Выбрать главу

„Ich wünsch dir eine sichere, angenehme Reise, Oheim. Und mögen die Götter dich beschützen.“

„Innigen Dank dir, Biterulve. Wir werden uns in nicht allzu ferner Zeit wiedersehen, dessen bin ich gewiß.“

„Ich freue mich bereits darauf, Oheim.“ Er ließ hastig den Blick zwischen Thu-Kimnibol und Weiawala schweifen und schaute dann wieder herauf in Thu-Kimnibols Augen. Die unausgesprochene Frage schwebte kurz zwischen ihnen, dann senkte sich der Blick wieder, und Biterulve schien nachdenklich die Dinge abzuwägen: die Ferne zwischen ihnen, den Ausdruck in den Augen seiner Schwester.

Wieder ein peinlicher Moment. Biterulve war Weiawalas Vollbruder, von der gemeinsamen Mutter Sinithista. Und er war der Liebling des Königs, was nur allzu deutlich war. Er war unter allen jungen Prinzen anscheinend der klügste und der bei weitem kultivierteste und hatte kaum etwas von jener Überheblichkeit, durch die sich Chham und Athimin auszeichneten, oder von der lauten Grobheit der übrigen Salamanssöhne. Aber hier fand er nun seine Schwester, und sie wurde vor seinen Augen verschmäht. Bei aller Nobelkeit des Herzens, so etwas war vielleicht doch schwer zu schlucken. Würde er das Problem ans Licht zerren und so alle Welt in Verlegenheit bringen?

Offensichtlich nicht. Mit feinstem Takt wandte Biterulve sich an Weiawale und sagte: „Nun, meine Schwester, wenn du dich von Thu-Kimnibol verabschiedet hast, dann komm jetzt mit mir zu unsrer Mutter. Sie möchte gern mit uns das Frühstück einnehmen.“

Weiawala stierte ihn nur dumpf an.

„Und danach“, sprach Biterulve weiter, „steigen wir alle auf die Mauerkrone und winken unserem Gevatter aus Dawinno zu, wenn er zu seiner Fahrt aufbricht. Also, komm! Komm schon!“ Er legte dem Mädchen den Arm um die Schulter. Er war kaum größer als sie und auch kaum kräftiger. Aber er zog sie mit sanfter Gewalt einfach mit sich. Einmal wandte Weiawala sich um und warf Thu-Kimnibol einen panikerfüllten waidwunden Blick über die Schulter zu. Dann war sie endlich aus dem Zimmer, und Thu-Kimnibol empfand überschwengliche Dankbarkeit. Wie klug doch dieser kleine Bursche war!

Aber würde Salaman ebenso verständnisvoll reagieren? So kooperativ?

Nun, da würde man eben später die Sache irgendwie wieder einrenken müssen. Irgendwie. Es dürfte ja nicht schwerfallen, dem König zu verdeutlichen, daß es nicht der rechte Zeitpunkt gewesen wäre, sich eine eheliche Gefährtin aus dem Königshaus der Stadt Yissous zu wählen, jedenfalls noch nicht. Das Weiawala plausibel zu machen, war zweifellos schwieriger. Aber sie war ja so jung. Sie würde vergessen und sich in jemand anders verlieben.

Und wenn ich jemals hier König sein sollte, dachte er, dann will ich diesen wahrhaft königlichen Prinzen Biterulve hoch erheben und ihn an meine Seite setzen. Und sollte mir kein Sohn geschenkt werden, so soll er nach mir König sein in Yissou. Wir werden uns in der Dynastie abwechseln — ein Salamanssohn nach dem Sohn Harruels.

Er mußte über seine törichten Ideen lachen. Er eilte da der Entwicklung arg viele Schritte voraus. Zu viele, wahrscheinlich.

Esperasagiot wartete bei den Reisewagen, draußen im Hof. Mißmutig betrachtete der Karawanenführer den schweren grauen Himmel. Vor Zorn stand ihm das hellgoldene Fell aufgeplustert vom Körper ab. Thu-Kimnibol bedachte er mit einem finsteren Blick. „Also, wenn es nach mir ginge, ich sag das ist kein anständiges Wetter, um aufzubrechen.“

„Ja, es könnte besser sein. Aber heute fahren wir nun eben von hier ab.“

Esperasagiot spuckte aus. „Die Leute hier sagen, diese Winterstürme dauern höchstens noch eine oder zwei Wochen.“

„Oder drei oder vier. Wer kann das schon wissen? Der Befehl des Häuptlings hat mich heimbeordert, Esperasagiot. Bist du von dieser trostlosen Stadt dermaßen hingerissen, daß du hier auf das Frühjahr warten möchtest?“

„Ich liebe meine Xlendis, Prinz!“

„Und? Werden sie in der Kälte nicht durchhalten?“

„Die Rasse hat im Langen Winter Schlimmeres überdauert. Aber es wird ihnen nicht bekommen, da draußen in der Kälte. Ich hab dir doch oft genug gesagt, das sind Tiere aus der Stadtzucht. Sie sind es warm gewöhnt.“

