Ihre Augen blitzten vor Zorn, die Nasenflügel blähten sich, ihre Brust wogte. Curabayn Bangkea geriet bei ihrem Anblick ebenfalls in Erregung. Sie trug weiter nichts als eine Schärpe und ein paar Schmuckbänder über den Schultern. Keineswegs eine ungewöhnliche Kostümierung in dieser warmen Jahreszeit, dennoch aber spärlicher, als es heutzutage bei unvermählten Frauen üblich war. Eine solche FastNacktheit mochte in der Epoche des Kokons tolerabel gewesen sein, dachte Curabayn Bangkea, aber wir sind jetzt denn doch ein wenig zivilisierter geworden. Warum mußte dieses Mädchen nur dermaßen provozieren!
Ausweichend sagte er: „Das Procedere schreibt vor, daß alle Fremden für eine gewisse Zeit ins Mueri-Haus zur Beobachtung verbracht werden, bis wir Gewißheit haben, ob sie Spione sind oder nicht.“
„Er ist kein Spion. Er ist ein Abgesandter der Königin.“
„Nun, es gibt Leute, die argumentieren würden — und dein Gevatter, Prinz Thu-Kimnibol beispielsweise gehört zu ihnen —, daß das mehr oder weniger auf eins hinausläuft.“
„Dem mag sein, wie immer ihr wollt“, entgegnete Nialli. „Er hat sich mir gegenüber beschwert, daß er quasi in Haft gehalten werde. Er empfindet das als unfreundlichen und rechtswidrigen Akt. Und ich schließe mich dieser Meinung an. Ich möchte dich daran erinnern, daß mir die Verantwortung für sein Wohlergehen übertragen ist. Der Chronist höchstpersönlich hat ihn in meine spezielle Obhut gegeben, wenn ich dich daran erinnern darf.“
Curabayn riß daraufhin momentan seine Augen einen Spaltweit auf. „Wenn es nach mir ginge, Edle, ich würde ihn sofort aus jeglicher Beschränkung befreien. Aber er untersteht der Jurisdiktion von Husathirn Mueri. Er saß auf dem Richterthron, an dem der Fremdling in Gewahrsam gebracht wurde. Du solltest dein Ersuchen an ihn richten, nicht an mich.“
„Ich verstehe. Ich dachte, das fällt unter die Befugnisse des Hauptmanns der Wachen.“
„In dieser Sache habe ich keinerlei Autorität. Doch wenn du es wünschst, werde ich bei Husathirn Mueri zu deinen Gunsten vorstellig werden.“
„Du meinst, zu Kundalimons Gunsten!“
„Ja, richtig. Ich werde versuchen, daß der Befehl abgeändert wird. Wenn es mir gelingt, wird man dich heute im späteren Tagesverlauf benachrichtigen, hoffe ich. Du wohnst noch im Nakhaba-Haus, ja?“
„Ja. Ich danke dir. Ich weiß deine Hilfe zu schätzen, Curabayn Bangkea.“
Aber sie klang nicht übertrieben dankbar. Ihr Blick war steinkalt, kein Anflug von Wärme darin, und auch der Zorn schwelte dort noch immer. Irgendwas war ganz eindeutig schiefgelaufen, und sein Hilfsangebot hatte daran nichts ändern können.
„Gibt es sonst noch was, was ich für dich tun kann, Edle?“
Nialli schwieg eine Weile. Sie gestattete sich ein kurzes Senken ihrer Augenlider, ehe sie sprach: „Doch. Da ist etwas sehr Törichtes, und ich zögere eigentlich fast, dir davon zu sprechen; es war so — beleidigend. Es gibt da einen Bruder von dir, der Wachdienst am Mueri-Haus hält — Elythayn, ja, so heißt er, glaub ich. Er ist doch dein Bruder?“
„Eluthayn, ja. Mein jüngster Bruder.“
„Also gut. Vor einigen Tagen, ich kam zu meinem regelmäßigen Besuch ans Haus, hat dieser dein Bruder versucht, mich zu belästigen. Es kam zu einem häßlichen Auftritt.“
Curabayn fragte verständnislos: „Dich zu belästigen, Edle?“
Wieder blähten sich ihre Nasenflügel. „Du verstehst schon, was ich meine! Er machte mir grob-unzüchtige Angebote, dieser dein Bruder. Völlig überraschend und ohne daß ich ihn im geringsten herausgefordert hätte, trat er mir zu nahe, blies mir seinen stinkenden Atem ins Gesicht und. und er.“
Sie brach ab. Curabayn Bangkea war alarmiert. War sein Bruder wirklich dermaßen idiotisch gewesen, sich sowas zu erlauben? Na, also sie hat ihn bestimmt ganz schön provoziert, dachte er, und starrte Niallis entblößte Brüste an, die langen seidigen Schenkel unter dem glatten rotbraunen Pelz. Doch wenn Eluthayn es wirklich gewagt hatte, unaufgefordert Hand an die Häuptlingstochter zu legen.
