„Genau, was uns grad noch gefehlt hat“, sagt Thihaliminion und stiert trübsinnig in seinen Wein. „Noch eine neue Religion!“
Thu-Kimnibol klopfte höflich und trat ein. Salaman, der neben seiner fast geleerten Flasche Wein dahindöste, war sogleich hellwach.
„Du wolltest mich sprechen, lieber Gevatter?“
„Richtig. Inzwischen hast du ja wohl die neuesten Depeschen aus deiner Stadt durcharbeiten können?“ fragte der König. „Das mit dem Wahnsinn dieser Tochter von Taniane? Und sie selber, Taniane, dermaßen durchgedreht deswegen, daß sie außerstande war, ihre Stadt ein paar Tage lang anständig zu regieren?“
Thu-Kimnibols Fell stellte sich auf, und seine Augen begannen zu funkeln. Er sagte mit gepreßtem Ton: „Ja. Ich habe so etwas in der Richtung gehört.“
„Aber hast du auch von dieser neuen Religion der Hjjk-Liebe gehört, die da drunten bei euch auf einmal aus dem Boden geschossen ist? Man hat mich unterrichtet, daß es die Ermordung des Gesandten Kundalimon war, die das alles ausgelöst hat. Meine Informationsquellen berichten, daß das Volk in Dawinno von ihm spricht als von einem heiligen Propheten, der wegen seiner Liebe zum VOLK sterben mußte.“
„Deine Informanten sind recht gut, lieber Vetter.“
„Dafür bezahle ich sie schließlich — und gut. Aber sie bringen mir auch Informationen, daß diese Kundalimon-Sekte. für den Abschluß und die Unterzeichnung dieses Vertrags mit der Königin ist. Stimmt es, daß sie Hjjk-Missionare nach Dawinno einladen, die sie in den Geheimnissen der Hjjk-Religion unterrichten sollen?“
„Lieber Cousin, warum stellst du mir solche Fragen?“
Brüsk und grob sagte Salaman: „Weil du mir versichert hast, daß deine Leute kämpfen würden, wenn die Zeit gekommen ist. Und was tun sie statt dessen? — Das! So eine Idiotie, so etwas hinternrissig Blödes!“
„Aha. Also darum geht es“, sagte Thu-Kimnibol.
„Aber es ist doch der reine Irrsinn, Cousin!“
„Sicher, aber sehr nützlich, glaube ich.“
Der König hob verblüfft den Kopf. „Nützlich?“
Thu-Kimnibol lächelte. „Aber klar, mein Lieber. Die Friedenslobby spielt uns doch direkt in die Hände. Sie treiben die Dinge soweit ins Extrem, daß es ihnen den Hals brechen wird. Möchtest du dir vielleicht einmal ausmalen, wie das wäre, mein Cousin, Dawinno voller Hjjk-Prediger, die an jeder Straßenecke schnatternd und klickend ihre frohe Botschaft verkünden, und die ganze Bevölkerung dort schleicht umher und sabbert nur noch von Königin-Liebe, und die Hjjks trampeln in Horden unsere Strande entlang, ganz frech und kotzfrei und machen dann Urlaub in ihrer eigenen Kolonie im Süden?“
„Das — ist ein Alptraum!“ sagte Salaman.
„Eben! Ein Katastrophentraum. Aber — er ließe sich recht gut einsetzen, vorausgesetzt, es gibt in Dawinno noch ein paar Personen, die noch nicht völlig den Verstand verloren haben. Und ich glaube, es gibt sie.“ Thu-Kimnibol beugte sich ganz nahe ans Ohr des Königs. „Ich muß nur erreichen, daß die dort die Sache so sehen, wie ich sie dir gerade geschildert habe. Man muß ihnen nur klarmachen, daß die Hjjks planen, uns von innen heraus mit Subversion zu erobern. Verstehst du nicht? Ich würde unterstellen, daß diese neue Religion uns allesamt den Krallen und Klauen der Wanzen ausliefert? Diese Liebe ihrer Königin ist verderblicher als ihr Haß, werde ich den Leuten sagen. Wo es um diesen Haß geht, wissen wir wenigstens, wo wir stehen. Und im Grunde sind diese Königin-Liebe und dieser Erzhaß gegen die Königin nur zwei unterschiedliche Verkleidungen ein und derselben Sache. Freunde, werde ich sagen, die Bedrohung für uns ist tödlich. Wenn wir diesen Vertrag akzeptieren, dann heißt das, daß wir unsren Todfeinden mit weit offenen Armen begegnen. Wollt ihr wirklich, daß Hjjks herrschen sollen in Dawinno, in Massen überall herumwimmelnd, wie sie das in Vengiboneeza getan haben? Na, und so weiter und so fort, bis wir diese neue Religion ins Abseits gedrängt haben, oder bis sie eben ganz aus dem politischen Geschäft verschwunden ist.“
„Und dann?“ „Dann — dann fangen wir an Hymnen auf die Würde des Krieges zu singen“, sagte Thu-Kimnibol. „Wie löblich und mannhaft-tugendsam es ist, dem Angriff unseres Feindes zuvorzukommen und — Sicherheit für das VOLK in der Welt herzustellen. Ein Krieg gegen die Hjjks! Er ist unsre einzige Rettung! Und, Cousin, es ist ein Krieg, den wir beide äußerst gründlich und sorgfältig planen müssen, ehe ich von hier abreise. Und dann werde ich denen in Dawinno sagen können, daß König Salaman unser treuer Bundesgenosse ist und darauf brennt, daß wir unsere Macht mit seinen Truppen in diesem Heiligen Krieg vereinigen, und daß unsere zwei Städte Seite an Seite stehen müssen im Kampf gegen die Wanzen. Und dann brauchen wir nur noch dafür zu sorgen, daß der Krieg ausbricht. Dafür tut es fast jeder beliebige kleine Zwischenfall. Was hältst du davon, Gevatter? Ist diese neue Religion mit der Hjjk-Ideologie nicht haargenau der Anlaß, auf den wir gewartet haben?“
Salaman nickte.
Dann begann er zu lachen.
Der Junge Tikharein Tourb berührte den schimmernden NestschutzTalisman an seinem Hals und sagte: „Wenn wir damit doch nur die Königin sehen könnten, Chhia Kreun! Vielleicht könnten wir mit seiner Hilfe IHR Bild sehen, was meinst du? Wenn wir den Talisman zugleich mit unserm Zweitgesicht benutzen, meine ich.“
„Sie ist viel zu weit weg“, antwortete das Mädchen. „So weit reicht das Zweitgesicht nicht.“
„Also dann könnten wir es mit Tvinnern versuchen.“
Chhia Kreun unterdrückte ein leichtes Kichern. „Was verstehst du schon vom Tvinnern, Tikharein Tourb?“
„ ’ne Menge. Ich bin schon neun, weißt du.“
„Mit dreizehn kommt man ins Tvinnr-Alter.“
„Du bist schließlich auch erst elf, aber du tust, wie wenn du schon alles weißt.“
Sie begann sich ausgiebig zu striegeln, das Fell zu zupfen und zu glätten. „Jedenfalls weiß ich mehr als du.“
„Über Tvinnern vielleicht. Aber nicht über Nestwahrheit. Egal, das bringt uns sowieso nicht weiter. Hör mal, was meinst du, wenn ich den Nestschützer mit meinem Sensororgan festhalte und wir beide dann tvinnern, direkt hier vor dem Altar.“
„Das kann doch nicht dein Ernst sein.“