Salaman grinste entwaffnend, wie um die eigenen Worte zu entkräften. Doch es war nicht zu überhören, daß er die Wahrheit sprach. Er war giftig und zänkisch geworden, reizbar und scharfzüngig.
Die Zeit hatte Salaman verändert, genau wie seine Stadt. Thu-Kimnibol erinnerte sich an den Salaman der frühen Tage. Damals war sein Verstand geschmeidig und einfallsreich gewesen, der Mann selbst ein kluger und schlauer Planer, intelligent, vorausschauend, eine geborene Führernatur, und im Grunde ein sehr angenehmer Kerl. Dann jedoch war diese Veränderung in ihm eingetreten, der neue Salaman begann sich zu zeigen: düsterer, verdrießlich und verworren im Herzen, ein schwieriger und argwöhnischer Mann. Und nun, zwanzig Jahre später, war dieser Entwicklungsprozeß weit fortgeschritten. Der König wirkte frostig und grämlich, wie gepackt von zehrendem Unwohlsein, oder vielleicht aus seinem Innern heraus befleckt von der absoluten Macht, die er hier an sich gerissen hatte. Man sah das in seinem Gesicht, das maskenhaft war, mit eingefallenen Wangen und hohlen Schläfen, und an seiner angespannten wachsamen Haltung. Sein Fell war völlig altersweiß geworden. Um ihn hing ein bitterkalter winterlicher Hauch.
Auch seine Schöpfung, die Stadt, war so. Es gab hier keine breiten sonnigen Prachtstraßen, keine farbenfroh gekachelten Türme vor einem blauen Himmel, keine üppig begrünten Parks und Gärten, wie Thu-Kimnibol sie Tag um Tag in Dawinno sah. Die Stadt Yissou — eingepfercht in ihren Kraterwulst und den titanischen Wall aus schweren schwarzen Steinquadern — war ein bedrückend enges trostloses Gewirr von schmalen Gäßchen mit niederen dickwandigen Steinbauten mit bloßen Schlitzen als Fenster. Das Ganze sah eher wie eine Festung aus als wie eine Stadt.
Thu-Kimnibol fragte sich: War es dies, was meinem Vater vorschwebte, als wir aus Vengiboneeza auszogen, um uns eine eigene Stadt zu erbauen? Dieses düstere, geduckte, ungemütliche — Kaff?
Im Siegestaumel nach der gewonnenen Schlacht gegen die Hjjks, nach jenem betrüblichen Tag, an dem König Harruel im Kampfe gegen die Insektenhorden gefallen war, hatte Salaman im Freudenüberschwang seines frischen Königtums gesagt: „Wir werden diese Stadt Harruel nennen, um ihn zu ehren, der vor mir König war.“ Später jedoch — auf Verlangen des Volkes, behauptete Salaman, das angeblich lieber dem Gott Yissou Ehre erweisen wollte, der es beschützt hatte, als dem Mann, der es hierhergeführt hatte — hatte er den ursprünglichen Namen wiedereingeführt. Na ja, dachte Thu-Kimnibol jetzt, es ist ja fast eher ein Segen. Ihm wäre es im Grunde gar nicht besonders angenehm gewesen, wenn der Name seines Vaters auf ewig mit diesem düsteren freudlosen Nest verknüpft geblieben wäre, dieser Yissou-‚Stadt‘ Salamans.
Dennoch hatte Salaman es über sich gebracht, ihn freimütig, ja sogar fröhlich zu begrüßen. Es war ihm kaum anzumerken, daß da auch nur der Hauch einer Erinnerung an die bösen Worte in ihm wach war, die einst zwischen ihnen gefallen waren. Vielmehr war er von seinem Pavillon auf der Mauerkrone herabgestiegen, als Thu-Kimnibols Wagenkarawane durch das große Stadttor zog, hatte ihn ruhig und mit überkreuzten Armen erwartet, und dann war in dem strengen starren Gesicht unerwartet ein Lächeln aufgebrochen, und er war mit ausgestreckten Armen auf ihn zugegangen und hatte nach seinen Händen gefaßt.
„Cousin! Nach sooo langen Jahren! Wie verstehen wir denn dies? Kehrst du zu uns zurück und willst endlich dein altes Leben hier wieder aufnehmen — das einen solch abrupten Abbruch erfuhr?“
„Nein, König. Ich bin ausschließlich in der Funktion eines Gesandten gekommen“, erwiderte Thu-Kimnibol ruhig. „Ich überbringe dir Botschaft von Taniane und möchte einige Dinge mit dir besprechen. Aber meine Heimat ist jetzt in Dawinno.“ Selbstverständlich aber erwiderte er Salamans königliche Embrassade seinerseits, bückte sich und schloß ihn in die Arme. Das erwies sich als leidlich kompliziert, aber nur deshalb, weil Salaman eben so viel kleiner war.
