Выбрать главу

Sie ritten schweigend bis spät in den Nachmittag einen hohen Kamm entlang, der sich dahinzog, soweit das Auge reichte. Die Gegend wurde immer wilder. Einmal verfinsterte ein Zug von Blutvögeln kurz den Himmel dicht über ihnen. Auf einem sonnenheißen Kogel bewegte sich gemächlich ein Trupp der großen bleichen Grünklauen genannten Insekten (feiste vielgliedrige Brocken, halb so lang wie ein Mann) umher. Später kamen sie an einer Stelle vorbei, an der der Grund in Bewegung war, als ob ein großer Bohrer sich unterirdisch vorwärtsarbeite, und als Thu-Kimnibol hinabsah, blickten ihm riesige scharlachrote Telleraugen aus dem weichen Erdhub entgegen, und mächtige gelbe Zähne rieben sich knirschend gegeneinander.

Schließlich hielten sie an einer offenen grasbewachsenen Stelle an einer Kammspitze. Der Himmel färbte sich schon dunkel und sah nun aus wie starker Wein. Thu-Kimnibol starrte in die sich sammelnden Schatten im Osten. Dort draußen lag irgendwo Vengiboneeza, aber natürlich weit, weit jenseits seines Blicks. Er erinnerte sich nur noch an einen Haufen von Trümmern und Schutt, an das Bild eines Turmes, das Kopfsteinpflaster eines weiten Boulevards, den erhabenen Schwung eines weiten Platzes. Diese leuchtende uralte Stadt — voller Gespenster. Und die Millionen Hjjks, wild Schwärmend in ihrem Stock. Wie gräßlich der Ort nach ihnen stinken mußte!

Nach einiger Zeit glaubte Thu-Kimnibol, daß er Gestalten erkennen könne, die sich in sehr weiter Ferne, fremdartig und kantig, in dem Flachcanyon unterhalb des Kammes bewegten.

„Hjjks“, sagte er. „Siehst du sie?“

Auf diese Entfernung wirkten sie sehr klein, kaum größer als gelbe Punkte mit schwarzen Streifen.

Salaman kniff die Lider zusammen und schaute angestrengt. „Wahrhaftig, bei Yissou! Einer, zwei, drei, vier.“

„Und ein fünfter, flach auf dem Boden. Mit dem Bauch nach oben.“

„Deine Augen sind jünger als meine. Aber ja, jetzt kann ich sie auch unterscheiden. Siehst du jetzt, wie nahe an Yissou sie sich heranwagen? Immer näher und näher kommen sie frech heran.“ Er spähte noch angestrengter. „Die beiden Dicken sind Weibchen. Kämpfer-Hjjks, das sind sie. Bei denen sind die Weiber die Stärkeren. Ich nehme an, sie geleiten die übrigen drei irgendwohin. Ein Spähtrupp. Der Hjjk auf dem Boden ist schwerverletzt, wie es aussieht. Oder tot. Wie immer, sie werden in Kürze einen Festschmaus haben.“

„Einen — Festschmaus?“

„Ja. Von dem Toten. Sie lassen nichts verkommen, diese Hjjks. Hast du das nicht gewußt? Nicht mal ihre eigenen Toten.“

Über diese monströse Vorstellung mußte Thu-Kimnibol lachen. Doch dann überlegte er die Idee noch ein wenig, und ihn überlief ein Schauder. War es möglich, daß Salaman im Ernst sprach? Ja, doch, anscheinend meinte er es ganz ernst. Und das Quartett der fernen Hjjks schien inzwischen auch über dem Leib des Liegenden zu kauern und ihn säuberlich zu zerstückeln, die Gliedmaßen abzutrennen, sie zu zerspalten, um an das Fleisch darinnen zu gelangen. Er sah sich dies voll Entsetzen an, konnte jedoch den Blick nicht abwenden. Vor Ekel fröstelte ihn auf der Haut, und seine Eingeweide zuckten. Die geschäftig säbelnden Scheren, die gierigen Schnäbel, dieser beharrliche, gewissenhaft erledigte Freßprozeß — wie abscheulich, wie widerlich waren diese Geschöpfe.

