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Die frische kalte Luft draußen traf ihn wie ein Faustschlag.

Hresh sagte: „Was ich früher mal über die Hjjks gedacht hab, war das, was alle immer geglaubt haben. Daß sie bösartige Fremdlinge sind. Unsere geschworenen Erzfeinde, fremd eben und eine Bedrohung. Aber in der letzten Zeit fange ich an, darüber etwas anders zu denken.“

„Genau wie ich“, sagte Nialli Apuilana.

„Und wieso?“

Sie zuckte die Achseln. „Es wird leichter für mich sein, wenn du zuerst sprichst, Vater.“

„Aber du sagst doch, du bist gekommen, um mir etwas zu sagen.“

„Das werde ich auch. Aber es wird ein Tauschgeschäft sein müssen: Was du weißt gegen das, was ich weiß. Aber ich möchte, daß du anfängst. Bitte! Bitte!“

Hresh schaute sie groß an. Sie war so verwirrend wie immer.

Nach einer Weile begann er: „Also gut. Vermutlich hat es bei mir begonnen, als du vor dem Präsidium gesprochen hast. Als du sagtest, man darf die Hjjks nicht als Ungeheuer ansehen, weil sie in Wahrheit intelligente Wesen mit einer tiefen und reichen Kultur sind. Du nanntest sie sogar menschlich. Mit jener besonderen Wortbedeutung, wie ich sie zuweilen angewandt habe. Das war der erste Hinweis, den du mir gegeben hast, auf das, was dir im Nest widerfahren ist. Und mir wurde bewußt, daß deine Behauptung zweifellos irgendwann einmal wahr gewesen sein muß, denn die Hjjks waren Teil der Großen Welt, und in der Vision der Großen Welt, die mir einst zuteil wurde, sah ich sie, und sie lebten in Frieden und Harmonie mitten unter den Saphiräugigen und den Menschlichen und den übrigen Rassen. Wie also hätten sie dämonische Ungeheuer und dennoch Teil der Großwelt sein können?“

„Genau das“, sagte Nialli.

Hresh blickte zu ihr hinauf. Sie wirkte heute noch seltsamer als gewöhnlich. Sie war wie eine aufgerollte Peitschenschnur.

Er sprach weitet: „Aber natürlich, was sie in der Große Welt waren, und das, was sie in hundertmal Tausenden Jahren seitdem geworden sind, ist nicht zwangsläufig das gleiche. Vielleicht haben sie sich ja verändert. Aber wer weiß das schon? Es gibt bei uns Leute, die von Grund auf überzeugt sind, daß die Hjjks böse sind. Thu-Kimnibol zum Beispiel. Aber inzwischen gibt es unter uns auch solche, die den ganz entgegengesetzten Standpunkt vertreten. Diese neuen Gläubigen, ich höre, daß sie in ihren Versammlungshäusern von den Hjjks als den Werkzeugen zu unserm Heil predigen, sie für nichts weniger als gütige heiligmäßige Wesen halten. Und Kundalimon gilt als eine Art Prophet.“ Hresh blickte sie forschend an. „Du weißt von diesen Bethäusern? Besuchst du sie?“

„Nein“, sagte Nialli. „Nie. Doch wenn sie predigen, daß die Hjjks gütig sind, irren sie sich. Die Hjjks kennen keine Güte. Nicht, wie wir das Wort verstehen. Doch sie sind auch nicht böse. Sie sind ganz einfach — sie selbst.“

„Ja, aber was sind sie denn dann? Ungeheuer — oder Heilige?“

„Beides. Und keins von beidem.“

Hresh dachte eine Weile darüber nach.

„Und ich hab gedacht, du verehrst sie“, sagte er dann. „Ich hab geglaubt, du wünschst dir nichts sehnlicher, als zu ihnen zu gehen und dort dein restliches Leben mit ihnen zu verbringen. Sie leben in einem Fluidum von Traum und Magie und Wunder, so ähnlich hast du gesagt. Man atmet die Luft im Nest, hast du zu mir gesagt, und deine Seele wird ganz erfüllt.“

„Das war einmal.“

„Und jetzt?“

Sie schüttelte schwach den Kopf. „Ich weiß nicht, was ich will. Oder was ich glaube. Nicht mehr. Ach, Vater, Vater, ich kann dir gar nicht beschreiben, wie verwirrt ich bin! Geh zurück ins Nest, sagt eine Stimme in mir, und lebe fortan in ewiger Königin-Liebe! Bleibe in Dawinno, sagt eine andere Stimme. Die Hjjks sind nicht, wofür du sie gehalten hast, sagt diese Stimme. Die eine ist die Stimme der Königin, und die andere — die andere. “ Sie blickte ihn an mit Augen, die vor Qual leuchteten. „Die andere Stimme kommt von den Himmlischen Fünf. Und ihr möchte ich gehorchen.“

Hresh schaute sie mit zusammengekniffenen Augen an. Er konnte es einfach nicht glauben. Damit hätte er zu allerletzt gerechnet, daß Nialli ihm so etwas sagen würde.

