„Wie heißt du, Mädchen?“
„Weiawala.“
„Den Namen hast du nach der Gefährtin des Königs?“
„Herr, der König ist mein Vater. Er nannte mich nach seiner ersten Liebe, doch in Wirklichkeit bin ich eine Tochter seiner dritten Gemahlin. Die Edle Sinithista ist meine Mutter.“
Ja, ja. Also die Tochter Salamans. Damit hatte er immerhin rechnen müssen. Aber es war verblüffend. Salaman, der ihm einst die Hand einer Tochter als feste Partnerin verweigerte, legte ihm jetzt eine Tochter als Spielzeug für eine Nacht ins Bett. Und das Kind war außerdem noch merkwürdig gelassen bei dem Ganzen. Oder hatte Salaman dabei tiefere Hintergedanken? Höchstwahrscheinlich war mit dem letzten Karawanenzug der Kaufleute aus Dawinno die Nachricht zu ihm gedrungen, daß Naarinta im Sterben liege. Aber falls er nun tatsächlich darauf abzielen sollte, die Beziehungen zwischen Yissou und Dawinno vermittels einer dynastischen ehelichen Verbindung zu verfestigen, dann war das doch eine recht merkwürdige Verfahrensweise. Aber schließlich — Salaman war seltsam geworden. Und er besaß zweifellos zahlreiche Töchter. Vielleicht waren es ihm mittlerweile zu viele geworden.
Ach was. Es war spät in der Nacht. Und das Mädchen war da und bereit.
„Komm näher zu mir, Weiawala“, flüsterte er. „Ja, ganz nah zu mir. So ist es schön. Ja.“
„Er predigt den Kindern“, sagte Curabayn Bangkea. „Meine Leute beschatten ihn überall, wohin er geht. Sie verfolgen alles, was er tut. Er zieht die Jugend an sich, er gibt ihnen Antwort auf alle ihre Fragen, er erzählt ihnen vom Leben im Nest. Er sagt, es ist falsch, daß wir die Hjjks als Feinde betrachten. Er setzt der Jugend Wahngespinste vor über die Königin und die unendliche Liebe, die sie für alle Lebewesen angeblich hat, nicht nur für die Geschöpfe ihrer eigenen Art.“
„Und die Kinder schlucken, was er ihnen da verzapft?“ fragte Husathirn Mueri. „Sie glauben ihm?“
„Er ist ziemlich überzeugend.“
Sie befanden sich im Empfangszimmer in Husathirn Mueris prachtvollem Haus im Koshmari-Bezirk und genossen den Ausblick über die Meeresbucht. „Das kann man sich eigentlich kaum vorstellen“, sagte Husathirn Mueri. „Ich meine, daß er es tatsächlich schafft und unsre Kinder von ihren Vorurteilen gegen die Hjjks wegkriegt. Ich meine, Kinder haben doch scheußliche Angst vor denen. Immer schon haben sie die gehabt. Große gräßliche Käfermonster mit haarigen Beinen, die heimlich durch die Gegend kriechen und versuchen, kleine Jungen und Mädchen wegzuschnappen — wer würde sowas nicht für abscheulich halten? Ich fand sie in meiner Kindheit jedenfalls widerlich. Du wahrscheinlich bestimmt ebenfalls. Ich hatte Angstträume, als ich klein war, wegen dieser Hjjks, mit kaltem Schweiß, und wachte schreiend auf. Manchmal hab ich sie heute noch.“
„Ich auch“, gestand Curabayn Bangkea.
