimm, wenn wir uns für ein Stündchen verdrücken und kopulieren würden, Edle Nialli? Ein Mann von der Garde ist durchaus imstande, auch einer Häuptlingstochter Vergnügen zu bereiten, mußt du wissen. Oder meinst du, Kopulieren macht keinen Spaß? Ist es vielleicht das? Zu stolz dazu, wie? Oder zu ängstlich? Was ist los mit dir?“

„Bitte!“ sagte sie in ungläubigem Staunen. Ihr kam es vor wie ein Traum. Wie erniedrigend das alles war! Sie war zornig und benommen und gleichzeitig den Tränen nahe. Aber es war entscheidend, angesichts derartiger Sachen Festigkeit zu bewahren. Sie funkelte ihn an. „Das reicht! Was bist du doch für ein vulgärer witzloser Wicht!“

„Du wirst mich dafür strafen lassen, ich weiß. Das wirst du doch? Aber ich werde ihnen sagen, daß du mir ins Gesicht gespuckt hast. Dabei hab ich dich mit keinem Finger angerührt. Ich hab bloß mit den Augenbrauen gewackelt.“

„Geh mir aus dem Weg und laß mich rauf!“ befahl Nialli heftig. „Und geb’s der Himmel, daß mir dein Anblick in Zukunft erspart bleibt!“

Er starrte sie in dumpfer Verwirrtheit an, dann stieß er die Schranke für sie auf. Mit abgewandtem Blick schoß sie an ihm vorbei ins Haus. Sobald sie in Sicherheit war, blieb sie schaudernd stehen. Sie war durcheinander, kam sich verletzt und besudelt vor, als wäre sie es, die angespuckt worden war. Ihr ganzer Leib war vor Zorn und Schock wie verkrampft. Sie atmete ein paarmal tief durch und spürte, wie ihr Puls nach und nach zu rasen aufhörte. Ruhiger stieg sie dann die Treppen zu dem Zimmer Kundalimons im dritten Stock hinauf und klopfte an.

Sofort ging die Tür auf, und Kundalimon spähte heraus. Er lächelte schüchtern. Die grünen, oft so eisigen, abweisenden Augen wirkten heute lebhaft und freundlich; Nialli fühlte von ihm eine so weiche Woge unschuldiger Zärtlichkeit auf sich zukommen, daß in einem kleinen Augenblick der Makel, die Beschmutzung durch die betrübliche Begegnung mit dem Posten drunten wie weggewischt erschien.

„Also kommst du doch endlich zu mir!“ rief Kundalimon mit vor Freude schwankender Stimme. „Das gut, sehr gut. Endlich du kommst. Ich misse dich, Nialli Apuilana, ich misse dich sehr. Ich warte hier ganze Zeit stundenlang.“

Seine Hand glitt an ihr Handgelenk, und er zog sie sacht ins Zimmer und schloß die Tür. Er nahm ihr das Tablett und die Weinkaraffe aus den Händen, kniete nieder und stellte sie auf den Boden. Danach stand er stumm eine Weile vor ihr und blickte sie schweigend an. Danach faßte er sie wieder am Handgelenk.

Irgendwas ist verändert an ihm heute, dachte sie. Da ist etwas seltsam Neues an ihm.

Zögernd sprach er dann: „Ich viel denke. Wie Gefühl ist, weißt du? Ich bin so sehr _ viel einsam. Nest — so weit fort. Nest-Denker, Königin. So fern-weit. Überall Fleischleute um mich.“

Mitgefühl mit seiner Einsamkeit schwoll überwältigend in ihr auf. Impulsiv sagte sie zu ihm: „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Kundalimon. Bald wirst du zurückkehren.“

„Wirst zurückkehren? Ich?“

Er wirkte wie vom Blitz getroffen. Aber auch sie selbst war über ihre Worte erstaunt. Gab es denn schon eine Absicht, ihn freizulassen? Sie wußte es nicht. Thu-Kimnibol hatte zwar davon gesprochen, man solle ihn mit einem Schreiben bezüglich der Zurückweisung des Vertragsangebots ins NEST zurücksenden, gewiß, doch Taniane hatte durch nichts erkennen lassen, daß sie darauf eingehen werde. Viel wahrscheinlicher erwartete sie wohl, daß Kundalimon nach Beendung seiner Gefangenschaft bei den Hjjks sich nun anschicken werde, ganz einfach wieder ein normales Leben in der Stadt seiner Geburt zu führen, ganz so, als wäre er nur ein paar Wochen oder Monde fortgewesen.