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„Möge es den Göttern gefallen, dir einen angenehmen Morgen zu bescheren, mein Vater.“ Er klang merkwürdig zurückhaltend bei der Formel. „Ich hab gehört, du hattest keine gute Nacht. Die Edle Sinithista.“

„Ach, ihr habt bereits miteinander getratscht, ja?“

„Chhaim und ich durften mit der Dame das Frühstück einnehmen, und sie erschien uns ein wenig beunruhigt. Sie sagte, du hast einen schweren Schwarztraum gehabt und bist dann fortgestürzt aus ihren Armen wie ein Besessener hinaus in die kalte Nacht.“

„Die edle Dame Sinithista“, sagte Salaman, „täte besser daran, ihr königliches Maul zu halten, oder ich werde es ihr stopfen! Aber ich hab dich nicht rufen lassen, um das Szenarium meiner Träume mit dir zu diskutieren.“ Er warf dem Prinzen einen scharfen Blick zu. „Wer und was sind Anerkenner, oder wie sie heißen, Athimin?“

„Anerkenner, mein Herr und König?“

„Ja. Genau. Du hast davon doch schon gehört, oder?“

„Aber ja, Vater. Sicher. Nur, es überrascht mich, daß du etwas davon weißt.“

„Passierte grad heute nacht. Auch eins der vielen überraschenden Abenteuer dieser meiner verflossenen Nacht. Ich war vor dem Wachposten an der Plaza der Sonne, und da hab ich doch tatsächlich gesehen, wie ein Haufen Verrückter nackt im Schnee herumtanzte. Biterulve war bei mir, und ich sagte: Was sind denn das für Leute? Und er sagte: ‚Das sind Anerkenner, Bekenner, Kenner, mein Vater.‘ Aber mehr wußte er nicht. Aber du, sagte er, du könntest mir darüber genauere Auskunft geben.“

Athimin verlagerte unbehaglich sein Körpergewicht von einem Bein aufs andere. Salaman hatte ihn nie zuvor dermaßen in Verlegenheit erlebt, so unsicher, so unruhig. Vor des Königs geistiger Nase stieg ein Ruch von Hochverrat auf.

„Herr, diese Erkenner — diese Tänzer, die du gesehen hast — diese Leute, die du mit Recht als vom Geiste Verzückte bezeichnet hast.“

„Verrückte, Irre, das war meine Bezeichnung, nicht ‚Verzückte‘. Mondsüchtige — Leute, die der Vollmond verrückt macht. Allerdings war da bei dem Schneetreiben verdammt wenig Mond zu sehen, während die da herumzappelten. Was sind das für Leute, Athimin?“

„Unglückliche Sonderlinge sind sie, denen man den Sinn verwirrt hat durch Geseiber und Aberwitz. Eben halt so Leute, die gern tanzen, wenn der Schwarzwind weht, oder denen es eine Lust ist, nackt im Schnee herumzutollen. Oder auch noch viele andere absurde Sachen zu veranstalten. Nichts kann sie beirren. Sie sind überzeugt, daß der Tod weiter keine Bedeutung hat, daß man sich nie Gedanken über eine Gefahr, ein Risiko machen sollte, sondern nur einfach das tun, was einem als richtig erscheint — ohne Furcht und ohne Hemmnis.“

Salaman beugte sich vor und umklammerte die Armstützen des Harruel-Throns.

„Also, eine Art neue Philosophie, meinst du?“

„Eher sowas wie eine Religion, Herr. Vermuten wir jedenfalls. Sie haben ein System von Glaubenssätzen, die sie einander lehren — sie haben ein Buch, eine Heilige Schrift. und sie halten geheime Versammlungen ab, doch in die müssen wir erst noch unsere V-Leute einschleusen. Weißt du, wir stehen erst am Beginn unserer Erkenntnisse über diese Leute. Am meisten scheinen sie die Saphiräugigen zu bewundern, weil diese gelassen und gleichmütig dem Tod entgegensahen, als der Lange Winter nahte. Diese Bekennersekte sagt, das ist die eine große Weisheit, die von Dawinno-dem-Zerstörer kommt, daß man dem Sterben mit Gleichmut entgegensehen soll, daß der Tod nur ein Aspekt der Verwandlung ist und somit heilig.“

„Gleichmut gegenüber dem Sterben — hm“, sagte Salaman nachdenklich. „Den Tod annehmen als einen Aspekt der Verwandlung.“

„Deswegen nennen sie sich vielleicht selbst Akzeptänzer“, sagte Athimin. „Und sie nehmen es tanzend hin, weil es der Plan der Götter ist, daß man dem Tod nicht entgehen kann. Also tun sie, was ihnen grad in den Sinn kommt, Vater, und achten dabei weder auf Gefahren noch Mißhelligkeit.“

Salaman ballte die Fäuste. Nach den paar ruhigen Stunden am frühen Morgen fühlte er wieder den Furor in sich aufsteigen.