„Was also ist dann das Geheimnis von dem Kerl?“
„Er ist sehr sanft und sehr freundlich. Sie spüren, daß er harmlos und unschuldig ist. Sie sind gern in seiner Nähe. Er lehrt sie — zu meditieren — nachzudenken! Und dann fangen mehr und mehr von ihnen an und singen mit, wenn er singt. Ich glaube, er fängt mit dieser Singerei irgendwie ihr Bewußtsein ein. Und das macht er dermaßen unmerklich und geschickt, daß sie gar nicht merken, wie er ihnen einen Haufen gräßlicher Monstrositäten verkauft. Wenn er von den Hjjks spricht, dann sehen diese Kinder gar keine echten Hjjks, glaub ich. Sie sehen nur Märchenfiguren, die sanft sind und lieb. Aber, deine Gnaden, man kann jedes Ungeheuer zu ’ner ziemlich süßen Puppe machen, wenn man die Geschichte nur auf die richtige Weise erzählt. Und wenn er die Kinder erst einmal soweit hat, daß sie keine Angst mehr vor den Hjjks haben und sie nicht mehr verabscheuen, dann sind die armen Kleinen alle verloren. Ach, er ist ungeheuer schlau, dieser Junge. Er greift direkt in ihre Seelen hinein und entwendet sie uns!“
„Aber der Kerl spricht doch kaum ein Wort unsrer Sprache!“
Curabayn Bangkea schüttelte den Kopf. „Stimmt nicht. Der ist nicht mehr der ungehobelte Wilde wie damals, als er hier aufgetaucht ist, nein, wirklich nicht. Unsere Nialli Apuilana hat sich enorm angestrengt, ihm was beizubringen. Und jetzt kann er’s alles wieder prima. Er muß früher mal, wie er noch ganz klein war, weißt du, ehe die ihn weggeholt haben, unsre Sprache ganz gut gekonnt haben, und jetzt hat er die ganzen Wörter auf einmal wiedergefunden und alles, einfach so. Also, wer damit geboren ist, der verlernt das ja nie wirklich. Also, der sitzt jetzt da — es gibt da ’nen Park, in den er gern geht, und die Kinder kommen dort zu ihm. Und da sitzt er und redet von der Königin-Liebe, der Nest-Bindung und Denker-Gedanken, Königin-Frieden — na, eben der ganze dreckige verrückte Hjjk-Quatsch. Und die Kerlchen schlucken das runter, ehrlich, deine Gnaden! Im Anfang waren sie ganz angewidert von der Vorstellung, daß anständige Leute im Nest Eben könnten — und daß es ihnen sogar noch Spaß machen kann, daß man einen Hjjk berühren kann, und der dich, und daß das irgendwie was mit Liebe zu tun hat. Aber inzwischen, inzwischen glauben die Kinder das. Du solltest sie da mal sitzen sehen. Und wie ihre Augen leuchten, wenn der seinen Sabber über sie ausgießt.“
„Dem muß Einhalt geboten werden.“
„Ja. Das meine ich auch.“
„Ich werde mit Hresh reden. Nein, besser mit Taniane. Wie ich Hresh kenne, findet der es ungeheuer interessant, daß Kundalimon so Sachen wie Königin-Liebe und Nest-Bindung an minderjährige Jungs und Mädchen verhökert. Der zollt dem Gedanken vielleicht gar noch Beifall. Wahrscheinlich möchte er selber gern mehr über derlei Zeug erfahren. Aber Taniane wird wissen, was zu tun ist. Sie wird sicherstellen wollen, was für eine Kreatur wir uns da mitten in unsre Mitte hereingelassen haben, und wieso ihre Tochter mit sowas so viel Zeit verschwendet, das ganz nebenbei.“
„Da gibt’s aber noch was, deine Gnaden“, sagte Curabayn Bangkea. „Vielleicht wäre es gut, wenn du das weißt, ehe du mit Taniane sprichst.“
„Ja? Und?“
Der Wachhauptmann zauderte ein wenig. Er sah auf einmal verklemmt aus. Schließlich sagte er hastig und mit unsauberer Stimme, die schwankte wie eine mißgestimmte Laute: „Nialli Apuilana und der angebliche Hjjk-Gesandte sind ein Liebespaar.“
Es traf Husathirn wie ein Blitzschlag. Benommen ließ er sich in den Sessel zurückfallen. Auf einmal spürte er einen Schmerz in der Magengrube, sein Mund wurde ganz trocken, und zwischen den Augen begann ein stechender Schmerz zu bohren.
„ Was? Sie kopulieren miteinander?“
„Ja. Wie geile brünstige Affen.“
„Und das ist dir als hundertprozentige Tatsache bekannt?“
„Also, weißt du, bis vor kurzem war mein Bruder Eluthayn zum Wachdienst am Mueri-Haus eingeteilt. Und da kam er eines Tages an Kundalimons Zimmer vorbei, während sie drin bei dem war. Und die Geräusche, die er dabei von drinnen hörte — das Bumsen und Keuchen und leidenschaftliche Stöhnen.“
„Wenn sie ihm aber Fußringen beigebracht hat?“
„Das glaube ich nicht, deine Gnaden.“
„Wie kannst du dessen sicher sein?“
„Deine Gnaden, weil ich selbst dort war, nachdem Eluthayn mir das berichtet hat, und an der Tür lauschte. Ich sage dir, ich kann den Lärm durchaus unterscheiden, der beim Kopulieren und beim Fußringen entsteht. Ich habe selbst einige Erfahrung im Kopulieren, deine Gnaden. Im Beinringkampf übrigens auch.“
„Aber sie will doch sonst mit keinem kopulieren! Das weiß doch die ganze Stadt!“
„Aber sie war im Nest“, sagte Curabayn Bangkea. „Vielleicht hat sie ja bloß auf einen gewartet, dessen Fell ebenfalls von oben bis unten nach Hjjks riecht.“
Ungezügelte Bilder sprangen ungerufen in Husathirn Mueris Vorstellung auf: Kundalimons Hand zwischen den weichen Schenkeln Niallis, seine Lippen auf ihrer Brust, ihre Augen flackernd vor erregter Bereitschaft, die Körper, die sich zusammenfügen, die umherpeitschenden Sensororgane, Nialli, die sich umdreht und ihm ihre geschwollene Geschlechtsregion darbietet.