„Ah, da bist du ja“, sagte Husathirn Mueri beim Eintreten.
Curabayn Bangkea entglitt sein Helm und fiel scheppernd auf die Tischplatte. „Deine Gnaden?“ Er bellte fast, keuchte und zwinkerte bestürzt mit den Lidern.
„Wieso diese üble Laune heute morgen, Curabayn Bangkea? Nervt dich der Regen, oder hast du schlecht geschlafen?“
„Ausgesprochen schlecht, deine Gnaden. Meine Träume sind ausgesprochen sündenstachliger Natur und stoßen mich hinein in die rauhe Wirklichkeit, und da lieg ich dann und wünschte, daß ich wieder schliefe. Und wenn ich dann schlafe, kehrt der Traum zurück und ist nicht weniger steif und stachlig als zuvor.“
„Du solltest wirklich mal wieder einen Tabernakel aufsuchen“, sagte Husathirn Mueri mit einem freundlichen Grinsen, „und dir dort ein paar schöne volle Becher gönnen — und mit ein, zwei oder drei guten Partnern kopulieren, und dann noch eine Runde Wein auffahren lassen. Und so mal eine ganze Nacht durchmachen und überhaupt nicht zu schlafen versuchen. Ich habe immer gefunden, daß man dabei seine ärgerlichen Träume loswird. Und in der nächsten Morgendämmerung bist du dann wieder ein ganz gesunder, normaler Mann, und es dürfte ziemlich lang dauern, ehe dir deine Träume wieder Seelenblähungen verursachen werden.“
„Ich bedanke mich bei deinen Gnaden“, sagte Curabayn Bangkea, eher kühl. „Ich werde bestimmt darüber nachdenken.“
Er hob den Helm wieder auf und begann weiter daran herumzuwischen und zu wienern. Er fragte sich, ob Husathirn Mueri auch nur ahnte, was ihm wirklich zu schaffen machte. Es war immerhin stadtbekannt, wie geil Husathirn Mueri selber auf die Nialli Apuilana war (da mußte man bloß mal genau hinschaun, wenn sie in seine Nähe kam, und man wußte Bescheid), aber war dem Kerl eigentlich bewußt, daß praktisch jeder Mann in der Stadt ganz die gleichen Probleme hatte? Würde er wütend werden, wenn man ihm klarmachte, daß ein bloßer kleiner Hauptmann der Wachen von ihr ebenso heillos besessen war? Möglich war das. Also bleib vernünftig, Junge, und sag ihm nichts davon, befahl sich Curabayn Bangkea.
„Du warst heute morgen nicht im Tempel zur Nakhaba-Stunde“, sagte Husathirn Mueri.
„Nein, Edler. Ich bin im Dienst hier.“
„Bis wann?“
„Bis zur Tagesmitte, deine Gnaden.“
„Und danach?“
„Wollte ich zum Festival gehen. Mir die Spiele anschauen.“
Husathirn Mueri beugte sich nahe zu ihm und lächelte. Es war ein merkwürdig vertrauliches, intimes, anschmeißerisches Lächeln, ein beunruhigendes Lächeln, denn es signalisierte etwas — Abnormes. Die leise Stimme sagte: „Ich hätte da einen kleinen Job für dich, heut nachmittag.“
„Aber, Herr, da sind doch die Spiele!“
„Keine Angst, du kommst schon noch rechtzeitig. Hinterher. Aber vorher brauche ich dich noch. Du mußt ’ne Kleinigkeit für mich erledigen, geht das klar? Und es ist von höchster Wichtigkeit für die Sicherheit unserer Stadt. Und du bist nun einmal der einzige, zu dem ich genug Vertrauen habe, daß er das auch richtig ausführt.“
„Ja? Deine Gnaden?“ Curabayn Bangkea schwamm völlig im unklaren.