„Also sind sie Kannibalen? Und bringen sich gegenseitig wegen des Fleisches um?“

„Ja, Kannibalen. Sie finden es durchaus in Ordnung, die eigenen Toten aufzufressen. Sie sind höchst sparsame, ökonomiebewußte Wesen. Aber Mörder, nein, das sind sie nicht. Ihresgleichen zu morden, mein Cousin, das scheint bei ihnen keine allgemeine Praktik zu sein. In diesem Fall da drunten vermute ich, der Hjjk ist mit etwas noch Scheußlicherem als einem Hjjk zusammengestoßen. Und Yissou weiß, in diesem weiten Land lauern allüberall Gefahren, hunderterlei verschiedene wilde Bestien.“

„Sparsam? Sagst du?“ Thu-Kimnibol spuckte fast vor Ekel. „Leichenfresserische Dämonen, das ist es, was sie sind. Wir sollten sie allesamt bis zum letzten Säugling ausrotten!“

„Ach, ist das deine Überzeugung, mein Cousin?“

„Sie ist es.“

Salaman lächelte breit. „Nun, so denken wir beide ähnlich. Ich hatte mir erhofft, daß du unsern Ausritt instruktiv finden würdest. Erkennst du jetzt, mit welchem Feind wir hier konfrontiert sind? Und warum ich meinen Wall baue, den ihr alle so komisch findet; ich weiß, ich weiß, und warum dermaßen hoch? Wir sind nur eine kleine Strecke von der Stadt ausgeritten — und da siehst du sie, vor unseren Augen, ihre Greuel begehen, und es bekümmert sie nicht im mindesten, daß wir sie dabei beobachten.“

Thu-Kimnibols Augen glitzerten. In seiner Stirn pochte es. „Wir sollten runtergehen und sie töten, während sie fressen. Wir sind zu zweit — die nur vier. keine schlechte Aussichten.“

„Aber hinter den Bäumen dort könnte noch eine ganze Hundertschaft lauern. Hättest du Lust, die nächste Mahlzeit für sie abzugeben, mein Cousin?“ Salaman zupfte ihn am Arm. „Komm! Die Sonne ist gesunken, und wir sind weit von der Stadt. Wir kehren besser um, glaube ich.“

Doch Thu-Kimnibol war nicht fähig, den Blick von dem Schlachtfest drunten im Canyon zu wenden.

„Eine Vision überkommt mich, wie ich hier stehe“, sprach er leise. „Ich sehe ein Heer, eine Armee von Tausenden der Unsrigen, über dieses Land reiten. Aus deiner Stadt und von der unsrigen und aus all den kleinen Siedlungen dazwischen. Das Heer zieht rasch voran, schlägt blitzschnell zu und macht jeden Hjjk nieder, auf den wir stoßen. Ohne Rast und Halt ziehen wir bis mitten ins Herz des Großen Nests, bis direkt in das persönliche Versteck der Königin. Ein Blitzkrieg, dem sie nicht standhalten können, gleichgültig, wie zahlreich sie sind. Ihre Stärke liegt in der Königin. Wenn sie getötet ist, sind sie hilflos, und wir können leicht und nach unserem Belieben alle übrigen liquidieren. Was sagst du dazu, Salaman? Ist das nicht ein wundervolles Szenario?“

Der König nickte. Er sah angenehm überrascht aus. „Wir denken wirklich in die gleiche Richtung, Gevatter. Ja, wir denken gleich! Kannst du dir denken, wie lange ich schon darauf warte, daß einer aus Dawinno kommt und mir dies sagt? Ich hatte die Hoffnung schon beinahe aufgegeben.“

„Du hast also nie erwogen, den Krieg allein zu führen?“

Für einen Moment regte sich etwas wie Verärgerung im Blick des Königs. „Wir sind zahlenmäßig nicht stark genug, mein lieber Cousin. Unsere Niederlage wäre gewiß. Aber eure Stadt, seit ihr diese ganzen Bengs aufgenommen habt. Da wären die Truppen, die ich brauchte. Aber welche Chance besteht, daß ich sie bekommen kann? Es lebt sich in deiner Stadt zu angenehm, Thu-Kimnibol. Dawinno ist kein Ort für Kriegshelden. Deine Person selbstverständlich ausgenommen!“

„Vielleicht unterschätzt du uns ein wenig, Cousin.“

Salaman zuckte die Achseln. „Die Bengs, ja, das waren einst Kämpfer, als sie noch wandernd durch die Ebenen streiften. Aber sogar sie sind da drunten in eurer südlichen Wärme fett, faul und träge geworden. Sie erinnern sich nicht mehr, welchen Riesenärger die Hjjks ihnen vor langer Zeit bereitet haben. Dawinno ist zu weit von den Hjjk-Landen entfernt, als daß sich irgendwer da drunten bei euch über sie noch Sorgen machen würde. Wie oft passiert es denn, daß ihr streunende Hjjks so nahe bei eurer Stadt habt, wie die dort unten bei meiner Stadt sind? Alle drei Jahre einmal? Wir leben Tag um Tag mit ihrer Nähe. Bei euch gibt es momentan mal ein bißchen zornig aufbrodelnde Volksseele, wenn ein Kind gestohlen wird, und dann kehrt das Kind zurück, oder man vergißt es, und alles bleibt schön gemütlich wie vorher.“