„Das tue ich auch. Aber hast du nicht begriffen, was ich gerade gesagt habe? Es könnte sich letztlich als weitaus gefährlicher erweisen, derlei Bestrebungen unterdrücken zu wollen, als ihnen einfach ihren Lauf zu lassen.“
Ja, wahrscheinlich hast du recht, dachte er.
„Mir gefällt diese. diese neue Religion ebensowenig wie dir“, sprach sie weiter, „doch es wäre möglich, daß die beste Methode, sowas unter Kontrolle zu halten, derzeit darin besteht, die Entwicklung nicht unter Kontrolle halten zu wollen. Wir brauchen vorab erst etwas genauere Informationen, ehe wir entscheiden können, wie gefährlich, wie staatsgefährdend, meine ich, das wirklich ist. Vielleicht handelt es sich ja um weiter nichts als wieder eine dieser Dummheiten, wie sie sich das gemeine Volk ab und zu einfallen läßt, oder aber es ist ein aktiver Umsturzversuch seitens der Hjjks. Aber wie sollen wir denn wissen, was es ist, he? Das können wir doch nur entdecken, indem wir uns das ganz genau anschauen. Also, ich will, daß du alle anderen Aktivitäten fallenläßt und dich darauf konzentrierst, was wirklich vorgeht. Von jetzt an plazierst du deine Späher in diesen neuen Kongregationen. Sie sollen dort infiltrieren, sich einnisten und aufpassen, was dort gepredigt wird.“
Husathirn Mueri nickte ergeben. „Ich werde mich persönlich um die Angelegenheit kümmern.“
„Ach ja, da ist noch was. Lasse die Liste der Reisenden überprüfen, die mit der Karawane nach Yissou ziehen wollen, ja? Und sorge dafür, daß keiner darunter ist, der zu diesen Kultisten gehört. Das fehlte grade noch, daß sich die Geschichte auch noch in Yissou ausbreitet.“
„Eine exzellent weise Überlegung“, sagte Husathirn Mueri.
Endlich war die Karawane aus Dawinno eingetroffen. Mit mehr als einem halben Mond Verspätung: Elf Xlendigespanne vor den rotgolden bewimpelten Warenlastwagen kamen durch den graugelben Staub über die Südliche Straße herangetrottet.
In dieser Nacht gab es ein großes Volksfest: Auf den Hauptplätzen brannten Freudenfeuer, Straßenmusikanten spielten bis in den nächsten Morgen, und es wurde allgemein wild gefeiert und gezecht, und es gab wenig Schlaf, aber reichlich Remmidemmi. Die Ankunft der Karawane in Yissou setzte stets so etwas wie ein Signal, und es brach dann ungezügelt Jubel, Trubel und Fröhlichkeit aus in dieser Stadt, in der ansonsten eher eine Atmosphäre von Zurückhaltung und Verklemmtheit vorherrschte. Es war beinahe, als bewirke die Ankunft des Karawanenzuges aus dem Süden, daß die gewaltige Steinummauerung der Stadt eine Bresche bekam, und als ob auf einmal die schwülwarmen verführerischen Winde des tropischen Südens durch die engen krummen Gassen wehten. Aber die verspätete Ankunft des Handelszuges, die Ungewißheit, ob die Karawane diesmal überhaupt kommen werde, machte dann — als sie endlich kam — daraus ein noch größeres Ereignis als gewöhnlich.
Vor Salaman trat, in dessen geheimem Privatgemach im Palast, der Kaufherr Gardinak Cheysz, der brauchbarste, nützlichste Agent, den der König in Dawinno eingesetzt hatte. Ein rundlicher, dabei, seltsam unfröhlicher Typ, mit einem Fell von merkwürdig gelblichgrauer Färbung, und seine Lippen sackten wegen einer Lähmung der Gesichtsmuskeln auf der einen Seite schief nach unten. Der Mann war zwar in Yissou geboren, aber er hatte fast sein ganzes Leben in Dawinno verbracht. Seit Jahren stand er als Agent in Salamans Diensten.
