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Der Junge hockte, tief nach vorn gebeugt, auf seinem Cafala, die Knie eisern in des regennasse bläuliche Fell seines Reittiers gebohrt, und zog mit den Fingern heftig an den ledrigen lappigen schwarzen Ohren. Und sein stumpfblickendes flachnäsiges Cafala reagierte heldenhaft und stampfte mit nickendem Kopf und spreizbeinig stetig vorwärts. Inzwischen hatte es sich eindeutig an die Spitze des Feldes geschoben.

„Jalmud! Jalmud!“ schrie Nialli. „Los! Gib’s den Bengs!“ Sie tanzte jetzt herum, ahmte den unbeholfenen Kanter der Cafalas nach und lachte, wie Hresh sie lange, lange Zeit nicht mehr hatte lachen hören. Sie wirkte mehr wie ein ganz junges Mädchen beim allerersten Cafala — Rennen als wie eine Frau, die er nie wiedersehen würde.

Er fühlte — wie er sie da so beobachtete, während sie dem Rennen zusah — einen scharfen stechenden Gram in sich. Er schaute sie unablässig an, als erwartete er, daß sie hier und gleich jetzt vor seinen Augen verschwinden werde. Aber noch blieb ihnen ja ein wenig Zeit.

Zuerst mußte sie ihm ja noch all das über die Königin und das Nest erzählen, was zu sagen sie ihm versprochen hatte. Und Nialli hielt sich stets an ihre Versprechungen.

Wie bald schon würde sie fortgehen? In ein paar Tagen, einer Woche, einem Monat?

Schon als Kind war sie abenteuerlustig gewesen, stets voll Neugier, stets lernbegierig. Mit schmerzlicher Zärtlichkeit sah Hresh sie jetzt in seiner Erinnerung vor sich, wie sie als kleines Mädchen gewesen war: die hellen wachen Augen immer voll Lachen, war sie an seiner Seite durch die Gänge des Hauses der Wissenschaft gestolpert, von Fragen übersprudelnd: Was ist das? Was ist das?

Jedoch, es stand zweifelsfrei fest, sie würde fortgehen. Sie sah darin das Große Abenteuer ihres Lebens, die Große Suche und Heilsfindung, und nicht, gar nichts sonst war ihr daneben noch wichtig. Weder Vater noch Mutter und auch nicht die Stadt. Es war wie ein Zauberbann, eine Verhexung. Und er würde sie nicht zurückhalten können. Er hatte dieses Leuchten an ihr gesehen. Sie liebte diesen Kundalimon und — Dawinno helfe ihr! — sie liebte die Königin. Die eine Liebe war ganz natürlich und eigentlich durchaus lobenswert. Die andere entzog sich seinem Begriffshorizont und außerdem, wie er sehr wohl wußte, jeglicher Beeinflussung seinerseits. Was immer man mit ihr während ihrer Gefangenschaft im Nest gemacht haben mochte, es hatte sie unwiderruflich verändert. Also würde sie nun wieder zu den Hjjks gehen; und ebenso sicher war wohl, daß sie diesmal nicht zurückkehren würde. Niemals. Es kam ihm so unwirklich vor: In ganz kurzer Zeit sollte er sie für immer verlieren. Aber er war machtlos dagegen. Die einzige Möglichkeit, sie hier bei sich festzuhalten, wäre, daß man sie einsperrte wie eine gewöhnliche Kriminelle.

Und Nialli schreit schrilclass="underline" „Jalmud!“ Sie wirkt ganz außer Rand und Band.

Das Wettrennen ist vorbei. Jalmud steht grinsend vor dem Dawinno-Altar und nimmt seinen Siegerkranz entgegen. Stallknechte versuchen die umherwandernden Cafalas zu sammeln, die sich überallhin verstreut haben.

In diesem Augenblick taucht eine behelmte Gestalt am Zugang zur Häuptlingsloge auf: ein dicklicher, untersetzter Mann mit der Schärpe der Justizwachen. Er beugt sich zu Taniane herab und sagt sehr gedämpft: „Hohe Frau, ich muß dich sprechen.“

„So sprich denn!“

Der Gardist wirft Hresh einen unsicheren Blick zu. Dann auch einen ebenso unsicheren auf Nialli.

„Es ist ausschließlich für deine Ohren bestimmt, Edle.“

„Schön, dann flüstere!“

Der Gardist schiebt den Helm in den Nacken und beugt sich, unverschämt dicht, zu Taniane nieder. „Nein!“ murmelt Taniane nach den ersten paar Worten heiser. Sie greift kurz mit beiden Händen an den Hals. Dann hämmert sie mit den Fäusten heftig und in wilder Wut auf ihre Schenkel. Hresh starrt sie verblüfft an. Sogar der Wachsoldat scheint verwirrt, was für eine Wirkung seine Nachricht auslöste, und weicht zurück und schlägt die Zeichen sämtlicher Götter nervös immer wieder und wieder.

