Über ihm tobte der Sturm, und er war dermaßen heftig, daß es ein Wunder war, daß er nicht den Mond vom Himmel fortblies. Und es kam mehr Schnee herunter, als Salaman es je erlebt hatte. Immerhin bedeckte er den Boden bereits fingertief, und es fiel immer heftiger immer mehr herab. Er blickte über die Schulter, und im fahlen Mondschimmer sah er, daß die Hufe des Xlendis scharfgezeichnete Abdrücke in der weißen Decke hinterließen.
Er band das Tier unter dem Pavillon fest und raste die Stufen hinauf. Das Herz hämmerte ihm gegen die Rippen. Droben klammerte er sich an den Sims und reckte den Kopf nach draußen, ohne auf die eisigen Böen zu achten. Er mußte sich von jedem Restchen des Traums reinigen, der ihm sein schlafendes, weinbesoffenes Hirn verstört hatte.
Das Land vor der Stadt — von zuckenden Fetzen Mondlicht erhellt, wo der Schein durch die schweren Schneelasten des Sturmes brechen konnte — war weiß wie der Tod. Ein Wind, scharf wie eine Messerklinge, schabte die gefallenen Wasserkristalle vom Boden und wirbelte sie in unheimlichen Formationen empor und weiter. Es gelang dem König nicht, den Geschmack aus dem Mund zu bekommen, den ihm der Schnabelmund des Hjjk-Weibs übermittelt hatte. Sein Begattungsschwengel hatte sich inzwischen wieder gesenkt, aber er schmerzte noch von dem ungestillten Verlangen, und Salaman hatte das Gefühl, als sei der ganze Schaft von einem kaltbrennenden Feuer überzogen, ein Beweis, daß er bei dieser gespenstischen Kopulation mit irgendeiner ätzenden hjjkischen Körperabsonderung in Berührung gekommen sein mußte.
Vielleicht sollte ich da hinausgehen, dachte Salaman. Und mir das Gewand vom Leib reißen und mich nackend im Schnee wälzen, bis ich wieder rein bin.
„Vater?“
Er fuhr herum. „Wer ist da?“
„Ich, Vater, Biterulve.“ Unsicher schaute ihm der Junge vom Eingang zum Pavillon her entgegen. Die Augen groß und weit. „Vater, du hast uns Angst gemacht. Als meine Mutter uns sagte, du bist aufgestanden und wie wild aus deinem Schlafzimmer gestürzt. Und dann hat man dich noch gesehen, wie du aus dem Palast geritten bist.“
„Da bist du mir gefolgt?“ schrie Salaman. „Du hast mich — bespitzelt?“
Er stürzte nach vorn, packte den schlanken Jungen, zerrte ihn in das Aussichtstürmchen und versetzte ihm mit aller Kraft drei Ohrfeigen. Biterulve schrie nach dem ersten Schlag laut auf, wahrscheinlich ebenso aus seiner Bestürzung wie wegen des Schmerzes, dann aber blieb er stumm. Im Mondlicht sah der König den nichtbegreifenden Blick in den schimmernden Augen seines Sohnes, und er sah den gleichen kalten Schein auf den wirbelnden Schneeflocken. Er ließ den Jungen los und taumelte wieder auf den Auslug zu.
„Vater“, sagte Biterulve leise und kam auf ihn zu — mit ausgestreckten, weit geöffneten Armen, als scherte er sich nicht mehr darum, was er damit riskierte.
Den König durchfuhr ein heftiges konvulsivisches Zucken, und er riß Biterulve in seine Arme und preßte den Jungen so heftig an sich, daß der pfeifend ausatmen mußte. Dann ließ er ihn los und sprach ganz leise: „Ich hätte dich nicht schlagen dürfen. Aber auch du hättest mir nicht hierher folgen dürfen. Du weiß doch, niemand darf mir nahe kommen, wenn ich nachts in meinem Pavillon bin.“
„Aber wir hatten doch so große Angst, Vater. Meine Mutter sagte, du warst nicht mehr recht bei Sinnen.“
„Vielleicht.“
„Können wir dir helfen, mein Herr Vater?“
„Das bezweifle ich stark. Ja, wirklich, sehr stark.“ Salaman griff wieder nach dem jungen Prinzen und zog ihn mit dem Arm dicht an sich. Mit hohler Stimme sagte er: „Ich hatte in dieser Nacht einen Traum, Junge, einen solchen Traum, wie ich ihn keinem je enthüllen werde, nicht dir und keinem sonst, außer daß ich vielleicht sagen werde, es war ein Traum, geeignet, einen Mann aus seiner gesunden Vernunft herauszuschälen, wie wenn jemand eine Frucht enthäutet. Der Traum — er lastet noch auf mir. Und vielleicht werde ich ihn niemals ganz von mir abwaschen können.“
„Ach, Vater, mein Vater.“
„Es ist diese scheußliche Jahreszeit. Der Schwarze Wind trommelt mir gegen den Schädel. Und von Jahr zu Jahr treibt er mich tiefer in den Wahnsinn.“
„Und ich soll dich also jetzt alleinlassen?“
„Ja. Nein. Nein! Bleib!“ Gedankenverloren starrte der König dann wieder in die Dunkelheit draußen vor der Mauer. Den Jungen hielt er dicht an seine Seite gepreßt. „Du weißt doch, wie sehr ich dich liebe, Biterulve.“
„Sicher, das weiß ich.“
„Und wenn ich dich vorhin geschlagen habe — das war dieser Irrsinn in mir, der dich schlug, nicht ich.“
Biterulve nickte, sagte jedoch nichts.