Zu seiner Verblüffung blieb sein Herz nicht kalt, als er den Akt vollzog und Salaman an die Brust drückte, und die Geste war auch vollkommen aufrichtig. Also entsprach es wirklich der Wahrheit? Daß jeglicher Groll, den er gegen Salaman gehegt hatte (oder hegen zu müssen geglaubt hatte), im Laufe der Zeit zu einem Nichts verdunstet war. Die schnöden Demütigungen, die Salaman ihm zugefügt hatte, als er ein Jungmann war, zählten nicht mehr.
„Wir haben für dich unser nobelstes Gästehaus vorbereitet“, sagte Salaman. „Und sobald du dich dort eingerichtet hast — ein Festempfang, ja? Und da reden wir dann. Nein, nicht über Staatsgeschäfte, nicht so rasch. Wir plaudern einfach, du und ich, eben wie zwei gute Freunde aus alter Zeit. Na, was hältst du davon, Thu-Kimnibol?“
Das war angemessen. Ja, es ist sogar recht freundlich, dachte Thu-Kimnibol. Und er ließ sich zu seinen Gemächern führen. Esperasagiot machte sich auf die Suche nach Stallungen für die Xlendis, Dumanka kümmerte sich um die Unterbringung der Entourage des Gesandten, und Simthala Honginda begab sich zu einer Konferenz mit den Stadtbehörden, um das schon ortsübliche Protokoll bei diplomatischen Anlässen abzusprechen.
Doch erst viel später und in der düsteren riesigen steinernen Festhalle des Palastes, nach dem Festmahl und viel zuviel Wein, und nachdem Thu-Kimnibol die mitgebrachten Geschenke von Taniane an Salaman überreicht hatte — die edlen Weißgewebe und grünglasierten Porzellane —, und die prachtvoll gebundenen Chroniken, die Hresh sandte, und auch einige persönliche Gaben für den König (einige Fäßchen Wein aus seinen eigenen Weinbergen, Felle seltener Tiere von weit her aus den Südlanden, eingelegte Früchte und vieles mehr) — erst da begann die Spannung zwischen den beiden Männern langsam an die Oberfläche zu dringen.
Vielleicht lag es am Sprachproblem. Das hatte ihn vom ersten Moment an irritiert, und vielleicht hatte es schließlich zu dem Ausbruch geführt. Denn Salaman, der reinstes Koshmarisch sprach, schien wahrhaftig verärgert über die Worte und Klangfärbungen aus dem Bengischen, wie Thu-Kimnibol sie gewohnheitsmäßig gebrauchte. Thu-Kimnibol war nicht bewußt, wie stark die Sprache des VOLKS in Dawinno sich seit der Vereinigung mit den Beng gewandelt und wieviel Beng-Ausdrücke Eingang in sie gefunden hatten. Aber Salaman hatte die Bengs noch nie gemocht, und zwar seit die goldfelligen Helmträger seine Einladung abgelehnt hatten, sich in Yissou niederzulassen, nach der Vertreibung durch die Hjjks aus Vengiboneeza, und es statt dessen vorgezogen hatten, bei Hresh in seinem neugegründeten Dawinno zu leben. Anscheinend hatte der König seinen Groll nie überwunden, wenn ein paar Beng-Ausdrücke in Thu-Kimnibols Reden ihn dermaßen erzürnen konnten.
Dennoch kam es für Thu-Kimnibol völlig überraschend nach dem langen nächtlichen Festgelage und vielerlei Lustbarkeit, als Salaman, während sie voll und bequem nebeneinander in den üppigen Pfühlen der Luxusdiwans ruhten, auf einmal unfein und direkt sagte: „Bei der Himmlischen Fünffaltigkeit, ich muß deine Kühnheit bewundern! Daß du so einfach mal frech wieder hier in Yissou antanzen würdest. nach allem, was du mir in der Nacht, in der du verduftet bist, ins Gesicht gesagt hast.“
Thu-Kimnibols Rückgrat wurde steif. „Ach, das kratzt dich immer noch? Nach diesen vielen Jahren?“
„Damals hast du gesagt, du schmeißt mich ganz oben von der Mauer runter. Na? Hast du das vergessen? Na, Thu-Kimnibol? Bei den Himmlischen Fünfern, ich hab es nicht vergessen! Und was hab ich aus deinen Reden gehört, he? Glaubst du wirklich, ich hätte das für einen leichten neckischen Spaß gehalten? O nein, nein, mein Bester. Nein! Die Mauer war damals zwar viel niedriger, aber ich hab das trotzdem als eine Morddrohung aufgefaßt. Und ich denke, ich hatte recht.“