„Er hat dich berührt, Edle?Annäherungsversuche?“
„Annäherungsversuche, ja. Sekunden später hätte er mich auch noch angefaßt.“
„Yissou!“ rief Curabayn und breitete die Arme aus. „Wie abgrundblöde von dem Jungen! Was für eine Unverschämtheit!“ Der Hauptmann der Wache stürzte dermaßen hastig und ungeschickt auf Nialli zu, daß er fast mit dem Helm gegen den von der Decke hängenden Beleuchtungskörper geprallt wäre. „Ich werde mir den Burschen vornehmen, sei dessen versichert, Edle. Ich werde die Sache genau untersuchen, und er wird eine Disziplinarstrafe erhalten. Und ich werde ihn auch zu dir schicken, damit er sich gebührlich entschuldigt. Annäherungen, sagst du? Annäherungen?“
Ein fast unmerkliches Zucken glitt über ihre Schultern, ein Schaudern des Widerwillens, und ihre Brüste erbebten. Sie wandte den Blick ab. Mit weicherer Stimme als bisher, wie wenn Bekümmerung und Scham die Oberhand über ihren Zorn gewönnen, sagte sie: „Strafe ihn, wie du magst. Ich will keine Entschuldigungen von ihm hören. Ich will ihn nur nie, niemals wieder zu Gesicht kriegen.“
„Aber, ich versichere dir, Edle.“
„Genug! Ich möchte über die Sache wirklich nicht weiter sprechen, Curabayn Bangkea!“
„Zu Befehl, Edle! Ich werde mich um alles kümmern. Ich möchte um alles nicht, daß du dermaßen beleidigt wirst — sei es durch meinen eigenen Bruder oder irgendwen sonst!“
Wurde sie ein wenig nachgiebiger? Zum erstenmal seit ihrem Eintreten lächelte sie dünn, aber immerhin — sie lächelte. Möglich, daß ihr Zorn nun verschwand, nachdem sie gesagt hatte, was zu sagen sie hergekommen war. Curabayn glaubte sogar so etwas wie Dankbarkeit in ihren Augen zu lesen — vielleicht noch etwas mehr. Vielleicht war ja etwas über die Kluft gesprungen, die ihn von ihr schied. Einen ähnlichen Blick hatte er oft in den Augen anderer Frauen erkannt, denen er seinen Beistand und anderes angedient hatte. Er war jetzt ganz sicher, diesen Blick auch hier wieder gesehen zu haben. Er war ein von Grund auf selbstsicherer Mann. Und nun überströmte ihn eine Woge von Selbstgefälligkeit und Selbstsicherheit, ja beinahe von Kühnheit. Wo Brüderchen Eluthayn, der junge, ungehobelte Flaps, gescheitert war, bestanden für ihn doch durchaus Erfolgschancen. Es würde die Erfüllung seiner wildesten Wunschträume sein. Und so griff er ohne Zögern nach Nialli Apuilanas Händen und begann sie zärtlich zu betätscheln.
„Darf ich es wagen, Edle, die unglückselige Tölpelhaftigkeit meines Bruders wieder gutzumachen? Wenn du vielleicht die Güte haben möchtest, mir die Ehre antun, mein Abendessen — mit Wein, selbstverständlich! — mit mir zu teilen. Heute abend oder am morgigen Abend. Ich wollte mich wohl bemühen, dir zu beweisen, daß nicht alle Männer aus dem Hause Bangkea so plump und hirnlos sind.“
„Was?“ Nialli schrie fast und riß ihm die Hände fort, als wären seine von Schleim bedeckt. „Fängst du jetzt auch noch an, Curabayn? Seid ihr denn alle verrückt geworden? Du beschuldigst deinen Bruder der Indezenz, und dann befummelst du selber mich mit deinen Händen? Lädst mich zum Abendessen... ein. Erbietest dich, mir zu beweisen — daß. O nein, nein, nein, Wachhauptmann. Nein!“ Sie begann zu lachen.
Curabayn starrte sie entsetzt an.
„Muß ich in einem Panzermantel herumlaufen? Muß ich voraussetzen, daß jeder Soldat der Stadtwache zu sabbern anfängt und mich angeilt, sobald ich in seine Reichweite komme?“ Ihre Augen waren jetzt wieder kalt wie Flintstein. Und sie sah ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich. Vor ihrer kalten Wut schreckte Curabayn zurück, als stünde er dem Häuptling selbst gegenüber. Ihre Stimme war eisig, als sie sagte: „Sprich mit Husathirn Mueri, wenn du gütig sein willst, über die Angelegenheit mit dem Hausarrest. Und was deinen Bruder angeht, so möchte ich, daß er auf einen anderen Posten versetzt wird, weit weg vom Mueri-Haus. Guten Tag, Curabayn Bangkea!“