Er stieg wieder hinunter und berichtete seinen Kameraden.
»Ich habe eine Idee«, meldete Don, als sie ihre nächsten Maßnahmen berieten. »Jak ist uns drei Tage voraus. Versuchen wir, ihn und seine Leute zu finden – dann werden wir schon sehen, womit er beschäftigt ist. So ersparen wir es uns, erst lange selbst zu suchen.«
»Eine gute Idee«, sagte Katja.
Don wandte sich an Al. »Hast du etwas von Jak gesehen?«
Al schüttelte den Kopf.
»Nein.«
»Macht nichts«, konstatierte Don. »Der Flächenraum ist nicht groß, wir werden Jak bald erwischen. Am interessantesten erscheint mir der Hügel. Am besten, wir gehen zunächst dorthin. Aber vorsichtig, denn Jak kann sich denken, daß wir inzwischen wieder da sind!«
»Werden wir uns frei bewegen können?« fragte René.
»Warum nicht?« fragte Don zurück. »Die Automaten haben uns geprüft – darüber sind wir uns doch klar. Und sie haben uns freigelassen. Sie halten uns für harmlos. Sie kümmern sich nicht mehr um uns.«
Al war wieder einmal anderer Meinung.
»Ich glaube nicht, daß sie sich nicht mehr um uns kümmern.« Er zeigte auf einen Pfeiler, der in der Mitte des nächsten größeren Platzes stand. Es gab viele davon – dünne stengelartige Gebilde, die in dunklen glänzenden Kugeln unbestimmter Farbe endeten. Manche von ihnen waren nur wenige Meter hoch, andere überragten die Dächer um viele Manneslängen.
»Lampen?« fragte René.
»Vielleicht auch das«, antwortete Al. »Ich habe meine: Augen.«
René nickte.
»Kugelobjektive.«
»Augen, die uns ununterbrochen anstarren«, sagte Katja, ohne daß man merkte, ob es eine Frage oder eine Feststellung sein sollte. »Viele tausend Augen, die uns ununterbrochen beobachten.«
»Das ist doch nur eine Vermutung«, sagte Don mit Unbehagen.
»Wir müssen solchen Vermutungen nachgehen«, sagte René. »Man kann sie doch nicht einfach abtun!«
»Na, so geht ihnen doch nach!« forderte ihn Don unfreundlich auf.
René entgegnete kühclass="underline" »Genau das habe ich vor.«
Er schlenderte zur Säule hinüber und zog seine Jacke aus. Er band die beiden Ärmel zusammen, so daß sie eine Schleife bildeten, und hängte dann das Kleidungsstück über den linken Arm.
»Nun werde ich dir gleich zeigen, daß nicht nur du klettern kannst«, sagte er laut zu Al, der mit Don und Katja langsam nachkam.
René umfaßte die Stange möglichst weit oben, zog die Beine nach, schloß sie fest um den glatten Kunststoffschaft, streckte sich wieder empor und kam auf diese Weise überraschend schnell hinauf. Nach wenigen Klimmzügen befand sich sein Kopf dicht neben der Kugel, und unwillkürlich fuhr er zurück. Obwohl sich nichts regte, war ihm, als wäre der Blick des runden Glaskörpers ausgesprochen böse. Geschickt nahm er seine Jacke vom Arm und stülpte sie mit einer raschen Bewegung über das gläserne Kugelauge. Er hatte ein leise beklemmendes Gefühl – rasch ließ er sich abwärts gleiten und trat zu den anderen, als wolle er sich unter ihnen verbergen.
Trotz der unbestreitbaren Harmlosigkeit ihres Tuns fühlten sie sich nicht ganz wohl in ihrer Haut. Unruhig blickten sie umher.
»Spielerei«, murmelte Don abfällig, aber in Wirklichkeit wollte er nur sich selbst Mut machen.
Dann flog etwas leise surrend über die Dächer heran und hielt schwebend vor der verhängten Kugel – ein metallener Vogel von der Größe eines Kondors. Eine Zange griff zu… das Ding hob sich… zog die Jacke von der Kugel fort, ohne den Übergang des Beschleunigens setzte es sich wieder in Bewegung, surrte auf René zu – erschrocken wich dieser einen Schritt zurück… die Jacke fiel zu Boden… schon glitt der Flugkörper über die Dächer davon.
»Du kannst sie wieder anziehen«, sagte Al. Benommen hob René die Jacke auf. Er machte einige vergebliche Versuche, bevor es ihm gelang, glatt in die Ärmel zu kommen.
