Dennoch, er wirkte heute so bedürftig. Und darum waren ihr die tröstlichen Worte einfach so über die Lippen gerutscht. Na, dann mach ich es aber lieber gleich richtig und bis zu Ende, dachte Nialli, und sag ihm das, was er hören will.
„Aber sicher wirst du zurückgehen. Du wirst von unserm Häuptling eine Botschaft an die Königin überbringen. Ich bin sicher, es dauert nicht mehr lange, bis sie dich entsenden.“
Kundalimons Hand spannte sich ganz fest um ihr Gelenk.
„Du dann gehst mit mir?“
Damit hatte sie allerdings nicht gerechnet.
„Ich?“
„Wir gehen zusamm! Hier kein guter Ort für dich. Du hast in dir NestWahrheit! Weiß ich das. Hast du gefühlt Königin-Liebe!“ Er bebte am ganzen Leib. In seinem Rücken schwang sein Sensor-Organ in weiten Kurven langsam von Seite zu Seite, und seine Zunge zuckte immer wieder über die Lippen, um sie zu befeuchten. „Du und ich — wir-du-ich-beide, Nialli Apuilana —, wir sind aus dem NEST! Oh, komm, komm, komm ganz nah zu mir, nah.“
Mueri, steh mir bei! dachte sie verzweifelt. Will er etwa mit mir tvinnern?
Vielleicht. Im Verlauf der letzten Wochen hatte sein Sprachverständnis beträchtlich zugenommen, und sie waren in eine neue Bezugsphase eingetreten, und die schien heute sich einem Kulminationspunkt zu nähern. Zweifellos, Kundalimon war heute weit stärker zugänglich, ihr gegenüber offen, als es je zuvor der Fall gewesen war. Bestimmt war er gerade heute von einem starken inneren Drang erfüllt, einem ganz neuen zwanghaften Bedürfnis. Alles an ihm — wie er so dastand, der Ausdruck in seinen Augen, die Bewegungen des Sensors, ja sogar der scharf-bittere Duft, der von ihm ausging, unterstrich dies.
Aber — ein Tvinnr?
Sie wußte wirklich nicht. Damals, zu Beginn ihrer Freundschaft, hatte er mit derart heftiger Angst, ja Entsetzen reagiert, als sie mit ihrem Sensor seinen berührte und ihn in das Anfangsstadium der Kommunion zu führen versucht hatte. Ganz so, als wäre für ihn schon die Vorstellung der Einheit, die sie ihm anbot, ganz unerträglich; als wäre schon der Gedanke an eine Verschmelzung mit jemandem, der nicht aus dem NEST war, dermaßen abstoßend,, daß Akzeptanz ganz hoffnungslos war.
Andererseits kannten sie einander inzwischen aber viel besser. Anscheinend war es Kundalimon bewußt geworden, daß auch sie wirklich aus dem Nest stammte; nicht ganz in so hohem Maße wie er, aber dennoch nest-geprägt, eine Nest-Seele im Leib der Fleischlichen, ebenso wie er. Und vielleicht sah er darum in ihr nicht mehr das Andersartig-Abartige, eine feindliche Ausgeburt. Und wenn das so war.
Flehentlich starrte er sie an. Sie lächelte und hob ihr Sensor-Organ und berührte damit ganz, ganz flüchtig das seine.
„Nein“, sagte er sofort und peitschte seinen Sensor hastig aus ihrer Reichweite. „Nicht — tvinnern. Nicht — bitte nein!“
„Nein?“
„Angst macht. Immer noch. Zuviel, das Tvinnr.“ Er bewegte den Kopf her und hin. Ein heftiger Schauder durchlief seinen Körper. Er schien tief nachzudenken. Aber dann erhellte sich sein Gesicht wieder. „Du-und-ich — oh, komm näher! Du willst komm näher?“
„Was möchtest du denn?“ fragte sie verwirrt.
Er gab einen unbestimmten Laut von sich, ein Hjjk-Geräusch, es war noch nicht einmal ein Wort: nur wie eine in verrosteten Angeln kreischende Tür, die jemand aufstößt. Ein Sturzbach von Empfindungen, die ihr alle unergründlich blieben, schoß blitzschnell über sein Gesicht. Nialli glaubte, daß sie da blankes Entsetzen wahrnehmen könne, Verlegenheit, etwas wie beinahe Nest-Liebe — und ein irgendwie verzweifeltes Verlangen. aber auch etwas viel Bekannteres, etwas, das sie erst vor kurzem in den roten von stumpfer Lust erfüllten Bengaugen Eluthayn Bangkeas erblickt hatte.