Also war Dawinno-Stadt nicht der einzige Ort, der von dieser Pest neuer absurder Glaubensvorstellungen befallen war? Ihr Götter! Es machte ihn krank zu hören, daß sozusagen direkt vor seiner Nase ein solcher Wahnwitz wuchern konnte. Ein derartiger Kult von bereitwilligen Märtyrern, das konnte ja zur Anarchie führen! Menschen, die nichts fürchten, arbeiten nicht. Und seine Stadt brauchte keinen Todeskult. Was er hier brauchte, das war Leben, nichts als Leben, neue Blüte, frisches Wachstum, wachsende Stärke!

Zornig stand er auf.

„Aberwitz!“ brüllte er. „Wie viele von diesen Wahnsinnigen gibt es in unsrer Stadt?“

„Wir haben hundert und neunzig davon erfaßt, Vater. Aber vielleicht gibt es mehr.“

„Du scheinst eine Menge über diese Akzeptänzer zu wissen.“

„Ich hab den ganzen letzten Mond Nachforschungen angestellt, Herr.“

„Ach, hast du? Und mir kein Wort davon berichtet?“

„Unsre Nachforschungen sind noch vorläufig. Wir wollten Genaueres erfahren, ehe.“

„Genaueres?“ Salamans Stimme dröhnte. „Der Irrsinn breitet sich wie eine Seuche in meiner Stadt aus — und du willst erst genauer Bescheid wissen, bevor du dich herabläßt, mich auch nur zu informieren, daß bei uns sowas aufgetreten ist? Und mich wolltet ihr damit nicht behelligen? Weshalb? Und wie lang wolltet ihr mich verschonen, he? Wie lange noch?“

„Vater, die Schwarzwinde wehten, und wir haben halt gedacht.“

„Ah! Aha! Jetzt begreife ich!“ Er trat vor, erhob gleichzeitig den Arm und schlug Athimin heftig auf die Wange. Der Kopf des Prinzen schnellte nach hinten. Und so kräftig der Mann war, er hätte doch fast unter der Wucht der Ohrfeige das Gleichgewicht verloren. Kurz flammte wilde Wut in den Augen des jungen Mannes auf; dann fing er sich und trat einen Schritt vom Thron zurück. Er atmete heftig, und er rieb sich die getroffene Stelle. Und er starrte seinen Vater mit dem Ausdruck völliger Ungläubigkeit an.

„Also so beginnt es“, sagte Salaman nach einer Weile sehr ruhig. „Man hält den Alten für dermaßen wackelig, für so leicht aus der Fassung zu bringen, daß man ihn während der schlimmen Jahreszeit lieber im unklaren läßt über wesentliche Vorgänge in der Stadt, damit er sich beileibe nicht etwa so aufregen muß und vielleicht was Unvorhersehbares tut. So fängt’s an! Man schirmt den Alten gegen kritische Probleme in der Zeit ab, in der er erfahrungsgemäß zu überstürzten Entscheidungen neigt. Der nächste Schritt ist dann, daß man ihm auch die belanglosen, aber leidlich ärgerlichen Sachen verheimlicht, damit er nur ja keine Störung erfahren muß. Denn, wer weiß schließlich schon? Der Alte könnte ja gefährlich werden, wenn er auch nur im geringsten irritiert wird, nicht wahr? Und kurze Zeit später setzen sich die Herren Prinzen zusammen und kommen zu dem Schluß, daß der Alte dermaßen geißbockig sprunghaft und unberechenbar geworden ist, daß man ihm nicht einmal mehr bei schönem Wetter trauen darf, also entfernt man ihn sanft vom Thron, unter allen möglichen weichmäuligen entschuldigenden Vorwänden, schickt ihn in einen der kleineren Paläste, wo er unter Hausarrest steht, und sein ältester Sohn besteigt statt seiner den Thron Harruels und.“

„Vater!“ rief Athimin mit erstickter Stimme. „Aber nichts davon ist wahr! Bei allen Göttern, ich schwör dir, nicht einer unter uns hat je solche Gedanken.“