»Jetzt wissen wir es also«, sagte Don. »Na, wennschon. Kommt, wir ziehen los!«
Sie stellten bald fest, daß es auch hier kein Straßennetz im üblichen Sinn gab. Das, was sie als Straßen benutzten, war wohl nichts anderes als die mehr oder weniger zufällige Folge von Zwischenräumen und freien Plätzen zwischen den Anlagen. Oft ließ sich auch gar nicht angeben, wo das Maschinengelände aufhörte und der brachliegende Raum begann. Oft standen turmartige Bauwerke auf den freien Stellen, oft rückten diese Dinge aber auch näher aneinander und bildeten eine Landschaft, die stark einem Wald ähnelte. Die Bewegung glich dann mehr einem Slalom als einem zielbewußten Vormarsch. Manchmal wanderten sie zwischen aufgespannten Netzen hindurch, manchmal stießen sie auf Areale, in denen die birnenförmigen Gegenstände, die ihnen schon früher aufgefallen waren, dichtgedrängt in Reih und Glied standen. Nur selten fanden sie geschlossene Gebäude.
Al gab sich alle Mühe, um die Orientierung nicht zu verlieren. Einige Male gelang ihm dies nur, indem er den Sonnenstand mit der Zeitansage seiner Uhr verglich. Hier wäre ein Kompaß das richtige gewesen. Es fiel ihm nur nebenbei ein, doch es führte ihn zu ganz unorthodoxen Gedankengängen – wie sehr hätten ihnen hier Werkzeuge geholfen, nicht nur einfache Gegenstände des täglichen Gebrauchs, nein, echte, dem Zweck angepaßte Werkzeuge, mit denen man, wenn es notwendig war, auch einmal entscheidend in die Umwelt eingreifen konnte! Noch nie war ihm das Unzulängliche der erlaubten Mittel so bewußt geworden, noch nie hatte er es so deutlich empfunden, daß er von der Umgebung abhängig war und nicht sie von ihm. Schon dadurch, daß sein Weg mehr vom Zufall abhing als von seinem Willen, kam das klar zum Ausdruck. Er mußte an die Fernlenkbox denken: wie die Kugel über die schiefe Ebene rollte, blind an Hindernisse stieß, an Löchern und Toren vorbeiirrte und schließlich im Reservebehälter landete, ganz gleich, was vorher mit ihr geschehen war.
Wieder einmal standen sie vor einem Hindernis, einem riesigen Bauwerk, das sich so weit nach rechts und links erstreckte, daß es viel Zeit gekostet hätte, darum herumzugehen.
»Sieht wie eine Fabrik aus«, bemerkte Don.
Wie die meisten Gebäude gab auch dieses sein Inneres willig preis. Nur an wenigen Stellen war es von Wänden umschlossen, und selbst diese bestanden aus jenem durchsichtigen Material, das sie kurzerhand als Glas bezeichneten. Auch das Dach war durchsichtig.
Interessiert näherte sich René einer offenen Stelle und betrat eine Art Weg, der durch das Innere zu führen schien.
»Wir können vielleicht hindurchgehen«, schlug er vor. Insgeheim hatte er den starken Wunsch, eine der Anlagen zu besichtigen.
»Warum nicht?« sagte Don und gab damit das Zeichen, die Fabrik zu betreten.
Es schien sich wirklich um einen Weg zu handeln, denn der ebene Streifen zog kontinuierlich zwischen den einzelnen aufgebauten Teilen hindurch, etwa einen Meter breit, stufenlos, oft geneigt, aber nie so stark, daß er das Gehen unterbunden hätte. Die Neigungen waren erforderlich, um beträchtliche Höhenunterschiede zu überwinden. Die Maschinen – falls es sich um Maschinen handelte – waren von immenser Größe und oft einige Stockwerke hoch.
»Wozu mögen sie gut sein?« fragte Don.
Sie gingen gerade an einem Geländer entlang. Tief unten lief eine ganze Bahn von schrägen Rinnen zu torartigen Öffnungen.
»Vielleicht eine Förderanlage?« vermutete René. Er konnte seine Begeisterung nicht verbergen. »Großartig. Man müßte das einmal in Betrieb sehen!«
»Wie kommst du auf Förderanlage?« fragte Don.
»Durch die Rinnen soll etwas abrutschen oder abrinnen«, erklärte René, »dort oben scheint eine Art Sortiervorrichtung zu sein, und unten geschieht irgend etwas mit den bearbeiteten Dingen.« Er gestikulierte heftig, voll Eifer darauf erpicht, sich den anderen, die von diesen technischen Dingen nichts wußten, verständlich zu machen. »Natürlich läuft das alles vollautomatisch.«