Seine Hände irrten zu ihren Schultern, über die Unterarme zur Brust. Er streichelte sie wild und hastig. Seine Begattungsrute ragte steif hervor.
Oh, Mueri, Dawinno und Yissou! dachte sie benommen und leicht bestürzt. Er will kopulieren!
Es war unbezweifelbar. Sein Atem brannte ihr heiß auf den Wangen. Er brabbelte ungereimtes Zeug auf sie ein, in einem verschwommenen Gemisch von Hjjkklickgeräuschen und völkischen Grunzern. Er wirkte wie betrunken, wie ertrinkend in einem heißen Hexengebräu sexuellen Verlangens.
Es war beinahe drollig. Aber es war auch beängstigend. Nialli hatte noch nie kopuliert. Sie scheute davor ebensosehr zurück wie anscheinend Kundalimon vor dem Tvinnr. Immer hatte es für Nialli so etwas wie das Niederreißen einer geheimnisvollen Barriere bedeutet, die sie nicht preiszugeben wagte.
Sie wußte, die anderen taten ‚es‘ auf ein Fingerschnippen hin, und manche fingen damit bereits mit knappen neun oder zehn Jahren an. Sie klatschten ganz unbekümmert ihre Leiber aneinander und vollzogen hastig und verschwitzt eine Vereinigung und fanden weiter gar nichts dabei. Doch Nialli hatte sich in jüngeren Jahren stets peinlich von alledem ferngehalten; aber jetzt, wo sie schon weit in ihre weibliche Reife getreten war, hatte sie manchmal das Gefühl, daß sie sich zu lange zurückgehalten habe, daß sie gerade durch die bloße Vermeidung den Kopulationsvorgang zu einem Akt von solch hoher Bedeutung erhoben hätte, daß es schon der höchst-bedeutsamen vorstellbaren Gründe bedürfen würde, wenn sie sich jemals darauf einlassen sollte. Aber ein solcher Grund war ihr bislang nie begegnet. Auf gar keinen Fall war er für sie in dem überheblichen Machogeäugle eines Eluthayn Bangkea oder dem subtileren Hungerblick eines Husathirn Mueri gegeben.
Aber jetzt. jetzt hier.
Kundalimon bedrängte sie am ganzen Körper, er betatschte sie und schnaubte, und es war genauso, wie sie sich die Männer dabei immer vorgestellt hatte. Er besaß kaum noch Kontrolle über sich. Dennoch verspürte sie keinen Widerwillen gegen ihn, sondern nur Mitgefühl. So isoliert und abgeschottet wie er, allein Tag um Tag in dieser kleinen Zelle mit nur einer Fensterluke — da mußte ihn ja schließlich die Einsamkeit überwältigen, das Trennungsgefühl vom NEST, bis in seinem Geist die Bedrückung so hoch anschwoll, daß sie eben jetzt die Flutmarken überspülte. Nialli hatte keine Ahnung, wie sie ihn zurückhalten konnte.
„Warte“, sagte sie. „Bitte!“
„Ich. will.“
„Aber, Kundalimon, bitte. bitte.“ Er ließ von ihr ab, fast sofort, als habe er wirklich verstanden, was sie ihm mitzuteilen versuchte. Vielleicht spürte er auch nur die angstvolle Aufgeregtheit ihres unbereiten Körpers. Immer noch aber schien er sprungbereit und begierig weiterzumachen. Einer plötzlichen wilden Eingebung folgend, sagte sie: „Ich darf nicht. Die Kopulation ist mir verboten.“ Und auf hjjkisch erklärte sie: „Ich brauche erst noch die Berührung der Königin.“
Es bestand eine ganz kleine Chance, daß er sich diesem Argument beugen werde. Im NEST gab es keine Paarung, ehe einen nicht die Königin zur Reife und Fruchtbarkeit gebracht hatte — in einem Ritual, dessen Wesen Nialli nicht bekannt war, das jedoch für jeden Hjjk den Übergang ins Erwachsenenleben bestimmte.
Aber Kundalimon, den nun unbezweifelbar seine nicht länger verleugnete Fleischlichkeit gepackt hatte, würde vielleicht nicht begreifen, warum ein Weib des Fleischlingsvolks sich weigern sollte, sich freudig dem starken Verlangen hinzugeben, das ihn jetzt durchtobte. Mußte sie nicht ein ebenso heftiges Sehnen fühlen wie er, da sie ja auch aus dem Fleische war? Ja, schön und gut. Aber er war außerstande, ihre Besorgnisse zu begreifen. Das konnte sie ja nicht einmal selber. Doch vielleicht würde er ja auf das andere Argument, die Jungfräulichkeit, reagieren, das im Nest einzigartig war.