Ganz ähnlich dem Bunker, den Flendras eigener Stamm während des endlosen Langen Winters bewohnt hatte.
Und wieso auch nicht? Wir hatten unsern Kokon. Warum sollten nicht auch sie an Schutzräume gedacht haben?
Er überlegte, ob er diesen Ort weiter untersuchen sollte, und gelangte zu dem Schluß, daß ihm das zu riskant war. Doch dann kam ihm blitzhaft der Gedanke, daß in dieser Höhle vielleicht Schätze lagen, und wenn nicht er hinging und nachschaute, würde es früher oder später jemand anderer tun.
Als nacheinander drei Tage lang einmal kein Regen fiel, kehrte er an den niedergefahrenen Hang zurück. Er hatte sich mit einem Seil ausgerüstet, mit einer Pike und einem Bündel Glühbeeren. Ganz vorsichtig seilte er sich über den Rand des Einbruchs ab und schlängelte sich in die Tunnelöffnung. Machte eine Pause. Lauschte. Hörte keinen Laut. Wagte sich vorsichtig tiefer hinein.
Dann war er in einer Kammer mit gewölbter Steindecke. Dahinter lag eine weitere, aber der Zugang zu ihr war durch Steinschlag versperrt. Nirgends Anzeichen von Lebendigem. Die Stille lastete mit dem Gewicht von Tausenden Jahren auf ihm. Quisinimoir Flendra entdeckte beim ersten Herumstöbern — und er tat das sehr vorsichtig — zunächst nichts, was irgendwie nützlich aussah. Da waren nur die gewöhnlichen Scherben und Fragmente, wie man sie gewöhnlich an derartigen Stätten aus alter Zeit findet. Doch weiter hinten im zweiten Raum entdeckte er einen grünen Metallkasten, der in dem Schutt auf dem Boden halb begraben lag. Aber die Schuttschicht fiel auseinander wie nasse Papierfetzen, als er darin herumzustochern begann.
In dem Kasten waren Maschinen: von welcher Art sie waren, davon hatte er nicht die geringste Vorstellung. Elf Stück waren es, kleine Kugeln aus Metall, allesamt größer als seine Faust, mit kleinen Ausstülpungen und Noppen außen drauf. Er holte eine heraus und berührte eine der Noppen. Und aus einer Öffnung in dem Ding brach ein grünes Licht hervor, und mit einem leisen Zischen schnitt das Licht ein rundes Loch, so groß wie sein eigener Brustkorb, genau ihm gegenüber in die Höhlenwand. So tief hinein, daß er nicht sehen konnte, wie tief. Hastig ließ er die Kugel fallen.
Er hörte, wie in der neuen Öffnung Gestein herabrollte. Der Berg ächzte und stöhnte. Es klang wie Felsmassen, die sich tief im Innern irgendwo verschoben.
All-Erbarmer verschone mich! Die ganze Scheiße kommt auf mich runter!
Aber dann war auf einmal alles wieder still, bis auf das trockene Rieseln von Sand in dem Loch, das er so unabsichtlich gemacht hatte. Quisinimoir Flendra wagte kaum zu atmen und schlich auf Zehenspitzen zum Tunneleingang zurück, kletterte schnell und hastig zum sicheren Bergkamm hinauf und rannte dann, bis er wieder in seinem Haus war.
Von solchen Maschinen hatte er gehört. Das waren Dinge aus der Großen Welt. Und der Bürger hatte die Pflicht, derartige Funde in der Stadt, im Haus des Wissens zu melden. Nun, so sollte es denn so geschehen. Ihm war es nur recht. Sollten doch die Gelehrten gern alles an sich reißen, was es dort in dieser Höhle zu finden gab. Nein, er wollte nicht mal eine Belohnung haben. Sollten sie ruhig alles nehmen. Wenn ich bloß nie wieder in die Nähe von so einem Zeug kommen muß, dachte er. Solang sie nicht von mir verlangen, daß ich da selber noch mal hingehe und ihnen zeige, wo das ganze Zeug ist.
Plötzlich und mit einem fröstelnden Schauder bildet Nialli Apuilana sich ein, daß ihr Zimmer voller Hjjks sei. Und sie hat nicht einmal den Flechtstern in den Händen, als sie kommen. Sie platzen einfach in die Leibhaftigkeit rings um sie herum, als erstarrten sie aus der Luft selbst zu Kristallen.
Es sind nicht die sanften weisheiterfüllten Geschöpfe ihrer Fiebererinnerungen. Nein, jetzt sieht sie sie so, wie die übrigen von ihrer Art die Hjjks schon immer gesehen haben: als riesige furchteinflößende Wesen mit schimmernden Panzern, starrgliedrig, mit gefährlichen Reißschnauzen und Beißwerkzeugen und riesenhaften Glitzeraugen, und sie wirbeln in beängstigender Menge um sie herum und klicken und schnattern fürchterlich. Und hinter ihnen erspäht sie undeutlich die gigantische träge Masse der KÖNIGIN auf ihrem Ruhelager — reglos, monströs, abstoßend riesig. Und Sie ruft Nialli und bietet ihr die Wonnen der NEST-Bindung und die Wohltaten der KÖNIGIN-Liebe.
