Thu-Kimnibol sagte steif: „Du gibst mir das Gefühl, mein Cousin, daß meine Mission zwecklos ist. Du sagst mir mitten ins Gesicht, daß ich für eine Nation von Feiglingen spreche.“
Der Stimmungsumschwung war plötzlich. Die beiden Männer betrachten einander nun starr und weit weniger freundschaftlich als noch vor wenigen Augenblicken. Lange hängt die Zurückweisung unerwidert zwischen ihnen. Drunten im Canyon geht das Freßfest weiter: Scharfe Geräusche, Knirschen und Knacken wehen mit der kühlen Abendluft herauf.
Dann sagt Salaman: „Es ist jetzt ein paar Wochen her, daß du mir gesagt hast, du bist gekommen, um mir eine Allianz vorzuschlagen, daß Dawinno seine Streitmacht mit uns vereinen will, um Krieg gegen die Hjjks zu führen. Sie zu vernichten wie Ungeziefer, das würdest du gern mit ihnen tun. Hast du gesagt. Ausgezeichnet. Wunderbar. Und jetzt präsentierst du mir dieses hübsche Bild, daß unsre beiden Streitmächte sich vereinigen und nach Norden marschieren. Prächtig, mein Cousin. Aber vergib mir meine Skepsis. Ich weiß, wie das Volk in Dawinno ist. Ein Bündnis her oder hin, aber was gibt mir die Sicherheit — wirklich eine Sicherheit —, daß eure Leute dann auch tatsächlich hier erscheinen und mitkämpfen? Was ich brauche, ist eine Garantie, daß du mir das dawinnische Heer ranschaffst. Kannst du mir diese Garantie geben, Thu-Kimnibol?“
„Ich glaube, ich kann es.“
„Daß du das glaubst, genügt mir nicht. Schau noch einmal dort hinunter, mein guter Gevatter. Sieh, wie sie ihren Genossen zerfetzen und zerfleischen, zerknacken und zerkauen. Kannst du deinen Leuten vermitteln, was du hier jetzt siehst? Das sind die Hjjks, und nur ein paar Stunden im Sattel von meiner Stadt entfernt. Mit jedem Jahr werden es mehr. Und jedes Jahr rücken sie uns ein bißchen näher.“ Salamans Lachen klingt bitter. „Aber was stört es schon die Leute in Dawinno, wenn die Hjjks auf unsrer Türschwelle ihre Lager aufschlagen, he? Es wird ja das Fleisch unsrer Söhne und Töchter sein, nicht das der ihrigen, in Dawinno, von dem die Hjjks sich in einiger Zukunft nähren werden, oder, mein lieber Cousin? Aber machen eure Leute da drunten im Süden sich eigentlich klar, daß die Hjjks, wenn sie erst einmal uns erledigt haben, weiter nach Süden und auf Dawinno vorstoßen werden? Ihre Gier ist nicht zu bremsen. Und sie werden garantiert weiter nach Süden drängen. Wenn nicht sofort, dann in zwanzig, dreißig oder fünfzig Jahren. Und ist euer Volk wirklich fähig, so weit vorauszuschauen?“
„Einige ja. Und eben deshalb bin ich ja hier.“
„Ja, ja. Dieses famose Bündnis! Aber wenn ich dich frage, ob Dawinno tatsächlich zum Kampf bereit ist, gibst du mir keine Antwort.“
Salamans Augen funkeln jetzt hell in wildem Eifer. Sie bohren sich erbarmungslos in den Blick Thu-Kimnibols. Dessen Kopf beginnt zu schmerzen. Ihm schweben die diplomatischen Lügen auf der Zungenspitze, aber er drängt sie zurück. Dies ist ein Augenblick für die nackteste Wahrheit. Auch die kann sich zuweilen als brauchbares Instrument einsetzen lassen.