„Dann werden wir sie eben warmhalten. Laß dir von den Knechten König Salamans zusätzliche Decken geben. Und wir wollen dafür sorgen, daß sie nicht überanstrengt werden. Wir fahren ganz gemächlich, genau wie du es gern hast. Und wenn diese elende Jahreszeit sowieso fast vorbei ist, nun, dann stehen uns ja nur noch einige wenige kalte Tage bevor. Aber bis dahin sind wir schon ein gutes Stück weiter auf dem Weg nach Dawinno.“

Der Wagenmeister lächelte frostig. „Wie du befiehlst, Prinz.“

Er stapfte zu den Stallungen. Thu-Kimnibol erblickte Dumanka auf der anderen Seite des Hofes, wo er die Proviantlisten überprüfte. Er winkte Thu-Kimnibol fröhlich zu, ohne jedoch seine Arbeit zu unterbrechen.

Es war Mittag, als sämtliche Vorbereitungen endlich abgeschlossen waren und der Treck sich durch das Südtor in Bewegung setzte. Es schien eine helle Sonne, und der Wind blies fast gar nicht. Das Land vor der Mauer allerdings wirkte recht abweisend. Kahle laublose Bäume ragten überall wie abgestorben zum Himmel, und an den Nordhängen klebte eine Schicht eisigen Reifs. Am späten Nachmittag braßte der Ostwind auf und schnitt wie ein Krummschwert über die dürre Ebene. Das einzige Anzeichen von Leben kam von den Laternenbäumen direkt südlich der Stadt, denn selbst in diesem rauhen Wetter waren sie nicht von den winzigen Vögeln verlassen, die ihr Glühen bewirkten. Bei Anbruch der Nacht begannen sie ihren schwachen flimmernden Lichtschein zu verbreiten, was allerdings keinerlei besonders freudigen Jubelrufe bei den Reisenden bewirkte.

Thu-Kimnibol blickte zurück. Von der Brüstung der Stadtmauer schauten ihnen winzige Gestalten nach. Salaman? Und Biterulve? Weiawala? Er winkte ihnen zu. Und einige der Gestalten — nicht alle — winkten zurück.

Die Wagen zogen voran. Hinter ihnen verschwand Yissous Stadt. Langsam, behutsam machte sich die Gesandtschaft aus Dawinno auf den Heimweg nach Süden durch das winteröde Land.

7. Kapitel

Kriegsrollen

Eine Woche nach Thu-Kimnibols Abreise ließ Salaman den Anführer der Akzeptänzer in den Palast führen. Sein Name lautete Zechtior Lukin. Prinz Athimin, nach seiner Haftentlassung mehr als nur ein wenig zerknirscht, begab sich persönlich mit einem Halbdutzend Gardisten in das heruntergekommene Viertel im Osten der Stadt, um ihn zu verhaften. Er rechnete mit Widerstand. Doch zu seiner Überraschung zeigte Zechtior Lukin ebensowenig Bedenken, mitzukommen und mit dem König zu sprechen, wie er sich gescheut hatte, nackend auf den Straßen zu tanzen, als die Schwarzwinde bliesen. Er betrug sich vielmehr, als habe er damit schon lange gerechnet, daß der König ihn rufen lassen werde — ja, als sei er erstaunt, daß die Vorladung erst jetzt erfolgte.

Aber auch Salaman standen einige Überraschungen bei der Begegnung bevor.

Er hatte sich vorgestellt, daß der Anführer dieser Sekte irgend so ein wildäugiger Fanatiker sein würde, reizbar und aufbrausend, mit Schaum vor dem Mund, der brüllen und geifern und unverständliche Reden brabbeln würde. In einem sollte er immerhin recht behalten: Zechtior Lukin war über allen Zweifel hinaus ein Fanatiker. Alles an ihm — die Kiefer wie Stahlklammern, der steinern-kalte freudlose Blick seiner Augen, die kompakte muskulöse Gestalt unter dem weißlich-grauen Fell — verriet eine außergewöhnliche Engstirnigkeit und Zielstrebigkeit und Hingabe an seinen absurden Glauben. Und höchstwahrscheinlich war er auch leicht reizbar.

Aber ein Brüller? Ein Geiferer? Ein Brabbler unverständlicher Rede? Nein! Der Mann da war cool und zäh und zeigte eine eisige Zurückhaltung, die Salaman sogleich als seiner eigenen verwandt erkannte. Dieser Mann hier vor ihm, er hätte gewißlich ein König werden können, wenn die Dinge in den frühen Jahren der Stadt ein wenig anders verlaufen wären. Statt dessen war er ein Schlachter geworden, ein Fleischhauer, und statt in einem steinernen Palast verbrachte er seine Tage im Schlachthaus und zerhackte Knochen und Lendenstücke und Rückenhälften inmitten von Strömen von Blut. Und abends trafen er und seine Gefolgsleute sich in einer zugigen Turnhalle im Ostviertel und drillten sich gegenseitig die sonderbaren Dogmen ihres Glaubens in die Köpfe.