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„Gestohlen von den Hjjks, willst du sagen?“

„Richtig. Dort wurde er von ihnen im Nest-der-Nester aufgezogen. Und nun haben sie ihn zu uns zurückgeschickt — als Gesandten mit einer Botschaft, dem Angebot der Liebe und des Friedens der Königin. Sagt Hresh.“

„Ach?“ sagte Salaman. „Zu uns ist auch so jemand vor einer Weile gekommen. Ein Mädchen. Sie hat uns den ganzen Tag lang auf hjjkisch angefaucht und angespuckt. Wir konnten nicht schlau draus werden.“

„Sie kannte ein paar Wörter aus unsrer Sprache, Vater“, sagte Chham.

„Ja ja, stimmt. Sie brabbelte uns was von der Größe und Macht der Hjjkkönigin vor und von ihrer hochgöttlichen Wahrheit. Oder ähnlichen Quatsch. Wir schenkten dem weiter keine Aufmerksamkeit. Wann war denn das, Chham?“

„Ich glaube, es war im Erstmond.“

„Im Erstmond, richtig. Und was geschah dann weiter? Ach ja, ich erinnere mich. Sie hat zu fliehen versucht, war es nicht so, und wollte wieder zurück zu den Hjjks?“

„Ja“, antwortete Chham. „Aber Poukor holte sie vor der Mauer ein und tötete sie.“

Tötete sie?“ Thu-Kimnibol klang erstaunt, er riß weit die Augen auf.

Diese Demonstration scheinbaren Zartgefühls fand der König belustigend, ja geradezu rührend sentimental. Oder war auch damit wieder eine Zurechtweisung beabsichtigt? Salaman fuhr mit weitausholenden Armbewegungen majestätisch durch die Luft. „Was hätten wir denn sonst machen können? Sie war ganz offenkundig eine Spionin. Wir konnten nicht zulassen, daß sie mit allem, was sie bei uns herausgefunden hat, ins Nest zurückkehrt.“

„Warum habt ihr sie nicht einfach in eure Stadt zurückgebracht? Sie gut gefüttert, ihr die Sprache beigebracht? Sie hätte bestimmt früher oder später ihre Hjjkischkeit abgestreift.“

„Würde sie das getan haben?“ fragte der König zurück. „Ich bezweifle das sehr stark. Dem äußeren Anschein nach war sie wie eine aus dem VOLK, aber in ihrer Seele war sie eine Hjjk. Und daran hätte sich nie was geändert. Sobald die dir erst einmal das Gehirn vergiftet haben, bist du nie wieder wie vorher. Besonders wenn dir das in jungen Jahren passiert. Nein, Cousin, es hätte nicht lang gedauert, und sie wäre wieder zu denen zurückgeflohen. Also war es besser, sie zu töten, als das zu riskieren. Es ist ein schrecklich schandbares Übel, daß ein Mädchen aus unserem VOLK im NEST hausen sollte. Mitten unter diesen widerwärtigen Kreaturen. Schon der bloße Gedanke erregt selbst den Göttern Übelkeit.“

„Dem würde ich zustimmen. Dennoch, sie einfach so abzuschlachten — ein Mädchen, eine Jungfrau.“ Thu-Kimnibol zuckte die Achseln. „Je nun, das ist nicht meine Angelegenheit. Dennoch glaube ich, daß sie vielleicht doch keine Spionin war. Vielleicht war sie zu euch gesandt als Botschafter, genau wie dieser Kundalimon — so heißt er — zu uns entsandt wurde. Hresh sagt, derartige Gesandtschaften sind in alle Sieben Städte ergangen.“

„Dem mag sein, wie ihm will. Wir sind an Botschaften von den Hjjks nicht interessiert“, erwiderte Salaman gleichgültig. „Aber Hresh muß da ja zwangsläufig andrer Ansicht sein. Weiß er zufällig auch den Grund, warum die Königin solch ein Diplomatenkarussell veranstaltet?“

„Die Königin bietet uns ein Abkommen an“, sagte Thu-Kimnibol.

Salaman saß plötzlich kerzengerade. „Ein Abkommen? Was für ein Abkommen?“

„Einen Friedensvertrag, mein Cousin. Quer über den ganzen Kontinent soll von Vengiboneeza bis zur östlichen Küste eine imaginäre Linie gezogen werden. Die Hjjks verpflichten sich, außer auf Einladung nie über diese Grenze in unser Gebiet zu kommen, vorausgesetzt natürlich, daß wir nicht in eines ihrer Territorien vorstoßen. Als unser Machtbereich sollen die Länder von Yissou südwärts über Dawinno hinaus zur Südlichen See gelten — oder wo immer in dieser Richtung das feste Land enden mag. Der ganze Rest der Welt soll Hjjk-Bereich sein und der Zugang dorthin uns auf ewig verschlossen. Ach ja, noch eins: Wir müssen uns verpflichten, Fachinstruktoren der Hjjks bei uns aufzunehmen, damit sie uns in den Wahrheiten ihrer Religion und der Weisheit ihrer Lebensart unterrichten.“

Es klang unwirklich. Das mußte ein Traum sein!

