Dann nahm er seinen Platz in der Sektion für das gewöhnliche Volk wieder ein und wartete ab.
Es dauerte lang, bis die abgesprochene Einladung in Husathirn Mueris Loge erfolgte. Der Langstreckenlauf war schon vorbei, es liefen die Stabsprung-Wettbewerbe, und man bereitete sich schon zum Staffellauf vor. Doch endlich tauchte ein Kerl auf, in dem Curabayn Bangkea einen Bediensteten des Hauses Husathirn Mueri erkannte. „Wachhauptmann?“
„Ja? Was gibt es?“
„Seine Exzellenz, Prinz Husathirn Mueri, schickt mich mit einem freundlichen Gruß zu dir. Er hofft, du hast die Spiele bisher interessant gefunden.“
„Aber gewiß. Sehr.“
„Der Prinz möchte dich einladen, mit ihm einen Becher Wein zu trinken.“
„Es wird mir eine Ehre sein“, antwortete Curabayn Bangkea.
Es dauerte ein wenig, bis er begriff, daß der Mann ihn ja gar nicht zum Logenbereich im Mittelfeld der Tribünen führte, wo die Aristos saßen. Vielmehr geleitete er ihn auf einem weiten Umweg über die gegenüberliegende Seite in den Bogengang, der das Stadion umschloß.
Also, vielleicht hat ja Husathirn Mueri sich anders entschieden, schloß Curabayn Bangkea, und will mich nicht grad an einem so auffälligen Ort treffen, wie in seiner Loge. Vielleicht fürchtete er, der Job könnte schiefgegangen sein, es könnte Zeugen gegeben haben, so daß es doch nicht ganz so klug wäre, sich öffentlich mit Curabayn Bangkea sehen zu lassen, ehe er genau wußte, was wirklich geschehen war. Curabayn Bangkea fühlte, wie der Zorn erneut in ihm aufstieg. Hielten die ihn wirklich für einen solchen Pfuscher?
Und da war nun Husathirn Mueri und kam durch den Gang auf ihn zu. Es wurde immer rätselhafter. Wo sollte denn nun dieser gemeinsame Siegestrunk, der Becher Weins, getrunken werden? Doch nicht etwa in einer der öffentlichen Kellerkaschemmen da drunten?
Er schämt sich, mit mir gesehen zu werden, dachte Curabayn Bangkea wütend. Ja, das ist es. Ein Nobelprinz wie der, der lädt doch nicht einfach einen ordinären Gardehauptmann wie mich in seine Loge ein! Aber — warum hat er dann gesagt, daß er das tun will? Nein, das hätte er wirklich nicht tun dürfen.
Aber Husathirn Mueris Gesicht sah aus, als freue er sich wirklich, ihn zu sehen. Er strahlte so voll genußfreudiger Erwartung, als ginge er zu einem Rendezvous mit Nialli Apuilana.
„Curabayn Bangkea, mein Guter!“ rief er aus zwanzig Schritt Entfernung. „Ich bin ja so froh, daß wir dich in diesem Tollhaus endlich finden konnten.“
„Nakhaba sei dir hold, Edler. Gefallen dir die Spiele?“
„Die bisher schönsten, findest du nicht?“ Husathirn Mueri hatte ihn nun erreicht. Der Diener, der Curabayn Bangkea geführt hatte, war verschwunden wie ein Sandkörnchen in einen Wirbelsturm. Husathirn Mueri ergriff ihn mit der für ihn typischen überschwenglich vertraulichen Art am Ellbogen und fragte sehr leise: „Also?“
„Erledigt. Keine Zeugen.“
„Prächtig, prächtig!“
„Es hätte gar nicht besser laufen können“, sagte Curabayn Bangkea. „Aber jetzt, wenn es dir nichts ausmacht, deine Gnaden, würde ich gern vielleicht doch über meine Belohnung reden.“
„Hier hast du sie“, sagte Husathirn Mueri. Und Curabayn Bangkea spürte urplötzlich etwas Heißes in seiner Flanke und schaute erstaunt zu dem kleinen Mann neben ihm hinab. Die Klinge war so blitzschnell eingedrungen, daß er nicht einmal die Chance gehabt hatte, zu begreifen, was da geschah. Auf einmal war sein Mund voll Blut, und in seinem Bauch brannte ein schneidendes Feuer. Schmerz schwoll durch seinen ganzen Körper. Und Husathirn Mueri lächelte ihm zu und beugte sich zu ihm, und er spürte eine zweite heiße Explosion, betäubend zunächst, dann mehr Schmerz, viel mehr als beim erstenmal, und dann war Curabayn Bangkea allein. Er klammerte sich an das Geländer und sank langsam zu Boden.