Was bedeuteten denn diese Worte? Sie waren doch nichts weiter als leere Geräuschhülsen. Speise ohne Nährwert.
Nialli zittert und weicht mehr und mehr in den hintersten Winkel ihres Zimmers zurück. Sie kneift die Augen zu, aber auch das hilft nicht, sie sieht immer noch diese Alptraum-Gestalten, die sich — klicckliccklick — immer näher an sie herandrängen.
Geht weg von mir!
Gräßliche, abscheuliche Insekten! Wie sehr sie sie haßt! Dabei weiß sie aber immer noch, daß es einmal eine Zeit gegeben hat, da hatte sie eine von denen sein wollen. Sie hatte sogar eine Weile geglaubt, sie sei es. Oder war das alles nur ein Traum gewesen? Nur ein Phantasma der gerade vergangenen Nacht? Ihr Aufenthalt im Nest, die Gespräche mit dem Nest-Denker, der Geschmack, den sie von der Nest-Wahrheit in sich trug? Hatte sie nicht wirklich mit Freuden unter den Hjjks gelebt, und hatte sie nicht sie und ihre Königin lieben gelernt? — Aber, wie war so etwas möglich: die Hjjks zu lieben?
Kundalimon — hatte sie auch ihn nur geträumt?
Königin-Liebe! Nest-Bindung! Komm zu uns, Nialli! Komm! Komm! Komm!
Wie seltsam. Wie fremd und feindlich. Wie schrecklich.
„Laßt mich in Ruhe! Geht weg von mir!“ schreit sie. „Ihr alle! Geht weg!“
Sie starren sie vorwurfsvoll an. Diese riesigen Augen, glitzernd kalt.
Du bist eine von uns. Du gehörst dem NEST.
„Nein! Das war nie so!“
Du liebst die KÖNIGIN. Und die Königin liebt DICH.
Wahrheit? Nein. Nein. Das vermochte sie einfach nicht geglaubt haben. Niemals! Sie mußten sie mit einem Zauber belegt haben, als sie im Nest war. Ja, so muß es gewesen sein. Aber jetzt ist sie frei. Und sie werden sie nie wieder einfangen.
Nialli kniet und kauert sich in sich selbst. Sie zittert. Sie schluchzt. Sie berührt ihre Arme, ihre Brüste, ihr Sensor-Organ. Ist das hjjkisch? fragt sie sich, während sie sich über ihr dichtes üppiges Fell und das warme Fleisch darunter streicht.
Nein. Nein. Und — nein!
Sie drückt die Stirn auf den Boden.
„Yissou!“ ruft sie. „Yissou, beschütze mich!“ Dann fleht sie Mueri an, ihr Ruhe zu schenken, und Friit, sie gesunden zu lassen und sie von diesem Fluch zu befreien.
Sie müht sich, diese schrecklichen Klickgeräusche aus ihrem Kopf zu vertreiben.
Und nun sind die Götter bei ihr, die ganze Himmlische Fünffaltigkeit. Sie spürt ihre Nähe wie einen schützenden Panzer, der sie umgibt. Einst hatte sie jedem, der ihr zuhören wollte, erzählt, daß sie nichts weiters als dumme alte Mythen seien. Aber seit ihrer Rückkehr aus den Sumpfseen waren sie beständig um sie. Und sind es auch jetzt. Sie werden obsiegen. Die Hjjks, die sich in ihr Zimmer gedrängt haben, werden nebelhaft und gestaltlos. Tränen laufen über Niallis Wangen, und sie stammelt Gebete des Dankes, der Lobpreisung zum Ruhme der Götter.
Nach einer Weile wird sie ruhig.
Auf ebenso rätselhafte Weise wie bei ihrem Auftreten ist die Verkrampfung ihres Geistes wieder von ihr gewichen, und sie ist wieder ganz sie selber. Abscheu und Ekel verschwinden. Ich bin frei, denkt sie. Aber doch nicht ganz. Zwar kann sie die Hjjks nicht mehr sehen, doch sie fühlt noch immer ihre anziehende Kraft. Und sie liebt sie wie zuvor. Wieder steigt in ihren Gedanken das Bewußtsein der erhabenen Harmonie des Nests auf, der fleißigen Geschäftigkeit seiner Bewohner, gewaltigen pulsenden Wellen der Königin-Liebe, von denen es unablässig durchströmt ist. Und auch in Niallis Herzen pocht die Königin-Liebe. Und die Nest-Wahrheit ist ihr nicht verloren.