Salaman zog ihn noch enger an sich. Allmählich legte sich der wütende Aufruhr in seiner Seele.
Dann spähte er wieder in die Nacht hinaus. Plötzlich sagte er: „Hat es mich schon wieder gepackt, oder kannst du da draußen eine Gestalt erkennen? Jemand auf einem Xlendi, von der Südstraße her?“
„Du siehst richtig, Vater! Ich sehe es auch.“
„Aber wer würde denn so spät durch Nacht und Wind, in diesem Wetter, in diesem Braus zu uns reiten?“
„Wer immer es sein mag, wir müssen ihm das Tor aufmachen!“
„Warte.“ Salaman legte die Hände an den Mund und rief mit trompetenlauter Stimme: „He-Holla! Du da draußen! Holla, kannst du mich hören?“ Eine andere Möglichkeit hatte er nicht, mit der Stimme gegen den Sturm anzudringen.
Das Xlendi taumelte durch den Schnee und schien am Ende seiner Kräfte. Der Reiter war in kaum besserem Zustand. Er hockte vornübergekrümmt verzweifelt an dem Sattel geklammert auf dem Tier.
„Wer bist du?“ schrie Salaman. „So nenn uns doch deinen Namen, Mann!“
Der Fremde blickte zu ihnen herauf. Er gab einen schwachen krächzenden Laut von sich, den der Sturm unhörbar machte.
„Was? Wer?“ brüllte Salaman.
Der Mann wiederholte den Laut, schwächer schon als vorher.
„Vater, der stirbt doch“, drängte Biterulve. „Laß ihn herein. Was kann er schon für Schaden anrichten?“
„Ein Fremder — nachts — im Sturm.“
„Aber es ist doch nur ein Mann und außerdem halb tot, und wir sind zu zweit.“
„Und wenn dort draußen noch andre lauern, die nur darauf warten, daß wir das Tor aufmachen?“
„Vater!“
Etwas in der Stimme des Knaben drang durch Salamans Wahnsinn. Er nickte, rief den Reiter erneut an und dirigierte ihn ans Tor. Dann stiegen der König und sein Sohn hinab und schoben das Tor für ihn auf. Der Reiter konnte sein Tier nur unter großen Schwierigkeiten durch die Mauer bringen. Das Xlendi taumelte im Zickzack durch den Schnee, und zweimal wäre der Mann beinahe aus dem Sattel gefallen, und als er schließlich in der Stadt war, ließ er einfach die Zügel los, rutschte vom Rücken des Tiers und landete bebend auf den Ellbogen und Knien. Der König gab Biterulve ein Zeichen, er solle ihm aufhelfen.
Es war ein Beng-Behelmter. Obwohl er fest in Häute und Pelze verpackt war, die mit gelben Stricken um ihn geschnürt waren, wirkte er halb erfroren. Seine Augen waren glasig, ein schimmernder Eisfrost überzog sein Fell, das von einer ungewöhnlichen rosiggelben Färbung war, sehr ungewöhnlich an einem Beng.
„Nakhaba!“ rief er plötzlich, und ein so heftiger Schauder überlief ihn, daß es ihm fast den Kopf von den Schultern gerissen hätte. „Was für ein Wetter! Die Kälte brennt ja wie Feuer! Ist der Lange Winter zurückgekehrt?“
„Wer bist du, Mann?“ fragte Salaman streng.
„Bringt mich. ins Warme.“
„Zuerst — wer bist du?“
„Kurier. Von Häuptling Taniane. Mit Botschaft für den Edlen Thu-Kimnibol.“ Der Mann schwankte und wäre fast gestürzt. Dann raffte er sich gewaltsam auf und sprach mit festerer, tieferer Stimme: „Ich bin Tembi Somdech, Gardist der Stadt Dawinno. In Nakhabas Namen, bringt mich sofort zu dem Edlen Thu-Kimnibol.“