5. Kapitel
Durch Eingreifen des Verwandlers
Hresh kam es vor, als dauerten die Spiele endlos. Um ihn herum tobte begeistert die Menge, aber er wäre liebend gern anderwärts gewesen, irgendwo anders. Doch er wußte, es bestand keine Hoffnung für ihn, aus dem Stadion zu entkommen, ehe das letzte Rennen gelaufen, der letzte Gewichtwurf erledigt waren. Er mußte hier hockenbleiben, angeödet und triefnaß, und beständig an den unwiederbringlichen Verlust denken und sich verzweifelt bemühen, seine Pein nicht sichtbar werden zu lassen. Da saß sie neben ihm, Nialli, und war ganz gepackt von den Ereignissen drunten auf dem Kampffeld; sie jubelte bei jeder Entscheidung, ganz so, als hätte ihr Gespräch am Abend zuvor nicht stattgefunden, als wäre sie unfähig zu begreifen, daß sie ihn tief ins Herz getroffen, ihm einen Schlag versetzt hatte, von dem er sich nie wieder würde erholen können.
„Da, schau doch, Vater!“ Sie wies hinab. „Jetzt kommen sie mit den Cafalas!“
Ja, es folgte das Cafalas-Rennen, eine komische Einlage, bei der die Reiter auf den plumpen kurzbeinigen Tieren sich verzweifelt abmühten, die widerspenstigen trägen Bestien in Bewegung zu setzen. Nialli hatte das immer besonders genossen, es war so blödsinnig, so völlig absurd. Einer der kleinen Scherze, die Hresh sich (selten genug) erlaubte, mehr war es nicht. Er war nur einer spielerischen Laune gefolgt, als er das Cafala-Rennen den offiziellen Wettkampfdisziplinen hinzugefügt hatte. Aber das Volk hatte das ernstgenommen, die Idee zündete, und jetzt war das Ganze einer der Höhepunkte des Tages.
Hresh hatte nie viel für sportliche Wettkämpfe übrig gehabt, nicht einmal als Junge im Kokon. Manchmal hatte er zwar mit den anderen Kindern beim Beinringen oder Höhlensegeln mitgemacht, aber nie mit besonderer Begeisterung. Er war für solche Sachen einfach zu leichtgewichtig und zu klein gewesen, und vor allem zu ‚besonders‘. Ihm hatte es mehr zugesagt, bei dem alten Graupelz Thaggoran, dem Stammeschronisten, zu hocken, oder immer wieder einmal ganz allein das Gewirr der uralten aufgegebenen Gangsysteme unterhalb der zentralen Wohnkammer zu durchwandern.
Dennoch, der Sport hatte seine Bedeutung. Er bot den Massen ein Vergnügen; er zog das Interesse der Oberflächlichen und Leichtfertigen auf sich; und was noch viel wichtiger war, er lenkte die Seelen auf zentrale Höhere Dinge: das Streben nach herausragender Leistung, nach Vollkommenheit. Deshalb hatte Hresh dieses Jahresfest entworfen: die Spiele zu Ehren Dawinnos — der der Gott des Todes und der Zerstörung war, aber auch der Anpassungsfähigkeit, der Verwandlung, des Erfindungsreichtums und witziger Weisheit und tausendfältiger Energieströme. Und nachdem er nun einmal der Erfinder und Planer der Spiele war, saß er hier fest, ob ihm das gefiel oder nicht, und mußte sie sich bis zum Ende anschauen.
Es regnete immer wieder in Schüben. Mal war es ein feines Nieseln, dann wieder peitschten schräge Schauer nieder. Niemand schien es zu stören. Das Stadion war nur an der Peripherie überdacht, die unteren Ränge, sogar die Loge des Häuptlings, und natürlich das Spielfeld lagen unter freiem Himmel. Zwischen den Güssen wehte immer wieder ein warmer trockener Wind, und die Sonne zeigte sich, und dies genügte anscheinend dem Publikum und den Athleten gleichermaßen, um sich wohl zu fühlen. Die Spiele faszinierten sie dermaßen, daß sie dem Regen überhaupt keine Beachtung schenkten. Hresh in seinem triefnassen trostlosen Elend verspürte nicht die geringste Begeisterung und argwöhnte, daß er wohl wieder einmal als einziger keinen Spaß habe.
Und dann waren die Cafalas endlich gestartet und watschelten die verschlammten Bahnen entlang. Gewöhnlich war ein Beng Sieger in dieser Disziplin. Auf ihren Wanderungen durch die Grenzregionen des Hjjk-Gebiets, lange vor der Vereinigung, hatten die Bengs Herden von Wild-Cafalas aufgespürt und sie wegen ihres Fleisches und ihrer dichten Wolle domestiziert. Seitdem galten sie als große Cafala-Kenner.
Aber diesmal war es ein Koshmari-Junge, der an der Spitze lag, oder? Aber ja, ja! Es war Jalmud, einer der jüngeren Söhne von Preyne. Nialli war aufgesprungen, fuchtelte frenetisch mit den Armen und feuerte ihn an. „Los, Jalmud! Los! Du schaffst es!“