»Sie verraten ihre Plätze nicht.« Und den andern rief er zu: »Paßt auf, Al und ich gehen einfach hinunter. Kat und René decken uns. Verstanden?«
Da summte etwas hinter ihm, ein leichter Lufthauch quoll aus dem Tunnel hervor… eine runde Fläche erschien, oben matt blinkend, unten mit Öffnungen, Schirmen und ähnlichem versehen. Ein Zangenarm griff zu, zwei weiche, aber feste Bügel schlössen sich um seine Mitte… er zappelte einen Augenblick lang, dann lag er in weichen Polstern. Im nächsten Augenblick saß Katja neben ihm. Ein leichtes Gleiten, ein Sprung… Stoppen. Da schwebte René herein, wieder ein leichtes, kaum spürbares Anrucken… da kam auch Al hinzu…
Sie befanden sich im Innern eines Schwebebootes. Sie sahen gerade noch, wie sich Jak und Heiko hinter einem Tisch erhoben… da war schon das im Dahinschießen verwischte Grau des Ganges über ihnen – der Lichtstreifen schlängelte sich leicht… dann Tageslicht, Sonne, blauer Himmel… vorbeiflitzende Gegenstände, Metall, Kunststoff, Glas…
In eiligem Schwebeflug ging es dahin, ohne daß sie etwas dagegen machen konnten, ohne Halten, ohne Stocken, bis an die Stadtmauer, bis an jene Stelle, an der ihre Leiter hing. Hier öffnete sich die Schiebetür. Sie stiegen aus. Die Tür glitt zu, das Boot setzte sich in Bewegung und flitzte davon – ein blinkender Reflex in dem Maschinenwald der Stadt.
Sie hatten noch nicht begriffen. Sie standen da und sahen ihm nach.
7
Nach einer Weile schleuderte Don seine Schußwaffe an die Wand und begann leise, aber hemmungslos in seinen Ausdrücken vor sich hin zu fluchen. Als er endlich bemerkte, daß sich die andern an seinem Geschimpfe nicht beteiligten, belegte er auch sie mit Schimpfworten, ohne damit sichtbare Wirkungen zu erzielen. René stand auf der untersten Leitersprosse und schaukelte mit abwesender Miene, Katja hielt ihren Dolch in der Hand und kratzte an den Fingernägeln herum. Al beobachtete Don und grinste.
»Man könnte meinen, du kannst dir nichts Lustigeres vorstellen als eine Schlappe nach der anderen«, fuhr ihn Don an.
»Jetzt waren wir schon so knapp vor dem Ziel und wieder Essig! Diese verdammten Automaten! Warum mischen sie sich ein? Sie helfen Jak! Wie hat er das nur erreicht!«
»Ich glaube nicht, daß sie Partei ergreifen«, sagte Al. »Das liegt Maschinen nun einmal nicht.«
»Aber die drei haben doch an den Schaltungen herumgebastelt! Vielleicht hat Jak die Automaten anders programmiert – so daß sie auf seiner Seite sind.«
»Jak und Heiko waren genauso erstaunt wie wir«, sagte René von der Leiter herunter.
»Woran lag es also, daß sie auf uns losgegangen sind?«
Al hob verneinend die Hand.
»Sie haben uns nichts getan. Ihr Eingreifen richtete sich nicht gegen uns persönlich, sondern gegen den Angreifer. In dem Moment, als sie erkannt haben, daß wir etwas Zerstörerisches planen, haben sie uns daran gehindert.«
»Sie haben es sich gefallen lassen, daß Jak und seine Leute an den Schaltungen herumschraubten. Wie ist das zu erklären? Erinnerst du dich, wie schnell sie da waren, als René das Auge verhängte?«
»Warum soll gerade ich das erklären können? Wahrscheinlich sind gegen Veränderungen in der Zentrale keine Vorkehrungen getroffen – denn sonst wäre es ja den Stadtbewohnern nicht möglich gewesen, irgend etwas Neues einzurichten.«
Katja warf den Dolch beiseite.
»Ich geh’ ins Zelt«, sagte sie, »kommst du bald nach, Don?« Dann wandte sie sich an René: »Laß mich vorbei, bitte!«
René sprang von der Leiter, Katja kletterte langsam hinauf. Sie spürte genau, wie sich der Stoff ihrer Hose bei jeder Bewegung eng an die Haut preßte, und stellte sich den plastischen Eindruck, den sie von unten bot, mit Vergnügen vor. René stieß einen leisen Pfiff aus. Die drei Männer gafften, bis Katja hinter der Brüstung verschwand.