„Was ist denn?“ fragte Hresh.

Und sie schüttelt nur langsam den Kopf. Auch sie macht jetzt die heiligen Zeichen. „Yissou sei uns gnädig!“ sagt sie mit seltsam tonloser Stimme und wiederholt es mehrere Male.

„Mutter?“ Nialli, fragend.

Hresh ergreift Taniane am Handgelenk. „Bei den Göttern, Taniane, so sag mir schon, was passiert ist!“

„Ach, Nialli, meine Nialli.“ „Mutter, also, bitte.“

Mit einer Stimme, die wie aus einer Gruft zu dringen scheint, sagt Taniane: „Der junge Mann, der von den Hjjks zu uns gekommen ist, der Abgesandte.“

Nialli, ärgerlich: „Was ist denn, Mutter? Ist was mit ihm?“

„Man hat ihn vor kurzem in einer Gasse gefunden. An der Straße vom Mueri-Haus. Tot. Erwürgt.“

„Götter!“ krächzt Hresh.

Und er breitet für Nialli die Arme aus, um sie zu umfangen und sie zu trösten. Doch er kommt damit zu spät. Das Mädchen stößt einen entsetzlichen Schrei aus, macht kehrt, springt wild vor Schmerz über die Logenbrüstung und stürzt sich in die Menschenmenge, die sie mit der Kraft einer Tobsüchtigen aus dem Weg stößt, als wären die Leute Strohhalme. Dann sieht er sie nicht mehr. Und gleich danach kommt ein zweiter Wachsoldat angekeucht, schnaubend und so täppisch wie ein Cafala, und klammert sich mit irrem Blick atemlos mit beiden Händen an die Logenbrüstung, als wollte er die Welt zum Stillstand bringen, und blubbert: „Herrin! Edle! Im Stadion ist ein Mord passiert! Herrin, unser Wachhauptmann. der Chef.“

Es war fast Mitternacht. Der Regen hatte aufgehört, und überall stiegen dichte weiße Nebelschwaden vom Boden auf wie die Scheinleiber der Toten, die sich in die Lüfte erheben. Die wichtigsten Mitglieder des Präsidiums saßen schon den ganzen Abend über in einer Krisensitzung und berieten — es war ihnen allen als vernünftigster politischer Schachzug —, und sie hatten endlos über die zwei Morde geredet und kein Ende gefunden, als könnte das Bereden die Toten zurückbringen. Am Ende hatte Taniane sie allesamt weggeschickt und die Sitzung als ergebnislos vertagt. Nur Husathirn Mueri war geblieben. Sie hatte ihn darum gebeten.

Der Häuptling war einem Zusammenbruch nahe. Der Tag war ihr so lang erschienen, als hätte er tausend Jahre gedauert.

Nicht ein Mord, sondern gleich zwei. Tod durch Gewalteinflüsse war in der Stadt nahezu unbekannt. Und an einem einzigen Tag hatte es nun gleich zwei Fälle gegeben. Und dies noch dazu am Nationalfeiertag!

Sie blickte Husathirn Mueri kalt und scharf an. „Ich habe dir nur aufgetragen, seiner Predigerei ein Ende zu machen, nicht ihn umbringen zu lassen. Was bist du für eine Bestie, einen Menschen einfach so ermorden zu lassen?“

„Edle, es lag ebensowenig in meiner Absicht, daß er getötet werde, wie in deiner“, sagte Husathirn Mueri heiser.

„Trotzdem hast du deinen Wachhauptmann losgeschickt mit eben diesem Auftrag.“

„Nein. Ich schwöre dir, Herrin, nein!“ Er sah ebenso mitgenommen und erschöpft aus, wie sie selber sich fühlte. Sein schwarzes Fell hing schwer von Schweiß an ihm, und die weißen Streifen darin waren stumpfgrau vom öligen Schmutz des ganzen Tages. Die bernsteinfarbenen Augen wiesen den glasigen Schimmer äußerster Erschöpfung auf. Er ließ sich auf die Steinbank vor dem Arbeitstisch fallen und sagte: „Ich habe Curabayn Bangkea nicht mehr gesagt, als was du mir gesagt hast: Daß er ihn zum Schweigen bringen soll, daß er dafür sorgen soll, daß der nicht weiter predigt. Ich habe nicht ein einziges Wort über Töten gesagt. Wenn äso Curabayn Bangkea ihn ermordet hat, dann war das ganz allein seine Idee.“

Wenn er ihn getötet hat?“