„Es geht um den Hjjk-Gesandten.“ Husathirn Mueri lagerte sich so ganz beiläufig mit einem Schenkel auf die Kante des Schreibtischs in der Wachzentrale. „Taniane weiß inzwischen darüber Bescheid, was der treibt — ich meine seine subversiven Aktivitäten. Seine Predigerei. Wie er unsere Jugend verdirbt. Sie wünscht, daß dem so schnell wie möglich ein Ende gemacht werde.“
„Ein Ende — wie, Edler? Sollen wir ihn wieder unter Hausarrest stellen?“
„Nein. Etwas mit mehr Durchschlagskraft.“
„Mehr.?“
„Aber du begreifst doch, was ich dir sage.“
Curabayn Bangkeas Blick wurde starr. „Ich bin mir nicht sicher, daß ich begriffen habe. Also — ohne große Umschweife, Herr. Willst du mir damit sagen, ich soll ihn töten lassen?“
Husathirn Mueri hatte einen seltsam heiteren Ausdruck im Gesicht, als er sagte: „Der Häuptling fühlt sich von den Vorgängen zutiefst beunruhigt. Sie hat mir aufgetragen, dieser subversiven Beeinflussung unserer Kinder ein Ende zu bereiten. Sofort, radikal und für immer. Das ist doch wohl klar genug.“
„Aber. die Beseitigung eines Gesandten.“
„Es besteht doch wahrlich kein vernünftiger Grund, ihn als so etwas zu bezeichnen, oder?“
„Aber du willst ihn — weg haben, und er ist ein Botschafter, oder?“
Husathirn Mueri sprach unbeirrt weiter. „Die Lage ist kritisch. Diese Person führt zu enormen Störungen im Leben unserer Stadtgemeinschaft. Und hier liegt unsere Verantwortung, mein lieber Curabayn Bangkea, und bei allen Göttern, wir werden uns dieser Verantwortung gewachsen zeigen.“
Und Curabayn Bangkea nickte. Inzwischen kam er sich vor wie ein verlorenes Blatt, das von einem raschfließenden Wasserlauf davongetragen wird.
Husathirn Mueri sprach weiter: „Also wirst du zur Eröffnungsfeier zu den Spielen gehen und dafür sorgen, daß man dich sieht. Dann verschwindest du, und zwar so, daß man dich nicht sieht. Dann besorgst du das Nötige und kommst auf die Tribüne zurück, wo ich zufällig dir in den Weg laufe und dich in meine Loge einlade, wo dich alle Welt sehen kann, und dort sitzen wir ein Weilchen und plaudern — über die Favoriten in den Ausscheidungskämpfen des Tages. Und niemand wird auch nur einen Verdacht hegen, du könntest an etwas Ungewöhnlichem beteiligt gewesen sein, während die Spiele im Gange waren.“
Er blickte stier. „Ich soll das Nötige besorgen, sagst du? Meinst du damit, ich persönlich?“
„Ja, du und keiner sonst. Ausdrücklicher Befehl von Taniane. Mehr noch, und es ist von entscheidender Wichtigkeit, wir müssen verhindern, daß die Sache irgendwie mit ihr in Verbindung gebracht werden kann, mit mir im übrigen auch nicht. Dabei könnte die Regierung der Stadt sehr schwer kompromittiert werden. Deshalb mußt du es tun, und zwar allein. Ist das klar? Und du mußt es sofort hinterher vergessen.“ Er machte eine Pause. „Natürlich wirst du angemessen belohnt werden.“
Die einzige angemessene Belohnung, dachte Curabayn Bangkea, wäre, daß ich mir eine Nacht lang die Nialli vornehmen darf, wie ich möchte. Aber das werden sie mir bestimmt nicht gewähren.
Er verspürte einen plötzlichen Zorn. Was glaubten die eigentlich, was er sei, ein Tier, ein Barbar? Er war der Hauptmann der Wachen, der Schützer und Bewahrer von Recht und Ordnung. Warum wählten sie gerade ihn für dieses schmutzige Geschäft aus? Konnten sie dafür nicht irgendeinen Strolch in einer Kaschemme auftreiben, den man danach bequem verschwinden lassen konnte?
Ich brauche dich... Du bist der einzige, dem ich vertraue...
Nun ja, vielleicht. Daß er gebraucht wurde, ganz besonders auserwählt war, besänftigte ihn ein wenig. Ein Geheimauftrag, und auf ganz speziellen Wunsch des Häuptlings. Irgendwie schmeichelhaft. Der einzige, dem ich vertrauen kann. Ein Säufer und Strolch würde die Sache vielleicht verhauen. Oder das Maul nicht halten können, ehe er an die Arbeit ging. Schließlich handelte es sich um eine staatswichtige Sache. Tanianes Befehclass="underline" dem Kinderverführer ein Ende zu machen! Eine Krisensituation war das, jawohl, eine Bedrohung von Recht und Ordnung, diese ganze Propaganda der Hjjk-Liebe und dieses ganzen Zeugs.
Seine Verärgerung legte sich etwas.
Außerdem erkannte er, daß ihm gar keine andere Wahl gelassen war, als mitzumachen, ob es ihm gefiel oder nicht. Er steckte bereits viel zu tief mit drin. Er wußte zuviel. Nun mußte er das Spiel bis zum Ende durchstehen. Diene deinen Herrn und Meistern getreulich, dann kommst du nach oben. Zeig ihnen die kalte Schulter, wenn sie dich brauchen, und du kannst dich eingraben lassen.