„Die Fünf? Du erkennst die Fünffaltigkeit an? Ja, seit wann denn, Nialli? Das ist ja ganz was Neues!“

„Nicht als höchste Autorität akzeptiere ich sie, nein, das nicht.“

„Was dann?“

„Ihren Wahrheitsgehalt. Die Weisheit in ihnen. Das überkam mich, als ich im Sumpf lag. Sie gingen in mich ein, Vater. Ich fühlte es. Ich dachte, ich würde sterben, und da kamen sie zu mir. Du weißt ja, ich habe früher an nichts geglaubt. Nun aber glaube ich.“

„Verstehe“, sagte er vage. Aber er begriff ganz und gar nicht. Je mehr sie ihm sagte, desto weniger schien er zu verstehen. Gerade als er begonnen hatte, die Anziehungskraft des Nests zu spüren — und das war teilweise durch Niallis Einfluß geschehen —, wandte sie sich anscheinend davon ab. „Also ist es nicht wahrscheinlich, daß du zum Nest zurückgehst, jetzt, wo du wieder stark bist?“

„Keine Gefahr, Vater. Nicht mehr die geringste Gefahr.“

„Bitte, Kind, sag mir die reine Wahrheit.“

„Es ist die Wahrheit. Du weißt, ich wäre mit Kundalimon gegangen. Aber nun ist alles anders. Ich zweifle an allem, woran ich einst glaubte, und ich glaube an Dinge, die ich früher in Zweifel gezogen habe. Die Welt ist für mich zum Rätsel geworden. Nein, ich muß bleiben und mir hier Klarheit verschaffen, ehe ich irgendwelche Entscheidungen treffe.“

„Ich frag mich, ob ich dir das glauben kann.“

„Ich schwör es dir! Bei jedem Gott, den es gibt! Bei der Königin, Vater!“

Sie streckte ihm die Hand hin, und er nahm sie und hielt sie behutsam fest wie etwas Kostbares.

Dann sagte er: „Wie rätselhaft bist du doch, Nialli! Fast ein so großes Rätsel wie die Hjjks.“ Er lächelte sie zärtlich an. „Aber vermutlich werde ich dich nie begreifen. Dennoch, ich glaube, ich fang wenigstens an, die Hjjks ein bißchen zu verstehen.“

„Wirklich, Vater?“

„Da, schau dir das mal an“, sagte er. „Ein erst kürzlich aufgefundener Text. Sehr alt.“

Vorsichtig hob er aus der größeren seiner beiden Schriftkästen eine Pergamentrolle und knüpfte die Schnur auf. Dann legte er die Schrift vor Nialli auf den Tisch.

Sie beugte sich vor und besah es sich. „Wo hat man es gefunden?“

„In meiner Chronikensammlung. Da hat es wahrhaftig die ganze Zeit gelegen. Aber es ist in bengisch geschrieben, einer dermaßen uralten fast unverständlichen Form. Deshalb habe ich mich wenig darum gekümmert. Aber Puit Kjai, als ich ihm sagte, daß ich mich mit hjjkischer Geschichte zu beschäftigen begonnen hätte, schlug mir dann vor, das da unbedingt mal anzusehen. Du weißt ja, er war der Kustos der Beng-Archive, bevor sie an mich überstellt wurden. Nun, er half mir bei der Dechiffrierung.“

Sie legte die Hände über das Manuskript. „Darf ich?“

„Du wirst nicht viel davon haben. Aber ja, mach nur!“

Er sah ihr zu, während sie sich über den Text beugte. Die Lineatur war für sie natürlich völlig unverständlich. Diese uralten Beng-Hieroglyphen waren völlig anders als die jetzt gebräuchlichen Charaktere und gingen einem modernen Begriffsvermögen ganz und gar nicht leicht ein. Aber Nialli schien fest entschlossen, das Problem zu meistern. Ach, sie ist mir doch in vielem verdammt ähnlich, dachte Hresh. Und in so vielen anderen Dingen so ganz und gar fremd.

Sie brummte tonlos vor sich hin, drückte die Finger fester auf, mühte sich, aus dem Blatt einen Sinn zu erschlüsseln. Als ihm schien, sie hätte sich lange genug vergeblich damit abgeplagt, griff er nach dem Skript, um es für sie zu entziffern, doch sie schob ihn weg und arbeitete allein weiter.

Er betrachtete sie, und sein Herz quoll ihm über vor warmer Zärtlichkeit. Er hatte sie schon so oft als verloren aufgegeben, aber da saß sie nun still und friedlich bei ihm in seinem Arbeitsstudio. wie früher oft, als sie noch klein gewesen war.