Meinten die das im Ernst, diese Hjjks? Einen dermaßen absurden Vorschlag zu unterbreiten?

Das alles war dermaßen blödsinnig, daß Salaman den Verdacht in sich aufkeimen fühlte, es könne sich bei dem Ganzen womöglich um einen raffinierten Trick von Taniane oder Thu-Kimnibol handeln. Aber nein, nicht doch, das wäre ja genauso verrückt gewesen.

„Was für ein bezauberndes Angebot“, sagte er mit leisem Lachen. „Ich vermute, ihr habt dem Gesandten die Haut abziehen lassen und auf ihr der Königin schriftlich eure Antwort mitgeteilt. Das hätte jedenfalls ich getan.“

Thu-Kimnibols Augen wurden schmal; wieder dieser tadelnde Blick.

Er hält uns für Barbaren, dachte Salaman.

„Der junge Mann befindet sich noch in Dawinno. Er steht unter Bewachung, wird jedoch gut behandelt. Die Häuptlingstochter persönlich bringt ihm täglich das Essen und unterrichtet ihn in unserer Sprache, die er natürlich in den vielen Jahren der Gefangenschaft vergessen hat.“

„Aber dieser Vertrag? Ihr habt ihn natürlich abgelehnt.“

„Weder abgelehnt noch akzeptiert, mein Cousin. Jedenfalls bislang noch nicht. Wir haben darüber in den Hohen Ratsversammlungen debattiert, aber keine Entscheidung getroffen. Manche plädieren heftig für die Unterzeichnung, weil er eine Friedensgarantie bietet. Diese Fraktion ist überzeugt, daß auch du unterschreiben wirst, wo doch die Hjjks von Vengiboneeza deiner Grenze im Norden so nahe sind — und du dir so große Sorgen machst wegen einer potentiellen Invasion.“

Verblüfft und empört schnaubte Salaman: „Das denken die von mir? Daß ich einen solchen feigen Schandvertrag unterschreibe?“

„Einige wohl, mein Cousin. Ich selbst konnte mir so etwas nie vorstellen.“

„Du selber bist also gegen den Vertrag?“

„Selbstverständlich. Und Hresh auch: Er kann sich nicht damit befreunden, die unerforschten Teile der Welt so einfach den Hjjks zu überlassen.“

„Und Taniane?“

„Sie hat sich noch nicht geäußert. Doch sie verabscheut die Wanzlinge. Sie haben ihr vor ein paar Jahren ihre Tochter geraubt, wie du ja sicher weißt, und sie monatelang als Gefangene gehalten. Damals dachte ich schon, Taniane würde den Verstand verlieren. Nein, es ist recht unwahrscheinlich, daß sie sich auf Geschäfte mit der Königin einläßt. Besonders da Hresh sich ja bereits dagegen ausgesprochen hat.“

Salaman schwieg. Diese Neuigkeiten waren verwirrend. Er rollte sich in die glattpolierten Tiefen seines Thronsessels und ließ die Augen über die Reihen seiner Söhne schweifen. Ernst erwiderten sie seinen Blick, in ihren Mienen spiegelten sich seine eigene ernste nüchterne Sorge. Wahrscheinlich begreifen sie nicht einmal zur Hälfte, was auf dem Spiel steht, dachte er, aber was soll’s? Sie werden es früh genug verstehen.

Es fiel ihm sehr schwer zu glauben, daß Dawinno der Königin ihren unverschämten Vorschlag nicht sofort und ohne weitere Finessen ins Gesicht zurückgeschmettert hatte (sofern man das bei Ihr ein Gesicht nennen konnte). Dieser sogenannte Vertrag war doch nichts weiter als das besiegelte Dokument einer Unterwerfung auf ewige Zeiten! Und dennoch gab es da drunten bei denen Leute, die es tatsächlich fertigbrachten, für den Vertragsabschluß zu sein! Wahrscheinlich die Beng-Lobby, vermutete Salaman, die feisten Kaufleute und die trag und gemütlich stimmviehisch an ihren Mandaten klebenden Politiker. Ach ja, laßt uns doch Appeasement-Politik mit den Hjjks betreiben und weiter schön gemütlich in unserer angenehmen, von balsamischen Winden durchwehten Stadt leben, die zudem ja auch noch so angenehm weit vom Mittelpunkt der hjjkischen Territorialmacht entfernt liegt. Aber sicher würden diese Leute das so haben wollen. Ungeachtet der langfristigen Gefahren. Ungeachtet des Preises, den es letzten Endes zu zahlen galt.