„In Dawinno geht es drunter und drüber“, begann er seinen Bericht. „Deshalb sind wir so spät dran. Wir konnten deswegen nicht früher aufbrechen.“
„Hm. Berichte!“
„Du weißt doch, daß ein Knabe namens Kundalimon, den die Hjjks vor vielen Jahren aus Dawinno geraubt haben, in diesem Frühling n seine Stadt zurückkam und.“
„Ja, natürlich weiß ich all das. Ich weiß auch, daß man ihn ermordet hat und auch den Chef der Stadtwachen. Das ist doch altes Zeug!“
„Aha, du weißt das also schon alles?“ Gardinak Cheysz schwieg eine Weile, wie um seine Gedanken wieder in die rechte Richtung zu bringen. „Schön, sehr schön, mein Herr!“ Aus einem der Vorhöfe des Palastes drangen wilde dudelnde Geräusche, ein schrilles Gepfeife und lautes Lachen. „Aber, mein Herr und König, weißt du auch, daß am Tag, an dem die beiden Morde geschahen, die Tochter von Häuptling Taniane dem Wahnsinn verfiel und aus der Stadt verschwand?“
Das war neu. „Nialli? Heißt sie nicht so?“
„Ja, Nialli Apuilana. Ein schwieriges, ein aufsässiges Mädchen.“
„Was anderes als Aufsässigkeit und Schwierigkeiten hätte man denn von einem Kind von Taniane und Hresh erwarten sollen?“ Salamans Lächeln war scharf. „Ich kannte Hresh, als er ein Kind war. Wir waren zusammen im Kokon. Himmel, war das ein wilder, verrückter kleiner Bursche. Immer hatte er was Verbotenes im Sinn. Also schön, und diese Nialli Apuilana hat den Verstand verloren und ist verschwunden. Und die Karawane, der verspätete Aufbruch — wohl wegen der Trauerzeit, eh?“
„Oh, aber sie ist nicht tot. Allerdings, man hat mir berichtet, daß es nahe dran war. Man entdeckte sie in Fieberkrämpfen in den Sümpfen östlich der Stadt. Erst ein paar Tage später. Und die Opferpriesterin betete sie wieder gesund. Aber tagelang, sagt man, stand es schwer auf der Kippe. Taniane konnte mit gar nichts andrem befaßt werden. Die ganze Zeit hindurch, in der das Mädchen darniederlag, kein Fetzelchen Regierungsgeschäfte erledigt. Unser Ausreisevisum lag auf Tanianes Schreibtisch, und da blieb es und verstaubte, und sie unterschrieb nicht. Und Hresh — also, der verlor beinahe selber den Verstand. Er sperrte sich in dem Turm ein, wo er diese ganzen alten Chroniken aufbewahrt, und kam überhaupt kaum zum Vorschein, und wenn doch, dann kam kein vernünftiges Wort aus ihm raus.“
Salaman schüttelte den Kopf. „Hresh.“, murmelte er, halb ehrerbietig, halb verächtlich. „Es gibt auf der ganzen Welt keinen Verstand wie seinen. Aber — wahrscheinlich kann ein Mann wohl gleichzeitig brillant sein und dabei doch ein Narr.“
„Oh, es gibt noch mehr“, sagte Gardinak Cheysz.
„Also, raus damit, weiter!“
„Ich erwähnte bereits den — Tod des Hjjk-Gesandten. Kundalimon. Also, in Dawinno hat das Volk damit begonnen, ihn zu einem Gott zu machen. Na, also jedenfalls wenigstens zu ’nem Halbgott.“
„Einem Gott?“ Der König mußte mehrmals ganz heftig blinzeln. „Was soll das heißen — einem Gott?“
„Na, so Andachtsstätten, Devotionsaltäre, sogar schon ganze Gemeinden mit Votivkapellen. Sie halten ihn für einen Propheten, einen Überbringer göttlicher Offenbarungen, einen. — ach, ich weiß wirklich kaum, wie ich es dir sagen soll. Es übersteigt mein Begriffsvermögen. Jedenfalls wuchert um seine Person herum ein ganzer Kult auf, mehr kann ich dir nicht sagen, König. Mir erscheint das Ganze als völlig blödsinnig. Aber es hat zu einem schrecklichen Durcheinander geführt. Als Taniane sich endlich mit was andrem als ihrer Tochter beschäftigen mochte, hat sie ein Edikt erlassen, wonach die neue Religion als staatsfeindlich unterdrückt werden soll.“
„Ich hätte ihr etwas mehr Hirn zugetraut!“
„Genau. Sowas blüht erst recht, wenn es verfolgt wird. Wie sie sehr rasch erkennen mußte. Das ursprüngliche Verbotsedikt, Majestät, ist bereits widerrufen worden. Die Stadtwachen versuchten die Plätze herauszufinden, an denen dieser Kundalimon verehrt wird — übrigens gibt es jetzt einen neuen Chef der Garde, einen jungen Beng namens Chevkija Aim, ein höchst ehrgeiziger Bursche mit konsequenter Sturheit — na, und sie versuchten eben das Ganze an der Wurzel auszureißen. Indem sie die Kapellen schändeten, die Gläubigen inhaftierten. Es brachte gar nichts. Das Volk ließ es sich einfach nicht gefallen. Also mußten die Verfolgungen abgebrochen werden, und die Anhänger des neuen Kults nehmen von Tag zu Tag zu. Und es geht so schnell, daß man es kaum glaubt. Ehe wir von Dawinno nach Yissou aufbrechen durften, mußten wir einen Eid ablegen, daß wir nicht selber auch schon Neugläubige sind.“