Also sagte er plump und direkt: „Du mußt gute Spione in Dawinno sitzen haben. Cousin.“
„Ja, sie machen ihre Arbeit ganz gut. Wie stark ist bei euch das Pazifistenlager, falls du mir das sagen willst?“
„Jedenfalls nicht so stark, daß die irgendwas durchsetzen könnten.“
„Du bist also tatsächlich überzeugt, eure Leute werden gegen die Hjjks in den Krieg ziehen, wenn die Zeit reif ist?“
„Ja.“
„Und wenn du sie überschätzen solltest?“
„Was ist, wenn du sie unterschätzt?“ fragt Thu-Kimnibol zurück und blickt starr und hochmütig von seiner überragenden Höhe im Sattel des Xlendis auf den König nieder. „Sie werden kämpfen. Darauf gebe ich dir mein ganz persönliches Wort, Cousin. Auf die eine oder andere Weise werde ich dir eine Armee herbeischaffen.“ Ein ausgestreckter Finger deutet in die Schlucht hinab. „Ich werde es irgendwie bewerkstelligen, daß meine Leute sehen und begreifen, was ich jetzt hier sehe. Ich will sie wachrütteln, und ich werde, sie zu Kämpfern machen. Darauf hast du mein Wort!“
Über Salamans Gesicht huscht der Ausdruck einer entmutigend ungebrochenen Skepsis. Sofort danach aber mischt sich anderes bei: Eifer, Hoffnungsbereitschaft, bereitwillige Erwartung. Dann verschwindet das Gefühlsgemisch wieder, und das Gesicht des Königs drückt erneut nur steinernen, grob abweisenden Argwohn aus.
„Darüber wird man noch ausführlicher sprechen müssen“, sagte er. „Nicht hier und nicht jetzt. Auf! Oder wir reiten in finsterster Nacht zurück.“
Und die Dunkelheit hatte sie auch wirklich erreicht und umfangen, als sie endlich die Stadt wieder erreichten. Auf der Mauerkrone loderten Fackeln, und als Chham, Salamans Sohn, zu ihrem Empfang aus dem Östlichen Tor geritten kam, war der besorgte Ausdruck auf seinem Gesicht unmißverständlich.
Der König tat das alles mit einem Lachen ab. „Ich hab unseren Gevatter auf einen Ritt ein Stückchen weit in Richtung Vengiboneeza geführt, damit er das Lüftchen schnuppern kann, das aus dieser Richtung weht. Aber wir waren natürlich keinen Moment in Gefahr.“
„Dem Beschützer sei Dank!“ rief Chham.
Dann wandte er sich an Thu-Kimniboclass="underline" „Es ist ein Bote gekommen, mein Herr und Prinz, aus deiner Stadt. Er sagt, er ist Tag und Nacht geritten, und es muß wohl so sein, denn das Xlendi, das er ritt, war dermaßen überarbeitet, daß es eher tot als lebendig aussah.“
Thu-Kimnibol runzelte die Stirn. „Wo ist er jetzt?“
Chham wies zum Tor. „Er wartet auf dich in deinen Gemächern, mein Herr Prinz.“
Der Bote war ein Beng, einer der Wachsoldaten der Justizbehörde, und ein jüngerer Bruder des Hauptmanns der Stadtwache, Curabayn Bangkea. Thu-Kimnibol erinnerte sich, daß er den jungen Mann hin und wieder in der Basilika Dienst tun gesehen hatte. Sein Name lautete Eluthayn, und er sah wahrhaftig erschöpft und abgerissen genug aus, ein schmaler Schatten seiner selbst und vor Erschöpfung dem Zusammenbruch nahe. Er konnte gerade noch seine Botschaft stammeln. Und diese war bestürzend genug.
Salaman gesellte sich bald darauf zu Thu-Kimnibol.
„Du siehst bekümmert aus, Cousin. Es muß eine üble Nachricht gewesen sein.“
„Es sieht so aus, als wäre in meiner Stadt eine Mordepidemie ausgebrochen.“
„Mord?“
„Noch dazu bei unserem Heiligsten Fest. Zwei Morde. Der eine Tote ist der Hauptmann unserer Stadtwache, der ältere Bruder meines Boten. Der andere Tote ist dieser junge Mann, den die Hjjks mit ihrem Vertragsangebot zu uns geschickt hatten.“
„Der Botschafter der Hjjks? Wer würde den töten wollen? Und wozu?“
„Wenn man das wüßte!“ Thu-Kimnibol schüttelte den Kopf. „Der Junge war ganz harmlos, also, jedenfalls kam er mir so vor. Der andere Kerl — nun ja, er war ein Idiot, aber wenn es schon genügt, daß jemand ein Idiot ist, um ermordet zu werden, dann müßten unsere Straßen ja von Blut schwimmen. Das Ganze ergibt überhaupt keinen Sinn.“ Er verzog finster die Stirn, trat ans Fenster und starrte eine Weile in den düsteren Hof hinab. Dann wandte er sich wieder Salaman zu. „Es könnte sich erweisen, daß wir unsere Verhandlungen abbrechen müssen.“
„Du bist zurückbeordert worden, ja?“
„Der Kurier hat davon nichts gesagt. Doch wenn zu Hause derartige Dinge passieren.“
„Was für Dinge? Zwei Mordfälle?“ Salaman lachte leise in sich hinein. „Und sowas nennst du eine Mordepidemie?“