Don machte unschlüssig einige ziellose Schritte.
»Für heute hab’ ich genug«, sagte er, räusperte sich und kletterte dann eilig an der Leiter hoch.
»Horrido«, sagte René. Er drehte sich auf dem Absatz herum und schaute über die Stadt.
»Manchmal bin ich nicht sicher, ob das echt ist«, sagte er.
Al bemühte sich, nicht an Katja zu denken, und ging gern auf die Bemerkung des Gefährten ein. Er wußte sofort, was René meinte. Das Stadtgelände lag vor ihnen wie ein nicht verständliches abstraktes Bild, in einer Musterung, die ihren Sinn nicht verriet, stumm und statisch, eine Symphonie in Bleigrau, Elfenbein und Silber.
»Ich frage mich, ob die Illusion nicht noch viel weiter geht als wir denken«, sagte René, und plötzlich setzte er mit seltsamer Dringlichkeit hinzu: »Al, bist du sicher, daß es überhaupt etwas gibt… ich meine: um uns herum?«
»Aber ja«, sagte Al beruhigend. »Das, was du spürst, muß doch existieren, und das, was du siehst und hörst. Und alles andere? Vielleicht ist es ein wertig anders, als du es dir vorstellst, aber irgend etwas ist doch zweifellos da. Und das Schöne daran ist: Es existiert nicht nur, sondern es wirkt auf seine Umgebung, und die Umgebung wirkt darauf zurück, es beeinflußt die Zukunft und ist selbst eine Folge der Vergangenheit. Es enthält Kräfte; Möglichkeiten sind darin wach; Energien warten, bis sie ausgelöst werden; und oft, vielleicht öfter, als wir es wahrnehmen können, ist etwas darin lebendig – in irgendeiner Form, nicht unbedingt so, wie wir lebendig sind.« Al schwieg eine Weile und fuhr dann fort: »Und siehst du, René, das ist wahrscheinlich der Grund dafür, daß mich dieser Planet viel mehr fesselt als alle, die ich bisher gesehen habe. Hier bietet sich Gelegenheit – eine wunderbare Gelegenheit! –, ein wenig mehr von dem zu erfahren, was es außer uns in der Welt gibt. Wir können natürlich nie direkt prüfen, ob die Dinge in Wirklichkeit so sind, wie wir sie erleben – wir brauchen immer Wellen und Schwingungen und Impulse, um zu sehen, zu hören, zu fühlen – diese Mauer können wir nun einmal nicht durchbrechen. Aber es steht uns frei, in einer anderen Richtung zu forschen. Das Absolute werden wir nie verstehen – aber die Zusammenhänge. Für uns gibt es nichts Absolutes, und vielleicht ist das Absolute überhaupt nur ein Wunschtraum, eine Fiktion – aber für uns gibt es Zusammenhänge; sie sind für uns die Wirklichkeit.«
René verstand nicht ganz, was der Freund sagte, aber er hatte das Gefühl, daß er es gar nicht zu verstehen brauchte und daß er damit zufrieden sein konnte, daß es so war, wie es war.
»Was sollen wir weiter unternehmen?« fragte er. »Was du über die Automaten gesagt hast, leuchtet mir ein. Aber werden sie es überhaupt zulassen, daß wir noch weiter forschen?«
»Solange wir nicht mit Gewalt vorgehen, sicher.«
René zog die Schultern hoch. Obwohl der Abend kam, war das Wetter schön wie immer, die Luft würzig wie immer, die Temperatur lau wie immer. An diesem Wetter ist nichts mehr Natur, dachte René. Er wandte sich wieder an Al.
»Eigentlich unheimlich, diesen unbestimmten, unberechenbaren Kräften gegenüberzustehen!«
»So unbestimmt sind sie gar nicht«, sagte Al. »Ich glaube sogar, daß sie ziemlich leicht zu durchschauen sind, wenn man nur den Schlüssel dazu hat – daß man sie begreifen kann, nicht ihre Technik, sondern ihr Verhalten. Ich meine allerdings…« Er wurde leiser und schwieg.
»Du willst sagen, sie gehorchen einfachen Vorschriften – etwa den vier klassischen Gesetzen für Roboter?«
Er zitierte:
»Erstens: Der Roboter hat den Menschen zu schützen und zu verhindern, daß ein Mensch geschädigt wird.
Zweitens: Er hat dem Menschen zu gehorchen.
Drittens: Er hat darauf zu achten, daß er selbst nicht beschädigt wird.
Viertens: Er hat sich stets so zu verhalten, daß von seiner Umgebung möglichst wenig zerstört wird.«